Als meine Mama die Diagnose Alzheimer erhielt, war mir klar, dass sich vieles ändern würde. Ich war traurig und hatte Angst. Aber dass ich über viele Jahre immer wieder Abschiede erleben müsste und was das mit mir machen würde, ahnte ich nicht. Ganz besonders nicht, dass ich mich von vielen Dingen verabschieden müsste, ohne je Abschied nehmen zu können. In der neuen Podcastfolge von „Leben, Lieben, Pflegen“ habe ich mit Anja Kälin und Isabel Hartmann über die kleinen und großen Abschiede gesprochen, die mit einer Demenz einhergehen. Und wir unterhalten uns darüber, warum Trauer eine normale Reaktion ist. In einem Worksheet findet ihr Ideen für ein gutes Abschiednehmen.

Ich hoffte, alles würde bleiben, wie es ist
Manche sagen, eine Demenz ist ein einziger Abschied. Ich habe das lange Zeit gar nicht so wahrgenommen. Nach der Diagnose meiner Mama hatte ich zwar große Angst um sie und fühlte eine große Unsicherheit. Dass sie Alzheimer hatte war für mich ein Schock und irgendwie dachte ich, sie würde bald sterben. Aber dass ich über viele Jahre immer wieder Abschied nehmen würde, das war mir nicht bewusst. Ich wünschte mir, dass alles so bleibt, wie es war. Aber natürlich blieb es das nicht.
„Mama kann nicht mehr…“ oder „… klappt nicht mehr“ – waren häufige Sätze, die in ersten Jahren nach der Diagnose fielen. Besonders bemerkte ich diese Verluste und das Nicht-Können, wenn ich länger nicht bei meinen Eltern gewesen war. Ich erinnere mich, dass ich anfangs oft dachte, dass wir diese Verluste vielleicht beeinflussen könnten. Durch ein anderes, besseres Medikament oder eine gezielte Physiotherapie oder noch mehr Ergotherapie-Stunden. Irgendwie dachte ich, wir müssten nur etwas besser machen oder anders auf Mama eingehen, dann könnte es wieder normal sein.
Selbst vor zwei Jahren, als meine Mama schon kaum mehr sprach, hatte ich noch Hoffnungen. Ich las zu der Zeit viel über Validation und begann mich mit dem Thema Kommunikation zu beschäftigen. Ich begleitete meine Mama zu ihrem Termin beim Neurologen und wollte mit ihm über das Sprechen sprechen. Ich hoffte, er würde Logopädie empfehlen und ein Rezept dafür ausstellen. Aber er schüttelte nur den Kopf und erklärte, dass bei Mama das Sprachzentrum betroffen sei – und auch eine Logopädie ihr Sprechen nicht zurückbringen könnte.
Ich wünschte, ich hätte Mamas Stimme festgehalten
Nach diesem Arzttermin eilte ich zum Bahnhof, um zu meinen Kindern zurückzufahren. Es war eine sehr lange und vor allem sehr traurige Zugfahrt, denn ich war so enttäuscht, dass Mamas Sprechen einfach weg war – und es keine Möglichkeit gab, das zu ändern. Da erst wurde mir bewusst, dass sich schon Wochen, vielleicht auch Monate vorher, etwas verabschiedet hatte.
Ich konnte mich nicht erinnern, wann meine Mama zum letzten Mal meinen Namen gesagt hatte. Ich konnte mich nicht entsinnen, wann wir zum letzten Mal ein Gespräch geführt hatten. Und ich wusste auch nicht, wann wir zum letzten Mal miteinander telefoniert hatten. Dass all das verschwunden war, machte mich sehr traurig. Besonders traurig machte mich aber, dass ich es gar nicht richtig gemerkt hatte. Ich wünschte, ich hätte mich verabschieden können. Vor allem wünschte ich mir damals, ich hätte ihre Stimme festgehalten, auf Videos oder auf Tonaufnahmen.
Demenz ist ein langsamer, schleichender Abschied
Demenz ist ein schleichender Prozess. „Viele der Verluste werden einem im Verlauf nicht bewusst, sondern eher im Rückblick. Das ist typisch, dieser schleichende Verlauf und dieses fluktuierende“, sagt Anja Kälin von Desideria Care in der Folge über den Abschied von „Leben, Lieben, Pflegen – Der Podcast zu Demenz und Familie“. Dieser langsame, schleichende Verlauf sei auch der Grund dafür, warum man sich gar nicht verabschieden kann.
Die Abschiede sind selten ein geradliniger Prozess, sondern verlaufen fluktuierend. Genau das erlebe ich aktuell mit dem Treppengehen meiner Mama. Lange Zeit war das überhaupt kein Problem. Dann, vor drei Jahren hatte Mama erste Probleme. Sie blieb immer auf der vorletzten oder letzten Stufe stehen und wollte nicht weitergehen. Danach ging sie eine Zeitlang wieder ohne Probleme. Im vergangenen Jahr hatte sie eine Phase, wo es schlechter wurde, wo sie auch nicht mehr die Treppen hoch gehen konnte. Deshalb haben sich meine Eltern zu einem Umbau entschlossen, denn auch wenn es ein Auf und Ab ist, so ist absehbar, dass sie irgendwann nicht mehr die Treppen gehen kann.

