Die Diagnose Alzheimer verändert so unglaublich viel im Leben des Betroffenen, aber auch im Leben seiner Kinder, Enkel, Geschwister, Freunde, Nachbarn… Es ist ein Alzheimer und wir. Ideal wäre es, wenn sich alle über das Thema Demenz informieren und damit auseinandersetzen. Dazu gibt es vielfältige Möglichkeiten. Ich stelle euch drei Möglichkeiten vor, die mir geholfen haben: das Angehörigen-Seminar der Alzheimer Gesellschaft, der Demenz-Partner-Kurs und ein Webinar zum Demenz-Balance-Modell.

Als Mama vor über acht Jahren die Diagnose Alzheimer bekam, begann ich mich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. In den ersten Wochen danach habe ich einen kleinen Recherche-Marathon vollführt und alles gelesen, was ich finden konnte. Es gibt viele gute Bücher, Ratgeber und Seiten im Internet mit Informationen zum Thema Demenz und Alzheimer (etwa von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft sowie ihren regionalen Gruppen, der Wegweiser-Demenz, die Alzheimer Forschung Initiative, oder dem Senioren Ratgeber ).
Besonders hilfreich fand ich Veranstaltungen, bei denen ein Austausch stattfindet, entweder konkret mit Experten aus dem Bereich und/oder mit anderen Angehörigen. Und wenn ich von Veranstaltungen spreche, so finde ich durchaus, dass die auch online stattfinden können. Gerade in Corona-Zeiten ist das ja oft nicht anders möglich. Bei konkreten Fragen und Problemen ist das Alzheimer-Telefon der Deutschen Alzheimer Gesellschaft eine gute Hilfe. Ich habe sie noch nie in Anspruch genommen, aber der Zettel klemmt seit Jahren in meinem Geldbeutel. Und ich weiß: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, könnte ich da jemanden fragen, der mir helfen kann mit meiner Mama.
1. “Hilfe beim Helfen”-Seminar für Angehörige
Meine erste Veranstaltung war das Angehörigen-Seminar der Alzheimer Gesellschaft München e.V.. Dieses Seminar ist speziell für Angehörige, die sich um einen Menschen mit Demenz kümmern, ihn versorgen und pflegen. Anfangs war ich mir unsicher, ob das der richtige Ort für mich ist, da mein Papa die meiste Pflege-Arbeit erledigt. Nun ja, ich war nicht die einzige Tochter in dem Seminar – und ich konnte viel mitnehmen, auch an Wissen und Tipps, die ich meinen Papa und meiner Familie weitergegeben habe.
An acht Terminen habe ich viel über das Krankheitsbild und den Umgang mit Alzheimer im Alltag und in herausfordernden Situationen gelernt. Die Leiterin des Seminars Iris Gorke, eine erfahrene Sozialpädagogin, gab wertvolle Tipps zur Vorsorge, zur Pflegeversicherung und zu Entlastungsmöglichkeiten. Da sie lange in einer Tagespflege gearbeitet hat, hatte sie viele praktische Beispiele zur Hand.
Hilfreich fand ich auch das Thema “Mit Alzheimer ins Krankenhaus”, denn bei dem Termin habe ich erfahren, was ich alles vorbereitend tun kann. Und davon gibt es einiges, um meiner Mama solch einen Aufenthalt zu erleichtern, falls er einmal notwendig sein sollte.

Was ich aber ganz besonders wertvoll fand: der Austausch mit anderen Angehörigen. Obwohl unsere Menschen mit Demenz ganz unterschiedlich vom Stand der Krankheit waren, so war es eine gute Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich über bestimmte Herausforderungen auszutauschen.
