Heute möchte ich euch ein besonderes Buch vorstellen: “Nicht vergessen” von Eveline Helmink. Es geht nicht um Menschen mit Demenz, wie man beim ersten Blick meinen könnte, sondern richtet sich an deren Angehörige. Wie verliert man sich nicht, wenn ein naher Mensch mit der Demenz lebt? Wie schafft man ein gutes Miteinander in der veränderten Lebenswelt, wie gelingt es loszulassen, wenn man festhalten möchte? Es geht um all die schweren Gefühle, um Trauer, Angst, Scham – doch die Autorin findet die richtigen Worte und macht auch Mut. Ich habe mich sehr verstanden und geborgen gefühlt. Hier stelle ich euch “Nicht vergessen” vor.

Ich erlebe schöne Dinge mit meiner Mama, auch jetzt mit der Demenz. Und doch sind da natürlich viele Herausforderungen. Ich muss loslassen, obwohl ich doch festhalten möchte. Ich fühle mich häufig zerrissen, möchte für meine Mama da sein, genauso wie für meine Kinder und dazu kommen all die anderen Alltagsaufgaben.
In den Briefen an meine Mama schreibe ich regelmäßig über meine Gedanken und Gefühle. Die Rückmeldungen von den Blog-Lesenden zeigen mir, dass es anderen Angehörigen durchaus ähnlich geht. In diesem Teil der Buch-Tipps möchte ich ein Buch vorstellen, in dem es ebenfalls um diese schweren Gefühle geht. Und doch liest es sich leicht, macht Mut und gibt Zuversicht: “Nicht vergessen” (Knesebeck Verlag) von Eveline Helmink.
Diese Themen findest du in diesem Blog-Artikel
Was ist es für ein Buch?
Ein Ratgeber für Angehörige von Menschen mit Demenz. Aber auch Interessierte erhalten jede Menge hilfreicher Einblicke.
Buchfakten: „Nicht vergessen: Wie man sich selbst nicht verliert, wenn ein geliebter Mensch von Demenz betroffen ist“, Knesebeck Verlag, 2022, 25,00 Euro. ISBN 978-3-95728-669-7. Das Buch gibt es auch als E-Book (22,99 Euro).

Wer hat es geschrieben?
Eveline Helmink ist Journalistin. Sie arbeitet als Chefredakteurin der niederländischen Ausgabe der Zeitschrift Happinez. Ihre Mutter erkrankte an Demenz.

Worum geht’s?
In “Nicht vergessen” beschreibt die Autorin ihre eigenen Erfahrungen mit der Demenz ihrer Mutter. Es geht nicht um medizinisches Wissen über Demenzerkrakungen, sondern Eveline Helmink widmet sich vor allem den emotionalen Herausforderungen und den Veränderungen in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie berichtet über all die schwierigen Gefühle, die auftreten können, wenn ein naher Angehöriger die Diagnose Demenz bekommt und die Erkrankung immer weiter fortschreitet.
Die ersten Kapitel stehen unter dem Motto “Kenne dich selbst” und die Autorin schreibt über den langen Weg zur Diagnose. Wie bei so vielen Betroffenen dauert es auch bei der Familie der Autorin lange, bis die Veränderungen den Namen Demenz erhalten. Helmink beschreibt ehrlich, dass es schwer war, die ersten Symptome zu erkennen und einzuordnen und über die Demenz zu sprechen. “Es hat mit der Angst zu tun, die rund um die Diagnose “Demenz” herrscht”, schreibt sie. Wie bei so vielen Angehörigen, fiel es auch der Autorin schwer, überhaupt den Verdacht auf Demenz auszusprechen.
Eveline Helmink legt in ihrem Ratgeber den Fokus auf die Angehörigen. Sie erklärt beispielsweise, warum es so wichtig ist, den Blick auf sich selbst und nach innen zu richten:
“Es ist wichtig herauszufinden, wie du dein Gleichgewicht halten kannst, während du vielleicht eine der schwersten Lasten deines Lebens auf den Schultern trägst. Du musst darauf achten, welche Spuren die Demenz in deiem Leben hinterlässt, herausfinden, wer du bist und was du im Umgang mit der Demenz brauchst.” (S. 29, “Nicht vergessen”)
Die Autorin beschreibt, warum es vielen so schwer fällt, die Demenzerkrankung zu akzeptieren und wie es gelingen kann. Sie erläutert, was hinter Kummer steckt und warum Selbstmitgefühl so hilfreich sein kann. Eveline Helmink ist als Tochter einer Mutter mit Demenz den Weg gegangen, den so viele Menschen gehen – und das spürt man. Es sind authentische und ehrliche Erfahrungen, an denen sie ihre Lesenden teilhaben lässt.
