"Liebe Mama..."

Liebe Mama, fühlst du dich auch manchmal einsam?

Manchmal fühle ich mich einsam. Auch mit der Alzheimererkrankung meiner Mama kam und kommt dieses Gefühl immer wieder vor. Dann bin ich ein kleines Mädchen, das sich nach seiner Mutter sehnt und dann bin ich traurig, weil sie zwar noch da ist, aber sich unsere Beziehung sehr verändert hat. Dann wünsche ich mir das Miteinander zurück, das einmal so selbstverständlich war. Ich habe gelernt, dass es okay ist, manchmal einsam zu sein und meine Mama zu vermissen und ich weiß, wie wichtig es für mich ist, darüber zu reden. Denn es hilft, das Gefühl anzunehmen und damit umzugehen. Ich wüsste gerne, wie es meiner Mama ging und geht: Liebe Mama, fühlst du dich einsam?

Liebe Mama, manchmal bin ich einsam.

Manchmal fühle ich mich einsam. Dieses Gefühl der Einsamkeit und des Nicht-Verstandenwerdens kenne ich schon lange. In meinem Leben gab es immer wieder Momente, in denen ich mich sehr alleine gelassen gefühlt habe.

Auch mit deiner Alzheimererkrankung kam und kommt das immer wieder vor. Ich erinnere mich an eine Situation kurz nach deiner Diagnose. Ich war noch voller Schock und konnte es immer noch nicht glauben, dass du Alzheimer hast. Ich war so traurig und wollte am liebsten nur weinen. Wir waren auf einer Feier eingeladen, mit vielen guten Freunden und Freundinnen – und es stand außer Frage, dass ich zu der Feier gehe. Ich hatte mich sogar gefreut und dachte, dass ich mit meinen Freundinnen sicher über dich und die Diagnose sprechen würde. Aber ich konnte nicht erzählen, wie es mir ging.

Ich war inmitten der Menschenmenge und fühlte mich so einsam. Ich war unendlich traurig und in meinen Gedanken war ich bei dir und sorgte mich vor deiner – und meiner Zukunft. Aber ich konnte und wollte das nicht aussprechen. Ich hatte Angst davor, vor allem auch davor, meine Gefühle zu zeigen. Und ich wollte diese schöne Feier nicht durch mein Weinen und Trübsal zerstören.

Mittlerweile spreche ich viel mehr über deine Krankheit und unsere Situation und auch über meine Gefühle, denn ich habe gemerkt, dass es mir gegen die Einsamkeit hilft. Darüber zu reden erfordert immer noch Überwindung, manchmal mehr, manchmal weniger. Aber es tut gut, auch wenn mir das Reden oft nahe geht und ich traurig werde.

Manchmal vermisse ich dich als Mama

Manchmal fühle ich mich auch einsam in unserer Mutter-Tochter-Beziehung. Gerade als meine Kinder noch kleiner waren und die Freundinnen und anderen Mütter in meinem Bekanntenkreis davon erzählten, wie ihre Mütter sie unterstützen, habe ich mich von dir verlassen gefühlt. Ich habe dir das nie gesagt, ich fand es ja schon schlimm, so zu denken. Diese Gedanken konnte ich auch immer sehr schnell verjagen, wenn ich an deine Krankheit gedacht habe.

Du hast es ja viel schwerer getroffen mit der Diagnose Alzheimer. Hatte und habe ich ein Recht wie ein kleines Mädchen zu jammern?

Nein! Eigentlich nicht. Und doch kann ich manchmal nichts dagegen tun. Manchmal bin ich ein kleines Mädchen, das sich nach seiner Mutter sehnt. Keine Sorge, ich weine nicht dauernd, aber dieses Gefühl ist da und ich finde, es darf seinen Platz haben und ausgesprochen werden.

Peggy einsam
Manchmal bin ich ein kleines Mädchen, das sich nach seiner Mama sehnt

Liebe Mama, bist du einsam?

Wie geht es dir, meine liebe Mama? Als ich mit Anja die neue Podcastfolge “Leben, Lieben, Pflegen” aufgenommen habe, haben wir auch darüber gesprochen, wie es Menschen mit der Diagnose Demenz geht und ob sie einsam sind. Wenn ich dich heute so anschaue, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass du dich nicht einsam fühlst. Denn du wirkst sehr zufrieden und ruhst in dir.

Aber ich kann mich an viele Momente zu Beginn der Erkrankung erinnern, in denen du geweint hast. Du konntest oft nicht in Worte fassten, was dich so traurig gemacht hat. War es die Einsamkeit? Du hattest lange Zeit einen großen Bewegungsdrang und bist im Haus schier endlos durch die Zimmer gelaufen. Warst du da einsam? Hast du dich von uns alleine gelassen gefühlt?

