Sich um einen Menschen mit Demenz kümmern und zu pflegen – das funktioniert besser, wenn man ein Dorf an Unterstützenden hat. Fachleute sprechen vom Pflegenetzwerk. Es ist gut und wichtig für Angehörige, solch ein Netzwerk aufzubauen – und doch fällt es oft auch schwer. Das sehe ich auch an meiner Familie und berichte euch davon, wie wir langsam unser Netzwerk aufgebaut haben, zunächst mit der Tagespflege. Es braucht Mut, um Hilfe anzunehmen, aber es lohnt sich. Plus: Infos zur Podcastfolge “Ein Pflegenetzwerk aufbauen”

Eine der wohl größten Diskussionspunkte, wenn es um die Betreuung und Pflege meiner Mama geht, ist das Thema Unterstützung und Hilfsangebote. Als meine Mama vor zwölf Jahren die Diagnose Alzheimer erhielt, waren wir überfordert und voller Sorgen. Es war unklar, wie es weitergehen und wie sich die Krankheit entwickeln würde. Ich wusste, dass Alzheimer mit Vergessen einhergeht, aber was das alles beinhaltet, das wusste ich nicht.
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Wir dachten, wir würden es alleine schaffen
In einem der ersten Beratungsgespräche, ein oder zwei Jahre nach der Diagnose, sprach Josef Hille von der Alzheimer Angehörigen Initiative Leipzig das Thema Unterstützung an. Er klärte uns über die Möglichkeiten auf und gab Einblicke in diesen Pflege-Dschungel der Pflegeversicherung. Ja, es klang irgendwie alles nachvollziehbar, was er erklärte. Und doch dachten wir, dass wir das irgendwie hinbekommen würden, alleine in der Familie.
Heute ist das anders – es gibt ein Netzwerk für meine Mama, ein Pflegenetzwerk würden Fachleute sagen. Dass es dieses Netzwerk gibt, ist nicht selbstverständlich und ehrlich gesagt gibt es immer wieder Diskussionen darum. Und doch ist es so wichtig, dass es dieses Netzwerk gibt.
Hilfe holen fällt schwer
In der aktuellen Podcastfolge von “Leben, Lieben, Pflegen” von Desideria Care haben Anja und ich über das Thema Pflegenetzwerk gesprochen und Anja sagt darin: „Pflege alleine zu stemmen ist eine Herkulesaufgabe und das sollte ich immer auf mehrere Schulter verteilen.“ Das sehe ich genau wie sie – und doch weiß ich, dass das nicht so einfach geht. Denn Hilfe holen fällt schwer.
Im Laufe der Zeit brauchte meine Mama immer mehr Unterstützung. Das meiste davon erledigte mein Papa, mein Bruder und ich taten unsere Bestes, aber im Alltag waren wir doch meist nicht da. Papa war es, der sich um den Haushalt kümmerte, mit ihr spazieren ging, ihr beim Anziehen, Essen, Waschen… hilft. Der an ihrer Seite ist. “Es ist ganz schön viel geworden”, sagte er in manchen Momenten, aber meist war – und ist – er der Meinung: “Ich schaffe das schon.” Mein Papa wollte einerseits gerne Unterstützung haben, aber andererseits fiel und fällt ihm es so schwer, diese anzunehmen.
Wie können wir euch helfen? – Diese Frage haben mein Bruder und ich unzählige Male in den vergangenen Jahren gestellt – und meist die Antwort bekommen: “Das schaffe ich schon.” In verärgertem Ton und ich hatte das Gefühl, er fühlt sich angegriffen und nicht wertgeschätzt. Manchmal erzählte Papa mir auch, was er alles schon in seinem Leben geschafft hatte. Ohne Zweifel, das war eine Menge. Aber sich um einen Menschen mit Demenz zu kümmern, jeden Tag, von morgens bis abends und in der Nacht auch bisweilen, das ist etwas anderes.