Immer wieder kommt die Traurigkeit
Mir war lange Zeit nicht bewusst, wie traurig mich die Alzheimererkrankung meiner Mama und die damit verbundenen Verluste machten. Ich dachte, ich dürfte nicht so traurig sein. Immerhin war ich ja gesund. Ich hatte Angst, ich würde meine Mama (und meinen Papa) noch trauriger machen, wenn ich meine Gefühle zeigen würde. Nach einem langen Gespräch mit Anja verstand ich, dass ich traurig sein durfte und dass es ganz normal sei. „Bei einer Demenz laufen zwei Trauerprozesse ab: bei dem Betroffenen selber und bei den Angehörigen“, erklärte sie. Beide Prozesse seien normal und wichtig.
„Wir verbinden mit Trauer eine negative Reaktion. Es ist schmerzvoll, aber ein gesunder Trauerprozess ist Ressource. Die Trauer ermöglicht es, in inneres Gleichgewicht zu kommen und einen Umgang mit der Demenz zu finden“, erläuterte Anja. „Es geht nicht darum, die Trauer loszuwerden. Die Trauer geht nicht weg. Sie wird dir erhalten bleiben. Es geht darum, sie Anzug erkennen und wertzuschätzen als etwas, das dazugehört.“ Diese Erkenntnis war für mich, irgendwie, traurig, aber auch befreiend.
Wie kann man gut mit Abschied und Trauer umgehen?
„Als Angehörige ist es wichtig, die Aufgabe der Trauerbegleitung zu übernehmen“, sagte Anja. Aber wie kann man das tun? Ich erinnere mich an Situationen, in denen meine Mama im Flur stand und bitterlich weinte – und wie schwer es mir fiel, sie zu trösten. Ich fand keine Wort und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich umarmte sie. Am allerbesten gelang es aber Papa, sie zu beruhigen. „Nicht kleinreden oder schönsprechen“, lautete Anjas Rat. Denn das trägt dazu bei, dass man sich nicht verstanden und angenommen fühlt. „Das Annehmen und Akzeptieren der Trauer ist aber wichtig“, sagte Anja.
Was kann helfen, mit der Trauer klarzukommen? Für den Podcastfolge “Abschied” von “Leben, Lieben, Pflege” haben wir verschiedene Möglichkeiten gesammelt. Das können sein:

- weinen
- körperliche Nähe
- in der Natur sein
- sich auf den Boden legen und erden
- Sport machen und sich bewegen
- seine Gefühle und Gedanken aufschreiben
- mit anderen sprechen
In diesem Worksheet findet ihr noch einmal alle Ideen, um mit Abschied und Trauer umzugehen. Dort findet ihr auch ausreichend Platz, um eure eigenen Strategien zu ergänzen.
Ein Perspektivwechsel kann helfen
Manchmal wünschte ich, ich hätte mich auf die vielen kleinen Abschiede irgendwie vorbereiten können. Ich stelle mir vor, dass mir das den Umgang damit erleichtert hätte. Aber bin mir unsicher, ob das so ist. Ich bin nicht besonders gut im Loslassen und im Abschiednehmen auch nicht.
Was mir tatsächlich hilft, ist ein Perspektivwechsel. Weniger an das Ganze und an Früher zu denken, sondern mehr das Hier und Jetzt sehen. Das fällt mir oft noch schwer, klappt aber schon immer besser. Meine Vorbilder dabei sind meine Kinder, denen es oft viel besser gelingt, im Hier und Jetzt zu sein und meine Mama so anzunehmen, wie sie ist, ohne viel zu trauern.
Ich bin traurig, dass meine Mama nicht mehr da ist, wie ich sie kannte. Aber ich auch froh, dass sie da ist – und das hilft mir dann doch wieder durch die Abschiede. Ich versuche all die schönen Momente, die ich mit ihr noch erleben darf, tief in mir drinnen fest zu verankern. Manche Menschen schreiben schöne Erlebnisse auch in ein Glas und bewahren sie dort. Oder halten das Erlebte auf Papier fest. Welche Strategie auch immer ihr findet, ich wünsche euch alles Gute dabei!

Das letzte Jahr war wirklich seit der Diagnose am 11.02. sehr anstrengend. Es ist gut, dass die anstrengenden und belastenden Stunden mit meinem verstorbenen Lebensgefährten immer weniger werden und immer mehr die schönen Momente, die es auch während der Krankheit gab, z. B. sein wundervoller Humor, der immer wieder durchbrach. Es war wunderbar, wenn er lachte und mir immer wieder seine Liebe versicherte. Da er es ja vergass, sagte er es manchmal 40 x am Tag.Ich habe in der ganzen Wohnung Bilder von ihm, allein, mit mir, meiner Tochter, Schwiegersohn, Enkel aus den Jahren, als er noch nicht krank war und das ist sehr tröstlich für mich. Ein Gang zum Friedhof 1/4 Jahr nach seiner Beerdigung war sehr wichtig für mich.Es war gut, dass die Freundin mich begleitete.Ich habe kleine Geschenke (Rose, kleine Geige, kl. Herz aus Ton, 3 schwarze Bändchen, 1 rotes Bändchen, ein kleines Herz aus Buchsbaum, 1 ‘Amaryllis-Blüte, 1 kleine Rosenknopse und ein Gedicht von Erich Fried abgeschrieben und in einem Röhrchen in die Erde gesteckt).
