Seit Tagen steigen die Zahlen der Neuinfektionen rasant, das Robert-Koch-Institut meldet immer wieder Höchststände. Politiker*innen mahnen zu Vorsicht, Umsicht und vor allem dazu, zu Hause zu bleiben. Was in meinem Fall heißt: nicht zu euch fahren. 400 Kilometer trennen uns. Wenn ich mit dem Zug fahre, begegne ich unweigerlich Menschen. Autofahren wäre sicherer, aber auch dann gibt es ja die Möglichkeit, dass ich selber infiziert bin (und es noch nicht weiß) und das Virus zu euch trage. Was tun? Wann können wir uns wiedersehen, liebe Mama? Über mein ganz persönliches Dilemma dieser zweiten Welle, den Versuch, eine Lösung zu finden und was ich für mich und uns tun kann

Liebe Mama,
das Coronavirus macht mich ratlos. Denn schon wieder frage ich mich deshalb voll Sorge: Wann können wir uns wiedersehen?
Egal, wo ich lese, überall geht es um Corona, um die neuen Zahlen und um die zweite Welle, die jetzt gerade richtig anrollt. Es geht um Strategien, um “gut durch die Krise zu kommen” oder darum, wie man sich im Homeoffice einrichtet. Ich selbst habe auch Interviews dazu geführt, etwa mit der Kinderärztin Dr. Karella Easwaran. Ich habe sie nach Tipps für Familien gefragt, um gut durch die zweite Welle zu kommen, und ihre Antworten fand ich für mich hilfreich. “Wir haben ja schon einmal einen Lockdown erlebt. Überlegen Sie sich: Was war nicht in Ordnung? Was will ich anders machen?”, sagte sie. Und: “Wir müssen vertrauen. Wir Menschen haben diese wunderbare Fähigkeit, dass wir uns anpassen können.”
Schon wieder im Corona-Dilemma
Blöderweise kommt mir dieses Vertrauen gerade beinahe abhanden. Da reden Politiker*innen davon, dass man doch jetzt bitteschön mal zu Hause bleiben solle statt zu verreisen oder Partys zu feiern. Dass man möglichst Abstand halten und auf Kontakte außerhalb der Familie verzichten solle. Es stünden schwierige Monate bevor, mahnte Angela Merkel. “Das entscheiden wir alle durch unser Handeln”, fügte sie hinzu. Und ich stecke schon wieder in dem gleichen Dilemma wie im Frühjahr diesen Jahres, als ich nicht wusste, wann wir uns wiedersehen.
Nun war ich schon ein paar Wochen nicht mehr bei dir. Wir halten Kontakt, ja, sogar mehr als zuvor. Wir haben tatsächlich ein Tablet gefunden, das Papa bedienen kann und ich genieße es, dich lächeln zu sehen. Aber das alles ersetzt natürlich nicht die echte Nähe und Geborgenheit, die ich geben könnte, wenn ich bei dir bin. Und das nimmt Papa auch keine Last bei der täglichen Pflege und Arbeit im Haushalt ab. Der Besuch bei euch ist längst überfällig und ich freue mich schon so darauf. Aber darf ich jetzt überhaupt noch zu euch fahren?
Die Corona-Fakten und was das bedeutet
Die Neu-Ansteckungsrate macht mich unruhig. Das Robert-Koch-Institut vermeldete heute 4325 Neu-Infektionen (19.10.20202). In München liegt seit über einer Woche der 7-Tages-Inzidenz-Wert über dem kritischen Wert von 50. Seit ein paar Tagen gilt eine Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen und Kontaktbeschränkungen von maximal fünf Personen Meine beiden Schulkinder tragen von morgens bis nachmittags ihre Masken, auch in der Grundschule ist das nun Pflicht. Der Kindergarten war für einen Tag geschlossen, weil es einen Verdacht gab. Ich habe versucht, optimistisch zu bleiben, aber die neuen Entwicklungen nehmen mich mit. Mir fällt es schwer, ruhig zu bleiben. Ich mache mir Sorgen um dich und Papa
Während sich in den vergangenen Wochen vor allem jüngere Menschen infizierten, nehmen aktuell die Erkrankungen älterer Menschen zu. Und wie zum Beispiel der Neurologe Prof. Dr. Richard Dodel im Video-Format Nachgefragt der Apotheken Umschau erklärte, zeigen Menschen mit Alzheimer häufiger einen schweren Verlauf von Covid-19. Dass du dich mit Corona infizierst, möchte ich auf keinen Fall. Es gilt, dich und Papa zu schützen.