Langsam ein Netzwerk aufbauen: Die Tagespflege
Es hat eine Weile gedauert, bis wir angefangen haben, ein Netzwerk aufzubauen. Lange haben wir in der Familie so unterstützt, dass die Dinge im Alltag funktioniert haben. Und es klappte auch. Meine Eltern erledigten alles eigentlich nur gemeinsam, für Papa ging es nur darum, dass es meiner Mama gut geht. “Ich will doch für eure Mutti da sein”, sagte er. Und doch kam er im Alltag immer häufiger an seine Grenzen. Als wir dies bei einem Termin mit Mamas Arzt ansprachen, empfahl er wiederholt die Tagespflege.
Ich weiß nicht genau, was der Wendepunkt war, aber ich erinnere mich gut an den Satz des Arztes: “Eine Demenz ist ein Marathon und kein Sprint.” Eine Tagespflege sei erst mal bestimmt eine gute Unterstützung, meinte er. Und er sagte offen, dass wir damit nicht mehr zu lange warten sollten. Denn Mama würde sicher auch Zeit benötigen, um sich daran zu gewöhnen – und irgendwann wäre der Zeitpunkt verstrichen, an dem sie das noch könnte.
Wie immer war Mama bei dem Gespräch dabei – und hatte Tränen in den Augen. Sie schaute immer wieder zu Papa und mir, nestelte unruhig mit den Fingern an ihrem Strickjäckchen. Hatte sie verstanden, um was genau sich unser Gespräch kreiste? Hatte sie verstanden, dass es nur um die Tagespflege ging und nicht etwa die Einweisung in ein Heim? Papa hatte stumm genickt, während der Arzt sprach. Er wirkte danach zerknirscht, war schweigsam auf dem Heimweg.
„Meinst du wirklich?“, fragte Papa am Nachmittag, als wir wieder zu Hause waren. „Wir können uns doch mal informieren und dann immer noch entscheiden“, schlug ich vor. „Soll ich mal einen Beratungstermin bei einer Tagespflege im Ort ausmachen“, fragte ich vorsichtig. „Ja, kannst du machen“, sagte er. Dieses Ja war das Signal, das ich brauchte, um mit der Recherche loszulegen. Gleich an dem Abend hatte ich eine Adresse im Internet herausgesucht und mich informiert. Zwei Tage später stand der Beratungstermin fest. Monatelang hatten wir darüber diskutiert, uns mal beraten zu lassen – und jetzt war es ganz schnell gegangen.
Hilfe anzunehmen braucht Mut
Der erste Schritt zum Hilfeannehmen war der schwierigste. Nicht vom Organisatorischen her, aber vom Emotionalen. Mit einem Anruf hatte ich den Termin bei der Tagespflege ausgemacht. Das hatte nicht länger als zehn Minuten gedauert. Aber der emotionale Faktor war umso höher. Wenige Monate später hatte Mama ihren ersten Tag in der Tagespflege, sie wurde zu einem wichtigen Partner in diesem Pflegenetzwerk.
In der Podcastfolge “Pflegenetzwerk” von “Leben, Lieben, Pflegen” sprechen Anja und ich darüber, wie man so ein Netzwerk aufbauen kann. “Ich glaube, es ist auch eine Frage der Haltung und des Mutes und zu sagen: Ich traue mich, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen”, sagt Anja.
Genauso erlebe ich es. Ich habe mich so oft gefragt, warum Papa nicht “einfach” Hilfe annehmen kann. Ich fühle mich bisweilen ziemlich hilflos deswegen. Aber ich kann nachvollziehen, wie es ihm geht: Es braucht Mut, zu sagen, dass man Hilfe braucht. Es braucht Mut, neue Dinge auszuprobieren. Es braucht Mut, fremde Menschen in die Wohnung lassen und sie bei der Pflege helfen zu lassen.
Es braucht, Mut neue Wege zu gehen.
Aber es lohnt sich. Mama hat sich in der Tagespflege immer wohl gefühlt, für Papa wurde sie zu einer wichtigen Entlastung und Unterstützung.
Was ich gelernt habe:
- Pflegenetzwerke sind immer individuell, denn Menschen mit Demenz haben unterschiedliche Bedürfnisse und pflegende Angehörige ebenso
- Es braucht manchmal Zeit, ein Netzwerk aufzubauen – und das ist okay.
- Ein Pflegenetzwerk entwickelt sich immer weiter und veändert sich, wie auch die Krankheit und das Umfeld.