Zentral ist auch das Thema Helfen beziehungsweise sich helfen lassen. Oft habe ich mich beim Lesen an meinen Papa erinnert gefühlt, der auch oft sagt: “Ich schaffe das schon”. Helmink erklärt, warum dies eben häufig eher das Gegenteil bewirkt.
“Dass wir es nicht alleine schaffen können, wir nicht und sonst niemand, ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich dir aus eigener Erfahrung mitgeben kann.” (S.101)
Im Alltag mit einer Demenzerkrankung zeigt sich irgendwann, dass man von Unterstützung profitiert, das gilt sowohl für die Menschen mit Demenz als auch für die Angehörigen. Die Gründe, warum die Hilfe verweigert wird, können ganz verschieden sein (man ist davon überzeugt, es selbst am besten zu machen, man hat nicht gelernt, Hilfe von anderen in Anspruch zu nehmen oder man fühlt sich verpflichtet, alleine für den anderen zu sorgen). Helmink hinterfragt all diese Glaubenssätze und ermutigt, sich an andere zu wenden und Unterstützung anzunehmen oder darum zu bitten. Sie geht sogar noch einen Schritt weiter und erklärt, warum es auch für andere wichtig ist, wenn man Hilfe sucht oder annimmt:
“Um Hilfe zu bitten oder mitzuteilen, dass man es allein nicht schafft, kann nämlich auch sehr kraftvoll sein… Es ist ein Zeichen von emotionaler Reife, zu erkennen und zu akzeptieren, dass wir auf dieser Welt miteinander auskommen müssen… Es ist uns oft nicht klar, dass man jemand anderem auch einen Dienst erweisen kann, indem man seine Hilfe akzeptiert. Wer Hilfe annimmt, gibt anderen die Gelegenheit, sich hilfreich und nützlich zu fühlen und etwas Neues zu erfahren.” (S. 103)
Auch optisch ist das Buch ein Hingucker. Die einzelnen Kapitel sind mit Fotos von Blumen bebildert und ein wunderschöner Hingucker. Das nimmt dem Thema Demenz auch optisch die Schwere und gibt Leichtigkeit und Schönheit. Die Vielfalt der Pflanzen lässt sich in gewisser Weise mit der Vielfalt der Demenz vergleichen. Jede Demenz verläuft unterschiedlich, denn sie hängt von der Art der Demenz ab sowie von dem Menschen und seine Lebensumstände.

Lernfaktor?
“Nicht vergessen” von Eveline Helmink ist ein Erfahrungsbericht und Ratgeber in einem. Sie erklärt nachvollziehbar, wie sich die Demenzerkrankung eines Angehörigen auf die eigene Gefühlswelt auswirkt und warum man Scham, Wut und Hilflosigkeit spürt. Ihre Erklärungen und auch die Tipps helfen dabei, mit all jenen Gefühlen besser umzugehen.
Sie beschreibt ehrlich, wie es ist, einen Menschen mit Demenz zu begleiten und bringt es mit ihren Sätzen klar auf den Punkt. “Egal, was du tust, es wird kein Happy End geben.” – Ja, das ist leider so. Es ist schwer, sich das einzugestehen, aber gleichzeitig auch entlastend. Mir hilft, mir bewusst zu machen, dass ich mein Bestes tun kann, aber doch die Prognose und die Krankheit nicht ändern kann.
Die Autorin redet die Erkrankung nicht schön, aber sie macht genauer hinzuschauen und vielleicht die Perspektive zu wechseln. Diese Worte haben mir sehr gut getan:
“Die Demenz kommt nicht in dein Leben, damit du etwas lernst. Aber wenn sie in dein Leben tritt, dann kannst du etwas von ihr lernen.” (S.13)
In vielen Kapiteln gibt es kleine Übungen und ganz konkrete praktische Anregungen, etwa Übungen zur Selbsterkenntnis, Tipps für kleine Energie-Auflademomente im Alltag (wie barfuß gehen oder fließendem Wasser zuhören), Ideen für kleine Liebestaten (mit Berührungen, den richtigen, wertschätzenden Worten) oder positive Worte, die einem selbst guttun (“Ich tue mein Bestes, und das ist genug.”).

Extras
HIer findet ihr eine Leseprobe von “Nicht vergessen”.
Mein Lieblinglingssatz
„Wir wissen nicht, was noch auf uns zukommt. Aber für möglich halten, dass – trotz allem – in der Zukunft auch etwas Schönes passieren kann, das heißt Hoffnung. “
Mein Fazit
Die Demenzerkrankung eines Angehörigen ist eine Ausnahmesituation und irgendwie auch nicht. So viele Menschen sind davon betroffen und in Gesprächen habe ich immer wieder diesen einen Satz gehört: “Ich habe mich so alleine gefühlt.” Und ganz ehrlich: Ich habe mich auch lange sehr alleine damit gefühlt. Das tue ich mitunter immer noch. Mir helfen Gespräche mit Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind oder waren und ich weiß: Ich bin nicht alleine mit all meinen Gefühlen.