Ich habe immer das Beste für dich gewollt. Aber ich weiß, gerade im Rückblick, dass ich auch manches falsch gemacht habe. Dass ich dich zum Weinen gebracht habe und manchmal auf Abstand gegangen bin. Wir haben immer versucht, dir das Gefühl zu geben, dass wir dich nie und nimmer alleine lassen, aber sicher hattest du Momente, da hast du dich alleine gefühlt. Denn die Veränderungen durch die Krankheit, die waren nun mal in dir – und wir konnten sie oft nicht sehen und darauf eingehen.

Peggy und Mama
Schade, dass wir nicht mehr reden können.

Mir hilft es zu reden. Und dir?

Liebe Mama, ich habe in den vergangenen Jahren sehr deutlich gemerkt, dass mir das Reden hilft. Es fällt mir oft noch sehr, darüber zu reden, wie es mir wirklich geht. Vor allem über dieses Gefühl der Einsamkeit mag ich nicht sprechen. Aber weißt du, wenn ich es ausspreche, wird mein Herz ein wenig leichter. Denn das Reden hilft mir, dieses Gefühl anzunehmen und damit umzugehen.

Hättest du gerne darüber gesprochen, wie es dir geht? Wir haben es in den ersten Jahren deiner Alzheimererkrankung nicht wirklich getan und nun geht es schon lange nicht mehr. Was hat dir gegen deine Einsamkeit geholfen? Ich wüsste das zu gerne – und würde dieses Wissen mit allen teilen. Denn ich glaube, dass es vielen Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen so geht wie uns.

Nun können wir nicht mehr reden – und das ist schade. Alles, was mir bleibt, ist von mir und den Erfahrungen zu berichten. Ich tue es, weil ich hoffe, dass ich dem ein oder anderen helfen kann. Es tut gut, mit Menschen zusammen zu sein, die mir Raum geben und zuhören und meine Gefühle und Gedanken aushalten – und zwar ohne gleich Ratschläge zu geben. Denn die sind meistens nicht passend oder bewirken, dass ich mich noch schlechter fühle, weil ich den eigentlich gut gemeinten Ratschlag nicht befolgt habe.

Was hilft fir jetzt, wenn es dir nicht gut geht? Ich hoffe, dass wir dir mit der Nähe und Liebe all das geben können, was du brauchst, um lange froh und zufrieden zu leben.

Deine Peggy

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Neue Podcastfolge zum Thema Einsamkeit: “Leben, Lieben, Pflegen”

Es ist ein stilles, aber starkes Gefühl und jeder kennt es. Viele Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen fühlen sich einsam. Anja und Peggy gehen der Frage nach, was Einsamkeit genau ist und wie dieses Gefühl entsteht. Sie berichten von ihren Erfahrungen und erzählen, was ihnen hilft, wenn sie sich einsam fühlen.

5 Gedanken zu „Liebe Mama, fühlst du dich auch manchmal einsam?“

  1. Liebe Peggy, du sprichst mir so sehr aus der Seele. Ich lese deinen Blog so gerne und manchmal mag ich gar nicht lesen weil deine Worte mich unendlich traurig machen und doch muss ich es lesen. Ich finde mich so oft in deinen Worten wieder. Mein Kompliment, dass du deine Gedanken und Gefühle so wunderbar in Worte fassen kannst.
    Liebe Grüße, Susanne

      1. Liebe Peggy, mach weiter wie bisher. Dein Blog ist wunderbar so wie er ist auch wenn er mich manchmal traurig macht. Ich werde auf jeden Fall weiterhin deinen Blog lesen!
        Liebe Grüße,
        Susanne 🍀🌺🍀

  2. Liebe Peggy,
    Ich bin grad durch Zufall auf Deinen Eintrag bei pinterest gestoßen und zum erstenmal lese ich etwas wo ich mich verstanden fühle. Ich denke immer ich darf nicht weinen und muss für meine Mama stark sein aber du verstehst diese innere Traurigkeit wie sonst kaum einer. Manchmal redet man über diese Erkrankung mit anderen Menschen, als wäre es das Normalste der Welt und hat due Traurigkeit darüber schon so fest in sich verschlossen, dass man noch nicht mal eine Träne verliert aber jetzt könnte ich endlich mal wieder weinen und das tut gut nicht immer nur stark sein zu müssen.
    Vielen Dank dafür
    LG Nicole

    1. Liebe Nicole,
      Ich danke dir von Herzen für diese wunderbare Rückmeldung. Ja, ich verstehe gut, was du meinst. Ich kenne das sehr gut. Ich wünsche dir, dass du einen Weg für dich und diese besondere Traurigkeit findest. Wenn es dir zu viel wird, dann suche dir doch auch jemanden, bei dem du das abladen kannst. Ich habe gemerkt, dass es eine wirkliche Unterstützung sein kann.
      Vor allem aber wünsche ich dir und deiner Mama noch viele gute Momente! 💜💜💜 Pass gut auf dich auf! Deine Peggy

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