Habe mit ihm gesprochen, ihm gewinkt und bin dann langsam gegangen. Das hat mir sehr gut getan.
Ich merke, dass die Trauer nicht mehr ganz so weh tut wie am Anfang.
Das ist gut für mich.
Liebe Beatrix,
Danke, dass du deine Erfahrungen hier geteilt hast. Wie gut, dass du einen Weg gefunden hast, um mit der Trauer umzugehen. Ich wünsche dir alles Gute und viel Kraft weiterhin!
Viele Grüße Peggy
Liebe Peggy,
Danke für deinen wertvollen Blog. Bei meiner Mama hab ich die ersten Anzeichen vor ca 10 Jahren wahrgenommen. Damals als kleine Persönlichkeitsverönderung – die mich aber noch zweifeln liess – war sie immer schon so oder war da ein neues, manchen Situationen nicht angepasstes Verhalten dazugekommen? Vor ca 5 Jahren dann fiel mir auf, sie sehr sich an ihrer täglichen Routine ‚festhielt‘, insbesondere das Frühstücksgeschirr musste immer genauso dastehen, sie tolerierte keine andere Anordnung der Dinge in der Küche oder in ihrem Zimmer. Meine Kinder überforderten sie. Ihre Unruhe und das morgendliche Laufbedürfnis nahmen zu – oft stand sie schon um 7.00 oder 8.00 an der Tür und wollte loslaufen. Langsam wurden die Laufstrecken kürzer und sie brauchte Begleitung, weil sie Absprachen nicht mehr verstand oder wir Angst hatten, dass sie sich verirrt. Nach und nach las sie keine Bücher mehr, löste keine Kreuzworträtsel mehr und verlor auch das Interesse an ihren geliebten Musiksendungen im Fernsehen. Die Corona-Krise verschlimmerte durch die soziale Isolation ihre Symptome, obwohl mein Vater immer an ihrer Seite war und sie liebevoll umsorgte. Vor ca 2 Jahren nahm sie an Gewicht ab, ass nicht mehr richtig und wurde gebrechlich. Wir boten ihr weiche Nahrung an, gekochte Möhren und Pürees, auch hochkalorische Trinknahrung und Vitamingranulate. Die Trinkjoghurts mochte sie gern, besonders die Geschmacksrichtungen Waldbeere und Aprikose. Ihre Emotionen flachten ab und sie benutze die gleichen Phrasen oder allgemeine Antworten, weil sie unsere Fragen nicht mehr verstand. Richtige Gespräche waren nicht mehr möglich. Viele Wochen lang wiederholte sie bestimmte Wörter (Palilalie), wie uns schien auch zu ihrer eigenen Beruhigung. Sie spürte aber bis zu ihrem Ende unsere Emotionen und den Tonfall und wie wir mit ihr umgingen. Anfang dieses Jahres bekam sie selbst Corona, trotz Dreifach-Impfung. Sie musste dann im Krankenhaus betreut werden und war bettlägerig. Wir dachten, dass es zu Ende gehen würde und verabschiedeten uns schon. Einige Tage lang spielte ich ihr täglich Musik auf meinem iPhone vor – klassische Konzerte. Sie liebte das, ihre Finger tippten den Takt mit und manchmal wiegte sie den Kopf wie im Tanz. Wir erzählten uns dann Erinnerungen an ihrem Bett und sie lauschte. Und ihr Lebenswille kehrte nochmal zurück- langsam schaffte sie wieder mit Hilfe aufzustehen und zu sitzen, später sogar wieder mit Rollator zu laufen. Sie lebte dann noch ca 3 Monate und ist letzte Woche friedlich eingeschlafen.
Ich konnte Abschied von ihr nehmen – viele Abschiede, wie du schon schreibst. Der Tod war am Ende eine Erlösung.
Liebe Sylvie,
vielen Dank, dass du deine und eure Geschichte hier mit mir teilst. Vieles kommt mir sehr bekannt vor, von den ersten Veränderungen, die einen vielleicht verärgern, weil man sie noch völlig falsch einstuft bis zum in sich Zurückziehen. Auch wir haben erlebt, dass die Corona-Pandemie eine wahnsinnige Belastung ausgelöst hat und sich einiges rapide verschlechtert hat.
Ich danke dir sehr für deinen Inspirationen zum Thema Musik. Das erinnert mich daran, dass meine Mama Musik gerne mochte und mag. Es tut gut zu wissen, dass man dann in vielleicht scheinbar hilflosen Situationen doch etwas für seine Lieben tun kann – und damit Wohlgefühl vermitteln kann.
Ich danke dir von Herzem und wünsche dir alles Liebe und Kraft!
Liebe Grüße, Peggy