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“Wie können Angehörige besser auf sich achten?” – Interview mit Jana Toppe

Wer sich um andere Menschen kümmert, ist besonders gefordert. Gerade die Betreuung eines Menschen mit Demenz ist oft auch herausfordernd. Mit der Psychologin Dr. Jana Toppe von der Online-Beratung pflegen-und-leben.de habe ich darüber gesprochen, warum das Kümmern und Pflegen so anstrengend ist, wie man Zeichen der Überforderung erkennt und warum es so wichtig ist, dass Angehörige gut für sich selbst sorgen. Wo finden sie Unterstützung? Wer kann beraten? Und wie kann eine Psychotherapie helfen? – Diese Fragen beantwortet sie. Außerdem verrät Jana einen SOS-Tipp für herausfordernde Situationen. Hier findet ihr das Interview mit Jana Toppe. Und: Hier findet ihr auch den Link zum Insta-Live-Talk mit Jana und mir.

Jana Toppe
Psychologin Jana Toppe

Sich um einen anderen Menschen zu kümmern, gibt viel. Aber es braucht auch Energie. Studien zeigen immer wieder, wie belastet pflegende Angehörige sind. Jüngst bestätigte dies wieder eine Umfrage der Techniker Krankenkasse. 40 Prozent der Menschen, die sich um einen Angehörien kümmern, sagten, dass sie eine hohe oder sogar sehr hohe gesundheitliche Belastung erleben. 60 Prozent berichteten von einer hohen oder sehr hohen zeitlichen Belastung.

In den kommenden Beiträgen werde ich mich deshalb mehr dem Thema Selbstfürsorge – und hoffe, euch Ideen und Tipps zu geben, die euch im Alltag helfen. Ganz konkrete Ideen für mehr Selbstfürsorge findest du auch in diesem Blogbeitrag: Zeit für mich

Um mehr über psychische Belastungen und Überlastungen zu erfahren, habe ich Dr. Jana Toppe befragt. Sie ist Psychologin, systemische Therapeutin (DGSF) sowie Familientherapeutin und leitet die Online-Beratungstelle pflegen-und-leben.de. Jana weiß aus ihrer Beratung und Begleitung von pflegenden Angehörigen, dass diese sich vor lauter Kümmern und Pflegen oftmals selbst vergessen und stark belasten. Ich habe mit ihr darüber gesprochen, welche Folgen die dauerhafte Belastung haben kann und was konkret helfen kann.

“Wie können pflegende Angehörige gut auf sich achten?” – Interview mit Dr. Jana Toppe

Liebe Jana, wie geht es Menschen, die einen Angehörigen mit Demenz pflegen?

Angehörige zu pflegen stellt generell eine große Belastung dar. Wir beobachten in der Beratung, dass die Veränderungen, die mit der Demenz einhergehen, auch etwas mit den Angehörigen machen. Die Herausforderung: Angehörige sehen ja zu, wie der Mensch, den wir schon lange kennen und lieben, sich total verändert und unaufhaltsam abbaut. Damit zurecht zu kommen ist nicht leicht. Da braucht ein Mensch von uns Hilfe bei alltäglichen Dingen, kann sich immer schlechter orientieren, wird vielleicht aggressiv, die Nächte werden schwierig, die Kommunikation muss sich zwangläufig verändern – all das stellt auch einen Bruch dar, mit dem man behutsam umgehen muss. 

Einfach nur gestresst oder überlastet – gibt es typische Anzeichen, die drauf hindeuten, dass man sich unbedingt Hilfe suchen sollte?

Anhaltende Schlafstörungen, aber auch scheinbar körperliche Symptome wie Erschöpfung, Herzrasen, Verspannungen, Rückenschmerzen, Tinnitus, Appetitlosigkeit können durch Überlastung mitbedingt sein. Aber auch: Ein Gefühl der ständigen Überforderung, Lustlosigkeit, eine fortschreitende Entfremdung oder Isolation von den sozialen Kontakten, das Gefühl, keine Zeit für sich und seine Hobbys zu haben… starke Belastung kann viele Gesichter haben. Besonders wichtig ist es, in das eigene Belastungsempfinden hinein zu spüren. Habe ich das Gefühl, dass mir alles über den Kopf wächst? Weiß ich langsam nicht mehr weiter? Vernachlässige ich Dinge, die mir eigentlich mal wichtig waren, weil ich weder Energie noch Zeit dafür habe? Weiß ich gar nicht, wie ich das überhaupt selbst in den Griff bekommen soll?

Welche Folgen kann die dauerhafte seelische Belastung haben?

Eine andauernde Belastung kann schwere Auswirkungen auf Körper und Geist zugleich haben. Es fällt uns nur manchmal schwer, den Zusammenhang zwischen der Belastung und den körperlichen oder auch psychischen Symptomen zu erkennen. Anzeichen können zum Beispiel Schlafstörungen, Herzrasen, Verspannungen, Magen-Darm-Beschwerden, Schmerzen, Lustlosigkeit, Niedergeschlagenheit und vieles mehr sein. Andauernder starker Stress kann auf lange Sicht schwere Folgen haben, von Herz-Kreislauf-Erkrankungen über Magengeschwüre bis hin zu Burnout.