Als ich dieses wunderbare Buch von Eveline Helmink gelesen habe, hatte ich ein ähnliches Gefühl. Ich habe mich verstanden und geborgen gefühlt. Man merkt der Autorin an, dass sie wirklich weiß, wovon sie schreibt, dass sie durch all die Tiefen gegangen ist. Und damit macht sie mir auch Mut. Mut dafür, dass wir diese Situation als Familie meistern werden und Mut dafür, dass ich vertrauen darf.
Verlosung von “Nicht vergessen”

Ich verlose ein Exemplar „Nicht vergessen“ von Eveline Helmink (Knesebeck Verlag).*
So könnt ihr teilnehmen: Beantwortet mir hier oder unter meinem Instagram- oder Facebook-Post folgende Frage: Wer oder was tut euch als Angehörige bzw. Pflegende gut? Jeder, der auf einem meiner Kanäle kommentiert, landet in der Losbox. Ich werde daraus den Gewinner/die Gewinnerin ziehen.
Ich freue mich, wenn ihr euren Freunden von der Verlosung erzählt und meinen Beitrag auf Instagram oder Facebook teilt.
Viel Glück!
* Zu gewinnen gibt es ein Buch „Nicht vergessen“. Wert: 25,00 Euro. Mitmachen könnt ihr hier auf dem Blog, auf Instagram und Facebook. Eine Teilnahme ist ab 18 Jahren möglich. Eine Auszahlung in bar ist nicht möglich und der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Mitmachen könnt ihr bis zum 1.3.2023 um 20:00 Uhr. Der/die Gewinner/in wird aus allen Teilnehmenden ausgelost und per Mail oder DM benachrichtigt.
Der Gewinn wurde zur Verfügung gestellt vom Knesebeck-Verlag. Herzlichen Dank dafür!
Meine Nachbarin und eine gute Freundin sind immer für mich da, wenn ich Unterstützung benötige.
Wie wunderbar! Gut, dass du Menschen um dich hast, die für dich da sind 💜💜💜
Mir tut es gut, mich mit zwei Freundin auszutauschen die in einer ähnlichen Situation sind, auch wenn mein Mann mich einfach zu einem Spaziergang entführt wenn er merkt das mein Gedankenkarussel wieder nicht aufhört vor lauter Sorge und schlechtem Gewissen noch zu wenig für meine Mama zu tun.
Wie schön, dass du so liebe Menschen an deiner Seite hast. 💜💜💜
Meine Mutter ist nicht von Alzheimer betroffen, trotzdem Pflegebedürftig. Ich lese den Blog stets sehr gerne und bewundere deine Offenheit im Umgang mit deiner Mutter.
Mir hilft es, wenn ehrlich zugehört und dich hineingeführt wird. Konkret bin ich immer wieder so da klar für meinen Mann, dass ich mich immer und immer wiederholen kann und er immer zuhört.
Mir hilft die/unsere Community, in die ich seit Jahren hineingewachsen bin. Es tut so gut, nicht allein zu sein.
Das tut mir auch so gut 😉💜
sich Freiräume schaffen, tut gut! Leider ist mein Vater vor gut 1 Jahr gestorben, aber ich verfolge immer noch gerne hier deinen Blog:-)
mach weiter so und noch viel Kraft für Dich und Deine Familie
Ganz lieben Dank dir!
Mir helfen unsere Alltagshelfer, Gespräche mit Freundinnen, Auszeiten mit meinem Mann – wir haben einen Tanzkurs begonnen, da muss ich mich so konzentrieren, dass ich das Gedankenkarussel automatisch abstellen kann – und wenn mein Sohn mich zum Lachen bringt, wenn ich für mich mal alleine ein Buch lese und Musik höre.
Mir tun Gespräche mit meinem Mann gut und wenn wir trotzdem wir seine Mama pflegen manchmal albern sind und lachen können, manchmal auch allein sein und yoga machen nur für mich.
Ich kümmere mich in der Nähe um 3 Senioren (Eltern und Tante) und aus der Ferne noch um die Schwiegereltern. Mir tut es gut, wenn ich mal ein ehrliches “Danke” höre – egal ob von den Personen direkt oder wenn mir mal ein Arzt Anerkennung gibt, wenn ich bei den Terminen dabei bin.
Falls ich das Buch gewinnen sollte, werde ich es an meine Schwiegermutter weitergeben, die ihren Mann seit Jahren begleitet und wo nun ein Erkennen immer unwahrscheinlicher geworden ist. Es gibt leider nur noch sehr seltene “ja” oder “nein” Wörter. Alles andere läuft nonverbal, was oft so schwierig ist.
