Das klingt komisch, oder? Wer würde schon immer Ja sagen? Ich sicher nicht. Ich bin eher jemand, der sofort ein „Nein“ oder „Aber“ in die Runde wirft und schnell Kritik äußert. Warum das Ja und die Bestätigung für Alzheimer-Betroffene aber so wichtig ist und wie man das im Alltag umsetzen kann, erfahrt ihr hier

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Wenn Kommunikation sich wie Ablehnung anfühlt
Ich führe mein kleines Gedankenexperiment aus Teil 1 der Kommunikation bei Alzheimer (“Richtig fragen”) einfach mal weiter. Ich bin also in Indien, in einem winzigen Dorf. Ich spreche die Sprache der Dorfbewohner nicht. Ich verstehe ein paar einzelne Worte, mehr nicht. Ich sage etwas und die anderen entgegen mit einem „Nein“. Vielleicht nicht so klar als Wort, auf jeden Fall ernte ich immerzu klare Nein-Signale. Das können kritische Blicke, Kopfschütteln, genervtes Augenrollen sein, dazu vielleicht ein Gemurmel an leisen Vorwürfen. Auch, wenn ich die Worte nicht verstehe, spüre ich doch deutlich: Mein Gegenüber sagt Nein. Nein zu mir. Er lehnt mich ab.
Und diese Ablehnung kann Folgen haben. „Der Betroffene steckt in seiner ganz eigenen geistigen Welt. Diese können wir zum Teil gar nicht nachvollziehen. Dem Betroffenen erscheint seine Welt aber richtig und logisch“, erklärt Diana Stelzer, die in Regensburg schon lange in der Demenz-Begleitung und -Beratung tätig ist. „Wenn man den Betroffenen korrigiert, kann das zu Unsicherheit führen. Unsicherheit kann zu Angst führen und diese kann Aggressionen und Wut schüren.“
Menschen mit Alzheimer: Bestätigung ist wichtig
Gerade am Anfang der Krankheit erleben die Betroffenen unheimlich viele Frustrationen, den ganzen Tag über. Das kenne ich gut, und ich muss gestehen, dass ich manchmal nicht besonders aufmerksam dafür war. Dann habe ich die Differenzen zwischen meiner und Mamas Welt erst erkannt, als es schon zu spät war und Mama geweint hat oder unwirsch reagierte.
Typisch ist auch, dass Alzheimer-Betroffene etwas suchen, zum Beispiel den Geldbeutel, während des Suchens immer panischer werden und vielleicht den Angehörigen beschuldigen. Widerspricht der oder reagiert mit Vorwürfen kann sich das hochschaukeln. Besser: Die Gefühle des Betroffenen bestätigen, vielleicht mit den Worten “Sorgst du dich, weil dein Geldbeutel weg ist? Das ist aber blöd. Komm, wir suchen zusammmen.”
Die Wirkung der Körpersprache
Ich habe selten ein klares Nein gesagt, es waren eher kleine Zeichen. Aber diese Zeichen haben gezeigt: Du hast es falsch gemacht. „Im Leben ohne Demenz bewerten wir Situationen, Gefühle und Antriebe so oft. Dabei sind das nicht unsere eigenen Gefühle, sondern die des anderen, die wir respektieren und somit bestätigen sollten. Wir Menschen neigen immer dazu, alles zu bewerten. Das ist normal. Im Umgang mit Demenzpatienten sollten wir unbedingt lernen, immer zu bestätigen, und zwar in Mimik, Gestik und Körpersprache“, rät Diana Stelzer. Menschen mit Alzheimer mögen die Worte ihrer Angehörigen irgendwann nicht mehr verstehen, aber sie können ihre Körpersprache sehr gut lesen. “Sie sind Meister im Lesen der Körpersprache”, sagt die Demenz-Beraterin.
Bestätigen und Ja-Sagen, obwohl man anderer Meinung ist oder etwas gar nicht stimmt, das kannn Angehörigen von Alzheimer-Patienten schwerfallen, vor allem zu Beginn der Krankheit. Der Betroffene sieht gesund aus, wirkt nach außen hin wie früher und lebt oft noch seinen normalen Alltag. Gedächtnis- und Orientierungsprobleme werden vom Betroffenen häufig auch versteckt, Angehörige nehmen die zunehmenden Probleme oft nicht so wahr oder wollen sie nicht wahrnehmen.
Validation gibt Sicherheit
Was hilft den Betroffenen? Wenn Angehörige und Pflegende ihnen Sicherheit vermitteln: durch ein sicheres Umfeld und durch die Kommunikation. Wenn ich in diesem kleinen Dorf in Indien stehe und mich unsicher fühle, hilft es mir, wenn mir die anderen zunicken, mich anlächeln, mich in den Arm nehmen.