Was genau bedeutet denn Burnout?

Die dauerhafte Belastung kann bei pflegenden Angehörigen zu Burnout führen. Typische Anzeichen hierfür sind Unruhe, ständige Anspannung, eine zunehmende Leistung- und Antriebsschwäche. Das Burnout-Syndrom hat mehrere Stadien, die sich unterschiedlich äußern. Es entsteht also langsam, was aber eben auch bedeutet, dass man gegensteuern kann. Pflegende Angehörige sind besonders anfällig für Burnout, da sie sich intensiv um jemand kümmern und einen hohen persönlichen Einsatz zeigen, hierfür aber oftmals so gut wie keine Anerkennung erhalten. Darum ist es für diese Gruppe besonders wichtig, gut auf sich zu achten und rechtzeitig Hilfe zu erhalten.

Warum ist es so wichtig, dass pflegende Angehörige sich um sich kümmern?

Wir leben in einer Gesellschaft, die konstant Leistung und Entgrenzung von uns abfordert. Pflegende Angehörige jedoch sehen sich zusätzlich noch der Belastung der Pflege einer nahestehenden Person ausgesetzt, die sie in den meistens Fällen natürlich von Herzen gerne unterstützen – doch kommen sie da schnell an ihre Grenzen und überschreiten diese immer öfter. Es ist nun mal so: Man kann sich nicht alleine um jemanden kümmern. Pflegende Angehörige brauchen Unterstützung und Entlastung. Wenn es mir nicht mehr gut geht, ich keine Kraft mehr habe, dann kann ich auch meine Angehörigen irgendwann nicht mehr gut versorgen.

Wie könnt ihr von pflegen-und-leben.de Angehörigen helfen? 

Wir bieten psychologische Beratung für pflegende Angehörige. Das bedeutet, dass wir Ratsuchende dabei unterstützen, emotionale Entlastung und Stabilisierung zu finden, aber auch für sich zu sorgen, ihr subjektives Wohlbefinden zu steigern und die Belastung durch die Pflege zu reduzieren. Wir unterstützen die Aktivierung von individuellen und sozialen Ressourcen, schauen, dass die pflegenden Angehörigen sich selbst nicht vor lauter Sorge vergessen. Darunter fallen zum Beispiel auch psychoedukative Inhalte (zum Beispiel Informationen zu psychischen Belastungen im Kontext der häuslichen Pflegesituation, Hilfe bei Umgang und Kommunikation mit speziellen Störungsbildern, Erkrankungen, Einschränkungen), praktische Übungen zur Gesundheitsförderung (zum Beispiel Achtsamkeits- und Entspannungsübungen) und Schreibübungen aus dem Bereich des therapeutischen Schreibens.

Wer kann sich an euch wenden?   

Jede gesetzlich versicherte Person, die eine:n Angehörige:n pflegt, egal wie alt oder aus welchem Grund die Pflege vonnöten ist. Unsere Klient:innen sind sehr divers, es gibt eben nicht die Pflege. Da sind Eltern von Kindern mit Behinderung, Partner:innen von Menschen mit erworbener Hirnschädigung, Angehörige von an Demenz Erkrankten usw. Alle sind willkommen. Die Beratung ist kostenlos und komplett anonym.

Was können Angehörige tun, damit es ihnen gut geht?

Pflegende Angehörige stehen unter enormem Druck. Die Pflege muss funktionieren, der Haushalt soll nicht liegen bleiben, die Familie nicht zu kurz kommen, oftmals sitzt eine Arbeitsstelle im Nacken. Hobbys, Freizeit, Freunde – also vieles, was gut tut, bleibt teilweise auf der Strecke. Dabei ist es wichtig, pflegefreie Zeiten einzurichten, sich Gutes zu tun. Was genau das nun ist, dass einer Person wohltut, ist sehr individuell. In unseren Beratungen überlegen wir gemeinsam, wie „Zeit für sich“ eigentlich aussehen kann, welche Interessen vielleicht auch vor lauter Stress in Vergessenheit geraten sind, wo die Person Kraft schöpfen kann – und wer vielleicht auch noch dazu geholt werden kann, um bei der Pflege zu unterstützen.

Hast du einen SOS-Tipp für emotional herausfordernde Situationen? 

In vielen herausfordernden Situationen bietet es sich zunächst an, sich auch einfach mal aus der Situation zu entfernen, durchzuatmen, eventuell laut von 10 rückwärts zählen, um sich zu erden. In der Beratung können wir dann auch immer für die spezielle Person passende Strategien gemeinsam erarbeiten. Eine beliebte Strategie ist die 5-4-3-2 Methode, bei der man versucht, seine Aufmerksamkeit wieder ins Hier und Jetzt zu rücken, in dem man nacheinander jeweils 5 Dinge, die man gerade sehen, hören, spüren kann, benennt. Danach beginnt man wieder von vorn und benennt jeweils 4, dann 3 dann 2 und schließlich nur noch 1. 

Wann kann eine Psychotherapie helfen und für wen kommt sie in Betracht?

