Was die Kinder fragen

Kinderfragen: Warum erfindet niemand etwas gegen Alzheimer?

Das hat mich meine Tochter gefragt. Ja, warum nimmt die Oma jeden Tag eine Tablette – und wird trotzdem nicht geheilt?

Für mich ist die Alzheimer-Erkrankung meiner Mama sehr real und mit praktischen Fragen verknüpft verknüft. Ich denke viel darüber nach, was ihr im Alltag helfen kann. Wie gelingt das Zähneputzen, ohne dass sie Angst hat? Welche Musik mag sie und macht sie fröhlich? Wie klappt es besser mit dem Anziehen? Wie kann ich Papa und Mama aus der Ferne unterstützen? Grundsatzfragen zu Alzheimer habe ich mir schon länger nicht mehr gestellt. Aber neulich hat mich meine große Tochter zum Nachdenken gebracht.

Sie hat gefragt: „Warum erfindet niemand etwas gegen Alzheimer?“

Ich wollte prompt antworten: „Nein, das stimmt nicht. Es wird viel geforscht und es gibt auch Medikamente.“ Schließlich ist das auch so. Seit Jahrzehnten beschäftigen sich Wissenschaftler mit dem Thema. Und es gibt eine Reihe an speziellen Alzheimer-Medikamenten. Da merkte ich, dass mein Kind etwas anderes meinte.

Oma nimmt Medizin und wird trotzdem nicht geheilt

Meine Mama nimmt Medikamente, seit sie die Diagnose bekommen hat. Die Präparate haben zwischendurch gewechselt, die Dosierungen haben sich verändert, aber Arzneimittel gehören fest zu ihrem Alltag. Papa kümmert sich darum und achtet darauf, dass sie ihre Tablette auch herunterschluckt. Wenn wir bei meinen Eltern sind, bekommt meine Tochter natürlich mit, dass Oma jeden Tag Medizin nehmen muss. Dass der Satz: „Du musst noch deine Tablette nehmen“ zum Alltag bei Oma und Opa gehört.

Aber sie merkt natürlich auch, dass die Krankheit voranschreitet. Sie kann sich noch daran erinnern, dass wir mit der Oma vor ein paar Jahren Plätzchen gebacken haben. Dass die Oma beim gemeinsamen Malen mal darauf geachtet hat, dass die Kinder einen Malkittel anhaben. Und jetzt erlebt sie eine Oma, die in einem fort um den Tisch herum läuft und nicht mit ihr kommuniziert, während sie da sitzt und malt. Eine Oma, die sie manchmal nicht mal anschaut. Eine Oma mit einem leeren Blick, die nicht weiß, wie sie weiterkommt, wenn jemand aus Versehen den Stuhl in den Weg gestellt hat.

Da nimmt die Oma nun Medizin – und wird trotzdem nicht geheilt. In den Augen meiner Kinder gibt es so etwas nicht. Sie kennen es nicht anders. In ihrem Alltag haben sie sonst nur Erfahrungen gemacht mit Erkältungen, Fieber, Wunden, vielleicht mal noch Läusen und Streptokokken (ja, leider mehrmals…). Sie wissen, dass es dagegen eine Medizin gibt, bei Husten nimmt man einen Hustensaft, bei Schnupfen ein Nasenspray, bei Läusen braucht man dieses eklige Shampoo – und nach ein paar Tagen ist alles wieder gut, die Krankheit ist geheilt.