Das Seminar wurde konzipiert von Helga Schneider-Schelte von der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft. Es findet nicht nur in München, sondern auch in vielen anderen Städten bundesweit statt. Am besten fragt man bei der regionalen Alzheimer-Gesellschaft nach dem Seminar “Hilfe beim Helfen” oder ähnlichen Angehörigen-Schulungen. Aufgrund der aktuellen Corona-Situation kann es sein, dass Termine verschoben werden oder ausfallen. Man kann die Schulungsreihe auch als DVD kaufen. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft hat mit dem Bundesfamilienministerium auch einen E-Learning-Kurs Demenz konzipiert. Unter diesem Link kann man gratis daran teilnehmen. Der Austausch mit anderen Angehörigen und Pflege-Experten kann der allerdings nicht ersetzen.
2. Webinar “Demenz verstehen, Demenz fühlen”
Demenz verstehen, das funktioniert nur über das Gefühl – da ist sich Bianca Thönes, Demenz-Coach sicher. Sie ist gelernte Krankenschwester, arbeitet seit vielen Jahren in der Pflege und mit Menschen mit Demenz. Ihr Ansatz ist ein Perspektivenwechsel und zwar über das Demenz-Balance-Modell. Bianca erklärte gleich am Anfang, warum es so wichtig sei, die Demenz nachzufühlen: „Menschen mit Demenz denken anders. Über das Rationale erreichen wir sie nicht, aber über die Gefühlsebene. Emotionen sind das letzte, das wir verlieren.”
Ich gebe es zu, ich war anfangs sehr skeptisch. Schließlich hatte ich schon im Angehörigen-Seminar viel über die Krankheit Alzheimer erfahren und gute Tipps zum Umgang bekommen. Und ich war skeptisch, weil das als Online-Workshop angesetzt war. Wie sollte es gelingen, per Videogespräch das Gefühl für Demenz zu schaffen?
Es hat sehr gut funktioniert! Wir waren eine kleine Gruppe und sind intensiv eingestiegen, und zwar in unsere Gefühlswelt und über unsere Emotionen und Bedürfnisse in das Thema Demenz. Ich hatte mehrere AHA-Momente in dem Workshop. Mein Gefühl ging wirklich sehr tief – und ich hatte so etwas wie eine Offenbarung. ‚Ja, so muss es Mama gehen. Das hat sie gefühlt‘, dachte ich. Es war ehrlich gesagt ein kleiner Schock. Ich wusste ja, dass es um das Nachempfinden gehen würde, aber dass ich wirklich nachempfinden würde, das habe ich nicht geahnt.
Das Demenz-Balance-Modell hat mir geholfen, achtsamer in meinem Verhalten zu sein und mehr Wert auf das Fühlen zu legen. Einen ausführlichen Bericht über das Webinar habe ich in meinem Artikel “Demenz verstehen, Demenz fühlen, Glücksmomente schenken” aufgeschrieben.
3. Demenz-Partner werden
Vor ein paar Tagen habe ich eine Urkunde bekommen. Ich darf mich jetzt “Demenz Partner” nennen. Ich freue mich sehr, dieses Zeichen mit der blau-gelben Blume verwenden zu dürfen. In Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 61.000 Demenz Partner und ich bin eine von ihnen.
Die Initiative Demenz Partner der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zielt darauf ab, Grundlegendes über die Krankheit Demenz und den Umgang damit zu vermitteln. So soll das Wissen über Demenzerkrankungen verbreitet werden. Gleichzeitig das Verständnis für Menschen mit Demenz und ihre Familien gefördert werden. Das Projekt wurde auch wissenschaftlich untersucht. Fast alle Befragten beobachten auch vier Monatenach der Teilnahme noch Lernerfolge bei sich, heißt es in der Studie.
Was ich besonders gut an den Demenz Partnern finde: Man kann als Einzelperson an den Kursen teilnehmen, aber auch große Firmen und Institutionen können die Schulung für ihre Mitarbeiter organisieren. Man kann als Pflegefachkraft, als Angehöriger oder als Interessierter teilnehmen, jeder hat die Möglichkeit, sich kostenlos zu informieren und weiterzubilden.