Besuchen oder nicht?
Heißt dich zu schützen auch, dass ich dich nicht besuchen sollte? Im Frühling war ich davon überzeugt, dass es die einzige Möglichkeit sei und ich habe versucht, euch auf andere Art und Weise nah zu sein. Aber jetzt denke ich: Nein, das geht auf keinen Fall. Denn ich erinnere mich auch, wie anstrengend die Zeit für Papa war, weil die Tagespflege geschlossen war und er alleine den 24-Stunden-Pflege-Job erledigt hat. Das möchte ich nicht noch einmal. Nicht für ihn, aber auch nicht für dich.
Liebe Mama, du hast vermutlich nicht verstanden, was dieses neue Coronavirus ist und welche fatalen Auswirkungen es auf den Körper haben kann. Aber du hast die Unruhe und die Anspannung gespürt, die es verbreitet hat. Und ich glaube, dass dir auch die netten Pflegerinnen in der Tagespflege gefehlt haben, ein anderes Umfeld, in dem du gezielt gefördert wirst in dem, was du noch kannst.
Die Infektionszahlen werden in den kommenden Wochen weiter steigen, vermutlich werden auch die Schulen mal wieder schließen und der Kindergarten ebenso. Ich werde jonglieren mit Job und Kind und eine halbe Stunde zu joggen wird sich wie die große Freiheit anfühlen. Wenn ich an all das denke, werde ich fast panisch. Aber das bringt ja nichts, oder?
Weißt du noch, als ich ein Kind war und mal krank war oder mich verletzt hatte? Dann hast du meist gesagt: “Das beobachten wir mal.” Du fehlst mir jetzt in dieser Corona-Zeit, du mit deinem Urvertrauen. Du kannst es mir nicht mehr sagen, aber daran zu denken, hilft mir ein bisschen und bringt tatsächlich ein wenig Vertrauen und Mut.
Regeln einhalten, damit du gesund bleibst
Wie kann es also funktionieren, dass ich euch besuche? Wie kann ich euch vor einer Infektion schützen? Die Basis-Regeln gelten immer noch und sind wichtiger denn je: Abstand halten, Maske tragen, Händewaschen, Nies-Etikette einhalten. Auch hilfreich: Die Corona-Warn-App zu nutzen. Und wichtig: regelmäßig lüften.
Es sind kleine Dinge, die wichtig werden. “Die Summe der vielen kleinen Alltagsentscheidungen jedes Einzelnen bestimmt, ob wir die Infektionsketten unterbrechen können oder immer tiefer in die zweite Welle schlittern”, hat die Corona-Forscherin Prof. Isabella Eckerle in einem Gastbeitrag auf Zeit-Online geschrieben. Sie hat erzählt, wie sie sich schützt und worauf jeder achten kann. Sehr lesenswert – und hat mir geholfen, etwas von der Hoffnungs- und Ratlosigkeit zu nehmen.
Ich überlege jetzt dreimal, wann ich euch besuche und wann ihr mich braucht. Den Tipp von Prof. Christian Drosten zur Vorquarantäne finde ich sehr pragmatisch und hilfreich. Er rät dazu, sich einige Tage, besser noch eine Woche vor dem Besuch in Quarantäne zu begeben und die Kontakte einzuschränken. Denn das Virus hat eine Inkubationszeit von im Schnitt fünf, sechs Tagen, maximal bis 14 Tage.
Liebe Mama, dieses Virus zehrt an meinen Nerven und meiner Kraft. Ich habe auch Angst und manchmal dreht sich in meinem Kopf alles. Ich hoffe, dass wir gesund bleiben – und dass wir uns bbald wiedersehen.
Deine Peggy
2 Gedanken zu „Liebe Mama, wann können wir uns wiedersehen? – Corona, die Zweite“