„Geben Sie dem Betroffenen immer Recht“, hat die berühmte Gerontologin Naomi Feil geraten. Sie hat das Konzept der Validation begründet, einer Methode für den Umgang mit dementen und alten Menschen. Einer der Grundsätze lautet: Man widerspricht einem dementen Menschen nie und lässt sich auf seine Welt ein. „Es geht darum, dem Patienten in seiner Wahrnehmung der Welt zu begegnen und bestätigen“, beschrieb Naomi Feil es. Das schaffe Sicherheit und stärke das Selbstwertgefühl.
Die Alzheimer-Krankheit annehmen – und Ja sagen
Und wie geht das? „Auf die Antworten der Betroffenen eingehen und nicht abwerten“, sagt Diana Stelzer. Das wichtigste dabei: ihr Gefühl ernst nehmen und ihr Bedürfnis nach Geborgenheit und Sicherheit stillen, durch Nähe, durch Berühren, durch Lächeln, durch Zuwendung. Was hilft: Diskussionen vermeiden und nicht versuchen rational zu argumentieren („Aber du weißt doch,….“). „Und wenn man schon mitten in der Diskussion steckt, hilft ein Streicheln am Arm oder Rücken, um sich und den Betroffenen zu beruhigen“, rät Diana Stelzer.
Wem es zu viel wird, der kann kurz aus der Situation hinausgehen, draußen ein paar Mal tief durchatmen, das löst die Anspannung. „Aber bitte den Betroffenen nicht einfach so verlassen, das lässt ihn hilflos mit seinen eigenen Gefühlen zurück. Man kann sagen: ‚Ich komme gleich wieder’”, rät Diana Stelzer. Und: Hilflosigkeit kann Angst machen und das kann ja zu Aggressionen führen.
Die Voraussetzung dabei: die Krankheit annehmen und den Alzheimer akzeptieren. Das kann keiner von heute auf morgen. Ich konnte es nicht. Auch wenn die Diagnose meiner Mama wie ein Tornado über uns kam und plötzlich da war, sie anzunehmen und zu akzeptieren, brauchte eine ganze Weile. Und auch jetzt möchte ich sie lieber ignorieren und von mir schieben. Es wäre doch viel schöner, wenn meine Mama gesund wäre…
Ich wünschte, ich hätte all das früher gewusst. Wäre mir bewusster gewesen, wie es sich für meine Mama anfühlt, wenn ich genervt den Kopf schüttele, weil sie mit vier statt fünf Tellern für das Essen gedeckt hat, hätte ich versucht, das zu vermeiden. Und vor allem: Ich hätte statt meinen vielen Abers und Neins vor allem eines gesagt: Ja, Ja, Ja.
- Kommunikation bei Alzheimer Teil 1: “Richtig fragen”
- Kommunikation bei Alzheimer Teil 3: “Mit dem Körper sprechen”
Foto: Renee Fisher on Unsplash
Du bringst es auf den Punkt. Ich wollte es am Anfang nicht wahr haben. Es begann schleichend und wurde mit der Zeit immer klarer. Es gab Verunsicherung und Angst von meiner Seite. Was passiert mit Mama? Immer eine selbständige und starke Frau und liebevolle Mama und Oma. Das ist nun schon 4 Jahre her und mittlerweile habe ich mich damit arrangiert, aber richtig damit abgefunden, leider immer noch nicht. Die Krankheit hat mein bzw unser Leben total auf den Kopf gestellt. Sie lebt nun schon seit 3 Jahren in einem Pflegeheim, wo wir sie täglich besuchen und Spaziergänge mit ihr machen. Hier und da auch mal kleinere Ausflüge und bis vor kurzer Zeit auch wöchentliche Besuche bei uns zu Hause mit einem Nachmittag in Kreise der Familie, aber das strengt sie auch schon sehr an. Sie ist stolze 89 Jahre und lacht gerne und viel.
Manches Mal fällt es mir sehr schwer “ja” zu sagen, aber ich habe es mittlerweile verstanden, d es für Mama wie Balsam ist und sie sich freut, wenn ich sie verstehe.
Und wir werden die Zeit immer wieder zusammen genießen.
Liebe Heike, oh ja, das, was du da schreibst, kommt mir bekannt vor. So viel Verunsicherung und Angst. Ich denke immer wieder mal, dass ich es verstanden habe und mich arrangiert habe, aber dann merke ich doch wieder, wie traurig und wütend mich das alles manchmal macht. Ich versuche meinen Blick zu ändern und auf die schönen Momente zu schauen. Die sind anders als früher, aber es gibt sie und es ist so wichtig, dass wir sie sehen und wertschätzen.
Liebe Heike, ich wünsche dir und deiner Familie viel Kraft und ganz viele Glücksmomente mit deiner Mama.
Liebe Grüße, Peggy