Tipps, wie man so ein Netzwerk aufbauen kann und wer alles dazu gehören kann, die findet ihr in der Podcasfolge.

Liebe Peggy, ja es ist so schwer und braucht wirklich Mut Hilfe anzunehmen und sie auch zuzulassen. Wie Du ja weißt, musste ich ja sehr schweren Herzens meine Mama ins Heim geben, da ich die Pflege zu Hause einfach nicht mehr alleine stemmen konnte. Ich das einzige Kind, mein Papa schon lange tot. Trotzdem Mama und ich waren und sind so eng, dass ich sogar umgezogen bin um in ihrer Nähe zu sein, da wir keinen Platz bei uns bekommen haben. Und nun führen mein Mann und ich eine Wochenendehe, er unterstützt mich mit all seinen Kräften!
Trotzdem weißt du das ich nicht loslassen konnte, war jeden Mittag bis abends im Heim, hab fast immer meinen Mann Pendeln lassen, weil ich Angst hatte Mama geht’s nicht gut ohne mich. Freunde oder auch das Heim konnten sagen was sie wollten.
Bis ich vor 4 Wochen mit den Nerven so runter war das ich eine Entscheidung treffen musste. Ich musste auf die „ harte“ Variante lernen, Hilfe und Unterstützung auch zuzulassen. Unser Heim macht das super, anders als ich logisch, aber super.
Nun versuche ich wieder mehr Me-Time in mein Leben zu lassen und nur noch die schönen Momente mit Mama zu genießen und damit das nicht so schöne besser zu verarbeiten. Aber das schaffe ich alles nur, weil ich durch Deinen Blog, Desideria, inzwischen auch Psycholgin und auch anderen Angehörigen mir so ein Netzwerk aufgebaut habe um das zu leisten und meiner Mama einfach eine schöne Zeit zu machen 😘🥰
Liebe Ina,
ich schicke dir eine dicke Umarmung und eine Extra-Portion Selbstmitgefühl. Gut, dass du jetzt mehr auf dich achtest. Das ist so wichtig. Du kannst ja nur für deine Mama so gut da sein, wenn es dir gut geht (Das hast du vermutlich schon von vielen Menschen gehört, aber ich sage es gerne noch ein Mal, weil ich weiß, dass es dauert, bis man das annehmen kann.)
Du machst das ganz wunderbar und so gut, dass du Menschen gefunden hast, die dir Kraft geben. Dieser Austausch unter Angehörigen ist da Gold wert!
Liebe Grüße, Peggy
Hallo Peggy,
leider wurde mein Freund, seit 7 Jahren dement, in der Tagespflege sexuell belästigt von einem jungen Altenpfleger u diese Art von Unterstützung hat sich für uns erledigt u somit auch erstmal eine Kurzzeitpflege, damit ich mal in Urlaub/ Regeneration mit meiner süßen Hündin kann, da wir von Menschen immer wieder neu, nachdem wir vertraut haben, enttäuscht und leider ausgenutzt werden. Es reicht. So stemme ich wieder alles alleine und seine und meine Familien haben sich direkt bzw. später von uns abgewendet, sittenwidrigst und in einem Mehrfamilienhaus oder auch unterwegs gibt es weitere Probleme für uns. Lediglich und GottseiDank ist meine Golden Retriever Lady Luna bald 15 Jahre alt meine/ unsere treue Begleiterin .
Liebe Grüße
VAM
Liebe Veronika,
Das tut mir sehr leid, dass du und dein Freund so schlechte Erfahrungen gemacht habt. Vielleicht gibt es in deinem Umfeld jemanden, der dir da ganz konkret weiterhelfen kann? Wenn es um Unterstützungsleistungen geht, kommt es ja auch immer darauf an, was vor Ort tatsächlich vorhanden ist. Vielleicht kann dir die Pflegeberatung da weiter helfen?
Ich wünsche dir sehr, dass du noch Menschen findest, die dich unterstützen können. Gut, dass du Lady Luna hast. Die tut dir sicher schon mal gut.
Alles Gute und Liebe für dich und deinen Freund!
Liebe Grüße
Peggy