Vielen Dank, liebe Peggy für dein unermütliches Schreiben und Recherchieren in Bezug auf Demenz.
Liebe Dagmar,
Da hast du (leider) recht, ein ehrliches DANKE kommt selten, umso kostbarer ist es.
Liebe Grüße
Danke, dir liebe Dagmar!
Es tut gut zu wissen, dass man nicht alleine ist und dass unsere Pfleglinge im tief im Inneren irgendwo wissen, dass wir sie lieben. Gleichzeitig hilft mir eine regelmäßige Auszeit aus dem Pflegealltag. 😊
Liebe Peggy, vielen Dank für dein unermüdliches Engagement! Mir tut es gut, wenn Mama in der Tagespflege ist und ich weiß sie ist gut aufgehoben und hat Spaß. Dann kann ich einmal abschalten. Liebe Grüße Andrea
Vielen Dank, liebe Andrea! Schön, dass es bei euch mit der Tagespflege klappt. Diese Auszeiten sind ja so wichtig. Ganz liebe Grüße an dich und deine Mama
Hallo Peggy!
Ich bin durch einen Zeitungsartikel in unserer Zeitung auf deinen Blog gestossen.
Ich bewege mich momentan in einer Blase. Ich bin Altenpflegerin in einer Tagespflege. Meine Arbeit mit überwiegend dementiellen Erkrankten ist eine Bereicherung, der ich mich täglich immer gerne stelle.
Vor kurzem hat mein Vater die Diagnose Alzheimer Demenz erhalten. Es hat mir den Boden unter den Füßen gerissen.
Hast du ein Tipp, wie ich den Umgang mit meinem Vater als Tochter sehen kann und nicht als Altenpflegerin.
Ausserdem mache ich gerade unabhängig von meiner Situation eine Weiterbildung zur Gerontopsychatriefachkraft. In einer Projektarbeit möchte ich mich den Angehörigen widmen. Hast du eine Idee, was Angehörige brauchen, um mit ihrer Situation besser umgehen zu können?
LG daniela
Liebe Daniela,
danke für dein Interesse. Zunächst einmal: Es tut mir sehr leid, dass dein Vater die Diagnose Alzheimer bekommen hat. Ich kann erahnen, wie es dir gerade geht. Ich glaube, wenn man privat mit der Krankheit zu tun hat, dann ist das noch mal was ganz anders als als Fachkraft. Pflegen ist ja vor allem auch eine emotionale Aufgabe.
Du fragst, was dir bzw. euch helfen kann: Ich glaube, Fachwissen hast du vermutlich schon sehr viel. Ich fand es damals sehr hilfreich zu lesen, wie es Betroffenen geht, um diese Perspektive zu sehen. Da kann ich dir Bücher empfehlen, falls du magst. Zum Beispiel: “Herausforderung angenommen” von Beni Steinauer, “Ich habe Demenz – und ist nicht ansteckend” von Yasemin Aicher und natürlich auch “Alzheimer und ich” von Richard Taylor. In meinem Buch “Mamas Alzheimer und wir” geht es natürlich auch sehr um meine Sicht als Tochter. Vielleicht auch was?
Zu deiner anderen Frage können wir gerne mal telefonieren. Da gibt es sehr viele Dinge, die Angehörige brauchen könnten. 🙂
Liebe Grüße
Peggy
Danke für diesen Blog (aus der ApoUmschau). Meine Mutter ist seit 2 Jahren in einem Berliner Pflegeheim. Bei ihr war das Vergessen sturzbedingt schlagartig. Wir Töchter haben viel Mühe, Kooperation im Heim zu erreichen. Wir fühlen uns eher als Störfaktor im stressigen Getriebe der Pflegekräfte, was frustrierend ist. Der nun fremdbestimmten Mutter lauschend Raum geben und mit ihr gute Stunden leben zu wollen ist das Plus der Angehörigen. Die Pflege/Betreuung(?) zeigt sich nur knapp funktional. Wie schön, wenn jmd im Dienst (s.o.) Interesse für Angehörige signalisiert zum Wohl aller Beteiligten. Wie schwer jede Woche von Mutter zu hören, ich muss hier weg. Aber wo ist’s besser? Birgit
Ein sehr wichtiger Satz in Ihren Ausführungen ist der: “Jede Demenz ist anders!” So haben wir niemals Trauer empfunden. Wir haben zwar oft über das Sterben gesprochen und das Leben des Überlebenden danach. Aber das ist unendlich und nicht vorhergesehen viel schwerer! Mit der Demenz meiner Frau hätten wir “noch 50 Jahre leben” können! – Es war trotz der Demenz eine schöne Zeit in unserem Leben, für die ich dankbar bin!