Alzheimer ist etwas anderes als Husten

Dass Alzheimer etwas anderes ist als die Krankheiten, die meine Kinder sonst so kennen, weiß meine große Tochter natürlich längst. Als sie mich fragte, warum niemand etwas erfindet, habe ich ihr eine sehr ehrliche Antwort gegeben. Ich habe ihr gesagt, dass viele Wissenschafter schon seit vielen Jahren forschen, um ein Medikament gegen Alzheimer zu erfinden. Aber dass es sehr kompliziert ist – und dass es bislang noch nicht gelungen ist. Ich habe ihr nichts von den Hypes erzählt, die es immer mal wieder um neue Medikamente gibt oder von den Studien, die immer wieder Großes versprechen und Angehörigen und Patienten Hoffnung machen. Zuletzt tat es das Medikament Aducanumab, das laut den Forschern die für Alzheimer typischen Eiweißablagerungen verhindern kann. Zugelassen ist es noch nicht.

Ich habe meiner Tochter erzählt, wie der aktuelle Stand der Forschung ist. Dass der menschliche Körper bei einigen Krankheiten sich selber gut erholen kann wie etwa Fieber, bei anderen unterstützen Medikamente und bei anderen sind Medikamente notwendig. Bei Alzheimer ist aber das Gehirn betroffen und das macht, dass der Körper nicht mehr richtig arbeiten kann – und dagegen gibt es nun mal noch keine Arznei. Mein Kind hat geweint, und ich wurde auch traurig. Kurz habe ich gedacht: ich hätte vielleicht nicht so ehrlich sein sollen. Vielleicht hätte ich ein bisschen mehr Hoffnung machen können. Aber es wäre falsch gewesen. Ich kann ja nicht so tun, als würde es eine Medizin geben, wenn es nicht so ist.

Medikmante können die Demenz nicht heilen, aber helfen

Aber es ist nicht alles hoffnungslos und schrecklich. Und das habe ich meiner Tochter natürlich auch gesagt. Sie lag in meinen Armen, und ich habe ihr erklärt, dass es Medikamente gibt. Diese Mittel können Alzheimer nicht heilen, aber sie können helfen. Die Krankheit schreitet langsamer voran. Mamas Arzt hat damals gemeint, dass man mit Medikation ein bis zwei „gute Jahre“ gewinnen könne. Das klingt etwas makaber, aber für alle – Betroffenen wie Angehörigen – ist es doch ein Segen, wenn man Zeit miteinander verbringen kann statt nur nebeneinander her. Und wir haben mit meiner Mama noch viele schöne Momente gehabt, die ohne die Medizin vielleicht nicht möglich gewesen wären. Mama konnte noch etwas länger selbstständig sein und sie konnte noch etwas mehr von ihren Enkeltöchtern mitbekommen.

Ich habe meiner Tochter davon erzählt, dass gleich am Anfang, nachdem die Oma die Medizin bekam, sie noch vieles selbst machen konnte. Dass sich natürlich alleine anziehen konnte, viel im Garten gearbeitet hat und auch noch regelmäßig laufen war. Und ich habe meinem Kind gesagt, dass die Oma zusätzlich eine andere Medizin nimmt, die ihr hilft, nicht so traurig zu sein. Es gibt also zumindest ein paar Erfindungen, die helfen können.

Das spendet ein wenig Trost, in all dem schrecklichen Bewusstsein über die Krankheit. Ein Kollege hat mal gesagt: „Hoffnung kann man immer haben.“ Mir macht dieser Satz auch ein wenig Mut. „Vielleicht gibt es mal eine Medizin, die Alzheimer heilt. Das wäre toll, wenn Forscher etwas finden“, habe ich meinem Kind gesagt. Ja, es wäre toll, wenn sie morgen ein Medikament entdecken und damit den Durchbruch bei der Behandlung von Alzheimer feiern. Es wäre so schön!

Aber ich bin auch pragmatisch und in der Realität und ich weiß: Jetzt hilft meiner Mama etwas anderes. „Für die Oma ist es wichtig, dass sie nicht alleine ist und dass wir für sie da sind“, habe ich meiner Tochter gesagt. Dass wir ihr helfen beim Schuhe an- und ausziehen, beim Treppensteigen, beim Essen und ihr immer mal wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Mehr können wir nicht machen, aber das, das ist schon eine ganze Menge.

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