Damit vereint die Aktion alle und ist wie ein großes Dach für Menschen mit Demenz, damit sie zum einen von Profis gut betreut und gepflegt werden. Andererseits bekommen so zum Beispiel auch der Neffe, der Busfahrer oder die Kassiererin im Supermarkt eine Ahnung davon, mit welchen Einschränkungen die Menschen leben und was ihnen helfen kann.
“Denn auf uns alle kommt es an, wenn wir für das Thema Demenz in unserer Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit schaffen wollen“, steht auf meiner Urkunde – und das sehe ich ganz genauso.
Ich habe das Seminar übrigens als Webinar besucht und habe einen guten Einblick bekommen. Der Dozent Tobias Münzenhofer hat viele Informationen weitergegeben, ganz getreu dem Motto “Aus der Praxis für die Praxis”. Natürlich hat das eine andere Qualität als ein Austausch unter Betroffenen, aber ich habe viel geballtes Wissen zum Thema Demenz bekommen.
Was mir besonders gefallen hat: Trotz der kurzen Zeit – so ein Kompaktkurs dauert 90 Minuten – ist es Tobias Münzenhofer gelungen, auf die Kommunikation und die Gefühle einzugehen. Damit hat er auch ein Verständnis für das Leben mit Demenz geweckt. “Welche Gefühle haben Sie, wenn Sie sich nicht mehr erinnern können?”, “Wie geht es Ihnen, wenn Sie sich niemandem anvertrauen können?” – Diese Fragen haben mich nach dem Webinar noch begleitet. Und ich glaube, dass sie essenziell sind, um Demenz zu verstehen und einen Menschen mit Demenz zu begleiten.
Auch Kommunikation war ein Thema – und das ist gut und richtig so. Denn im Alltag mit einem Menschen mit Demenz spielt dies eine große Rolle. “Es kommt auf das Wie an, viel mehr als auf das Was”, sagte Tobias Münzenhofer. Damit hat er ausgesprochen, was ich bei meiner Mama mittlerweile sehr deutlich merke: Unsere Worte versteht sie scheinbar gar nicht mehr, aber wie wir mit ihr sprechen, das merkt und fühlt sie genau.
Sich über Demenz informieren – für die Gemeinschaft
Mit all dem Wissen und den Informationen im Hinterkopf fällt es mir viel leichter, für meine Mama da zu sein, aber auch die Fragen meiner Kinder zu beantworten. Was ich noch wichtiger finde als das Informieren und Lernen über Alzheimer? Das Schreiben und Sprechen über Alzheimer.
Ich finde es so wahnsinnig wichtig, dass Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen ihre Stimmen erheben und berichten. Dass sie sich untereinander austauschen, aber auch in der Öffentlichkeit ihren Platz bekommen und Verständnis finden.
Ich wünsche mir, dass wir auf unsere Sprache und Wortwahl achten und wie wir mit Menschen mit Demenz umgehen. Noch immer benutzen wir negative und Angstmachende Wörter im Bezug mit Demenz. Noch immer finden sich negative Stereotype und Klischees, die stigmatisieren. Ich möchte die Erkrankung nicht schönreden und weiß um die Herausforderungen und das Gefühls-Chaos, aber ich weiß, dass es immer auch schöne Momente gibt – und wünsche mir, dass wir diese sehen und unser Bestes geben, um diese für Menschen mit Demenz gestalten. Ich wünsche mir, dass wir eine Gemeinschaft werden und Menschen mit Demenz dazugehören.
Ganz zu Recht ist dieser wunderbare Blog für den Grimme Online Award 2020nominiert! Mit viel Engagement und Herzblut werden hier persönliche Erfahrungen und fachliche Informationen zur Verfügung gestellt. Im Namen vieler Angehöriger, die ich auf den Blog aufmerksam machte, vielen herzlichen Dank und weiter so!
Liebe Frau Gorke, Herzlichen Dank für Ihre lieben Worte!