Es gibt so viele gute Argumente für eine Psychotherapie! Sie kann für Menschen in schwierigen Lebenssituationen eine gute Hilfe darstellen, um die eigene Situation besser verstehen zu können und auch herauszufinden, was die Probleme verursacht. Am Ende steht das Ziel, zu lernen, wie man gut mit sich leben kann, mit allen Ecken und Kanten. Wenn man merkt, dass die Probleme einfach überhandnehmen und sich auf alles auswirken – Schlaf, Konzentration, Stimmungsbild, einfach alles – oder wenn man das Gefühl hat, alleine nicht mehr gut zurecht zu kommen, die sonst bewährten Bewältigungsstrategien versagen, kann dies ein guter Moment sein, sich die Unterstützung der Psychotherapie an Bord zu holen.

Was passiert in einer Therapie?

Dabei kommt es natürlich auch darauf an, was gerade im Vordergrund steht. Möchte ich beispielsweise Schwierigkeiten in der Gegenwart bewältigen und neue Wege lernen, mit Sachen umzugehen, ist eine Verhaltenstherapie möglicherweise sinnvoll. Geht es darum, Erfahrungen der Vergangenheit zu verstehen und einzuordnen, kann zum Beispiel der tiefenpsychologische Ansatz helfen. Wenn sich Ratsuchende nicht sicher sind, ob sie eher eine Beratung oder eine Psychotherapie benötigen, können sie auch erst einmal in einer Beratungsstelle starten und schauen, wie gut es funktioniert. Wir verweisen in unseren Beratungen auch öfter auf Psychotherapie als Anschluss der Beratung. So können wir dringende, aktuelle Probleme versuchen aufzufangen, während Themen, die eine intensivere, längerfristige Bearbeitung brauchen, dann anschließend psychotherapeutisch behandelt werden können.

Viele Menschen müssen Monatelang auf einen Psychotherapieplatz warten. Was ist dein Rat?

Was Therapieplätze angeht denke ich, dass das Wichtigste ist, einen langen Atem zu haben, da die Versorgungslage alles andere als optimal ist. Im Idealfall wäre es natürlich so: man sucht sich eine Praxis, die einem auch von der Behandlungsmodalität her zusagt, vereinbart dort einen Termin und alles passt. Nun ist es aber so, dass es oftmals lange Wartelisten gibt und je nach Wohnort manche Praxen auch einfach keine Neupatient:innen aufnehmen können. Eigene Googlesuche (oder auch auf therapie.de), Kontaktaufnahme und viel Geduld sind wichtig. Der Rapport zwischen Patient:in und Psychotherapeut:in muss ja stimmen, dafür gibt es sogenannte probatorische Sitzungen. Gute Erfahrungen haben wir gemacht mit dem Terminservice der kassenärztlichen Bundesvereinigung oder der Suche über die Psychotherapeutenvereinigung.

Wo finden pflegende und sorgende Angehörige niedrigschwellige Unterstützung?

Selbsthilfegruppen, Angehörigengruppen oder -seminaren sind auch eine gute Möglichkeit der Unterstützung. Selbsthilfe- und Angehörigengruppen sind ein elementarer Teil der Hilfelandschaft, auf die wir in den Beratungen auch verweisen. Es kann sehr hilfreich sein, mit Menschen in Kontakt zu treten, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und einen verstehen. Pflegende Angehörige wollen und müssen gehört und gesehen werden.
 


Hilfreiche Angebote von pflegen-und-leben.de

Entspannungsübungen zum Anhören: Hier findest du verschiedene Übungen zum Anhören und Herunterladen. Zum Beispiel gibt es Übungen zur Atementspannung, Bodyscan, Muskelrelaxation und Phantasiereisen. Zu den Entspannungsübungen

Beratung: Du kannst dich vertrauensvoll an das Team wenden. Sie beraten individuell, entweder schriftlich in der Online-Beratung oder im persönlichen Video-Gespräch. Das Angebot ist kostenfrei für alle pflegenden Ehe- und Lebenspartner, Eltern, erwachsenen Kinder und Enkel. Auch Kollegen, Freunde etc. können sich an die Beratungsstelle wenden. Die Beratung läuft anonym und die Inhalte unerliegen der Schweigepflicht. Zur Beratung

Besser schlafen: Du findest hier Tipps und Rat, wie pflegende Angehörige zu einem erholsamen Schlaf finden.


Insta-Live mit Jana Toppe zum Anschauen

Hier findet ihr den Link zum Live-Interview mit Jana



Podcast “Leben, Lieben, Pflegen” – Folge “Selbstfürsorge”

Nur wenn es einem selbst gut geht, kann man sich auch gut um jemand anderen kümmern. Das gilt auch für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz. Deshalb dreht sich in der fünften Folge alles um Selbstfürsorge. Anja Kälin und Peggy Elfmann sprechen unter anderem darüber, warum es so wichtig ist, sich um sich selber zu kümmern, wie man Überlastung erkennt und welche Strategien sie und andere pflegende Angerhörige gefunden haben, um gut für sich zu sorgen.

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