"Liebe Mama..."

Liebe Mama, spürst du Osterfreude?

Wie jedes Jahr verbringen wir Ostern bei meinen Eltern und so vieles hat sich in den vergangenen Jahren eingespielt: Eier färben, einen Osterstrauß dekorieren, viel und gut essen und als Familie zusammenkommen. Und doch ist manches neu – und auch mit Abschieden verbunden. Ich hoffe, dass Mama noch viel von den Osterritualen mitbekommt. Ein neuer Brief an Mama: Liebe Mama, spürst du Osterfreude?

Mutter und Tochter sitzen auf einem Stuhl Oster
Ostern 1985: Du und ich.

Liebe Mama, spürst du Osterfreude?

Weißt du noch, wie wir früher Ostern gefeiert haben? Du hast schon Wochen vorher angefangen, im Haus zu dekorieren. Du hast von den Spaziergängen Forsythia-, Kirsch- und Apfelbaumzweige mitgebracht und sie in die große blaue Vase gestellt. Und dann haben wir vom Dachboden die kleinen Holzanhänger geholt und sie daran gehängt.

Ostern war immer auch ein Familienfest. Wir haben uns alle im Garten getroffen und Ostereier gesucht. Und später, als wir älter wurden, haben wir oft lange Osterspaziergänge gemacht und unterwegs Schoko-Eier gefunden, die du für uns versteckt hattest.

Im Garten zu sitzen oder durchs Mühltal zu spazieren, irgendwie hat das immer den Frühlling eingeläutet – und es war so viel entspannter als Weihnachten. Wir haben häufig gegrillt und am Feuer gesessen.

Ich mochte Ostern schon immer – und auch als ich längst erwachsen war, bin ich Ostern immer gerne zu euch gekommen. Habe mich über die geschmückten Zweige gefreut. Wir haben meist zusammen Ostereier gekocht und gefärbt, uns gefreut, wenn die Farben strahlend schön waren und uns zusammen geärgert, wenn das Färbe-Experiment nur ein schlechtes Ergebnis gebracht hat.

Ich habe all diese kleinen Rituale von dir übernommen, auch jetzt mit meinen Kindern. Wir holen uns ein paar Frühlingszweige ins Haus und hängen Holzeier daran. Und ohne Eierfärben und -bemalen ist Ostern kaum denkbar. Am liebsten war es mir immer, wenn wir das mit dir machen konnten. Ich erinnere mich daran, dass wir vor ein paar Jahren erst, da wussten wir schon um deine Alzheimererkrankung, in der Küche gewerkelt haben. Du hast den Kindern geholfen, so wie mir früher – und ihnen ein schönes Osterritual beigebracht. Und gleichzeitig hat es dir so gut getan.

Ostereierfärben mit dir und meinen Töchtern – ich vermisse das

In all den Jahren ist deine Krankheit fortgeschritten, aber du bist doch für meine Kinder da und kannst ihnen noch viel mitgeben – davon bin ich auch jetzt überzeugt.

Es sind die gleichen Rituale, so wie jedes Jahr. Aber doch bleibt es nicht gleich. Denn deine Krankheit schreitet fort. Und gerade an solchen Tagen wie Ostern merke ich es. Weil dann viel augenfälliger wird, was früher war. Weil so viele Kindheitserinnerungen damit verbunden sind.

Auch in diesem Jahr haben wir Eier gefärbt, wieder bei euch, so wie all die Jahre zuvor. Vor ein, zwei Jahren noch hast du uns noch Gesellschaft geleistet, doch dieses Jahr hast du geschlafen. Ab und an bin ich zu dir gekommen, habe dir die Decke wieder hoch gezogen und dann mit den Kindern weiter gemacht. Ich habe dich vermisst in unserem Ostertrubel. Zu wissen, dass du nur ein paar Meter weiter, im nächsten Zimmer sitzt, macht mich ein wenig traurig. Diese kleinen Abschiede, die kommen immer wieder – und das war schon wieder einer.

Liebe Mama, du warst nicht dabei, aber irgendwie doch. Denn ohne dich würde ich all das vielleicht gar nicht machen. Und dieser Gedanke schenkt mir ein wenig Frieden. Es ist ein komisches Gefühl, gleichzeit traurig und froh zu sein – und es fällt mir schwer zu beschreiben.

Wir haben ohne dich dekoriert. Und auch die Forsythiazweige habe ich alleine mit den Kindern geholt und geschmückt. Wir haben sie ins Wohnzimmer gestellt, so, dass du sie im Blick hast, wenn du mal deine Augen öffnest.

Die Rituale sind dieselben – und doch irgendwie anders. Wir saßen auf der Terrasse und haben die Frühlingssonne genossen. Die Kinder haben deinen neuen Rollstuhl ausprobiert und du, ja, du hast fast die ganze Zeit geschlafen.

Liebe Mama, hast du Osterfreude gespürt?

Ich habe dich gefragt, ob es dir gut geht und du hast etwas Unverständliches gemurmelt. Du hast friedlich geschlafen. Und später, da hat Papa dir etwas von dem Schokoladenkuchen gegeben und ich dir eines der Eierliköreier, die du so magst, und du hattest Freude am Essen.

Deine Alzheimererkrankung macht alles anders, immer wieder. Das ist wohl einfach so.

Ich hoffe, du fühlst dich trotz allem wohl. Und vielleicht helfen dir all die kleinen Rituale dabei.

Ich hab dich lieb.

Deine Peggy

3 Gedanken zu „Liebe Mama, spürst du Osterfreude?“

  1. Hallo liebe Peggy,
    ich schreibe liebe, obwohl ich Sie gar nicht kenne. Rein zufällig bin ich im MDR auf Sie aufmerksam geworden u. habe viel von Ihnen gelesen. Ich kann mich so gut in Sie u. Ihren Papa hineinversetzen, bei mir ist es mein Mann der diese Monster Krankeit bekommen hat. Wenn ich Ihre liebevollen Berichte lese bin ich immer zu Tränen gerührt. Im übrigen bin ich Ihren Eltern schon begegnet. Hin u. wieder stand ich mit Ihrem Papa an der Tür der Seniorenhilfe um unsere Ehepartner abzuholen, manchmal haben wir ein paar Worte gewechselt. So klein ist die Welt. Ich wünsche Ihnen von Herzen Kraft, Sie sind eine wundervolle Stütze.
    Von Herzen alles Gute
    Elke

    1. Liebe Elke,
      das ist ja schön, dass die Welt dann doch so klein ist und wir uns zwar noch nicht kennengelernt haben, aber Sie und mein Papa.
      Ich wünsche Ihnen auch alles Gute und noch viele gute Stunden mit Ihrem Mann.
      Herzliche Grüße, Peggy

      1. Hallo Peggy,
        ich kann Ihre Gefühle u. die Ihres Vaters nur zu gut verstehen. Das schlechte Gewissen welches im Kopf immer anwesend ist, wenn man einen Angehörigen in die Obhut fremder Menschen u. in eine fremde Umgebung übergibt. Aber irgendwann brauch man eine Pause um wieder Kraft zu schöpfen. Mein Mann war damals in der Kurzzeitpflege Einrichtung die der Tagespflege angegliedert ist. Ich konnte nichts negatives berichten. Auch mein Mann hatte die Zeit augenscheinlich gut verkraftet, ich habe keine Persönlichkeitsveränderungen bemerkt. Ich wünsche Ihnen u. Ihren Papa ebensolche Erfahrungen.

        Eine gute Zeit Ihnen u. Ihren Lieben

        Elke

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