Ich möchte euch ein ganz besonderes Kinderbuch vorstellen in meiner Reihe der Kinderbücher über Alzheimer und Demenz. “Auf meinem Rücken wächst ein Garten” ist die Geschichte von Fido und seinem Opa. Das Buch hat mich sehr beeindruckt. Die Farbenpracht, die künstlerische Umsetzung, die berührenden Worte – es ist ein Bilderbuch vom Vergessen und Erinnern und von ganz viel Liebe

Vielen von uns fällt drinnen die Decke auf den Kopf, draußen grünt und blüht es. Der Frühling zeigt sich gerade von seiner schönsten Seite. Ich genieße die Spaziergänge oder Mini-Fahrradtouren mit den Kindern sehr: Die Bäume blühen, die Blumen strahlen, es riecht so wunderbar nach Frühling. Da kommt das Kinderbuch “Auf meinem Rücken wächst ein Garten” von Birgt Unterholzner und Leonora Leitl (Picus Verlag) genau richtig (eine Leseprobe findet ihr am Ende des Artikels).
Kleine Details führen in die Welt der Demenz
In dem Buch geht es um Fido und seinen Opa Friedel. Der Opa leidet an Demenz. So klar spricht Fido das nicht aus. Fido stellt seinen Opa in kleinen Bruchstücken vor. “Opa sammelt Schätze”, erzählt er. Fido zählt auf, was der Opa alles Wunderbares an Sammelstücken hat: Bücher, Zeitungen, Glühbirnen, Steine, aber auch einen Puppenschuh und ein Taschentuch mit vier Knoten.
Es sind diese kleinen Dinge, die diese Welt der Demenz so genau zeigen. Ein Taschentuch mit vier Knoten – das ist für uns entweder absurd oder sonderbar oder unwichtig. Für mich auch. Ganz ehrlich: Ich würde so etwas wahrscheinlich nicht einmal wahrnehmen, in meinem Alltagstrott. Meine Töchter jedoch, die würden, wie der kleine Fido, so etwas bemerken.
Und ich denke unweigerlich an meine Mama, die eine Zeit lang sehr viel gesammelt hat. Darunter waren etliche Taschentücher. Heute tut es mir ein wenig leid, dass ich es als Müll abgetan habe. Vielleicht hat es eine Bedeutung gehabt für sie? Sie hat immer etwas von ihren Spaziergängen in der Natur mitgenommen: eine Blüte, einen Stein, ein paar Grashalme und sich darüber gefreut.

Der Opa geht nachts spazieren. Er ist manchmal traurig und hilflos. Und er wird wütend. Das alles sind die nicht so schönen Momente der Demenz – und sie wird in Kinderbüchern häufig ausgespart. Wie habe ich mich gefreut, dass “Auf meinem Rücken wächst ein Garten” auch diese Themen anspricht, und das auch noch auf eine sehr schöne Art und Weise. Es sind einzelne kurze Sätze, aber sie zeigen ganz klar die Gedanken und Gefühle des Opas. “Ich muss mein Daheim suchen” oder “Sie wollen mich in einen Raubtierkäfig einsperren.” Das ist keine Erklärung von außen über die Demenz, es zeigt, wie sich der Opa fühlt. Die Illustrationen unterstützen dieses Gefühl.
Eine Collage an Illustrationen, Schriften und Texten
“Auf meinem Rücken wächst ein Garten” ist eine großartige Collage, an Illustrationen, Schriften und Texten. Es gibt prächtige Illustrationen mit knalligen Farben – und eine Seite, die ist fast nur beige und grau. Oft ist es eine Mischung aus abstrakten Zeichnungen mit liebevollen und stimmigen Details. Durch das Buch ziehen sich schwarz-weiße Illustrationen von Schmetterlingen und Schnipsel von Zeitungs- oder Buchtexten auf. Beim ersten Lesen war ich ein wenig überwältigt von dieser Fülle.
Beim zweiten Mal habe ich gemerkt, dass man diese Seiten nicht einfach so weiterblättern kann. Ich habe den Text gelesen und mir dann viel Zeit für die Illustrationen gelassen. Meinen Kindern ging es ähnlich. Beim dritten Mal hatte ich meine kleinste Tochter auf dem Schoß, die sich mit ihren gerade vier Jahren, die Bilder sehr genau angeschaut hat. In “Auf meinem Rücken wächst ein Garten” gibt es so viel zu entdecken.
Leben mit Demenz: So sehen Gefühle aus
Meine Kleine, die eigentlich gar nicht wollte, dass ich ein Buch lese, sondern, dass ich mit ihr und den Playmobil-Pferden spiele, saß mit einem Mal still auf meinem Schoß. Ich las vor. Wir alle staunten über diese Illustrationen. Ich war beeindruckt von diesen kreativen und kunstvollen Bildern. Da ist der Opa, der die Orientierung verliert, der sich für nichts gut fühlt. Man könnte auch sagen “Er ist ein Schatten seiner selbst” – und sieht daneben diese weiße Gestalt inmitten der bunten Welt. Was für eine passende Bebilderung für das Gefühl des Verlorenseins und der Einsamkeit.

Besonders schön fanden wir alle die letzte Seite. Opa und Fido sitzen in völliger Harmonie nebeneinander. Ihre Augen sind geschlossen, aber sie sind dennoch beieinander, das kann man gut erkennen. Der Opa schmiegt sich an Fido und Fido schmiegt sich an den Opa. Sie haben beide ein seeliges, durch und durch zufriedenes Lächeln in ihren Gesichtern. “Das ist aber ein schöner Schluss”, rief ich aus, als ich mit dem Vorlesen fertig war. “Kinderbücher gehen immer gut aus”, sagte meine Siebenjährige. ‘Ja, Kinderbücher schon, aber das Leben doch nicht’, dachte ich traurig.

Kreativer Umgang mit den Texten und der Bildsprache
Fido verbringt viel Zeit mit seinem Opa, das wird schnell klar. Die Art, wie Fido von seinem Opa erzählt, ist ganz besonders – und sie ist auch nicht ganz einfach zu lesen. Meine Siebenjährige hat sich beim Lesen ein paarmal gewundert und auch die Elfjährige fragte: “Wer sagt das jetzt?” Beim ersten Lesen war sogar ich ein bisschen verwirrt. Aber wie gesagt: Dieses Buch braucht Zeit. Naja, man kann es natürlich auch einfach lesen. Wenn man sich aber Zeit nimmt für dieses wunderbare Buch – und das kann ich nur empfehlen –, dann kann man so viel daraus ziehen. Und man kommt in wunderbare Gespräche mit seinen Kindern. Über Alzheimer und noch viel mehr.

Die Texte sind mal von der Innensicht, mal von der Außensicht geschrieben, wobei nicht klar gekennzeichnet ist, wer gerade was sagt oder denkt. Die Handlung ist nicht stringent, wie das in vielen Kinderbüchern der Fall ist. Das Buch ist laut Verlag für Kinder von fünf bis sieben Jahren geeignet. Nun ja, ich habe es sozusagen bei einer Vier-, Sieben- und Elfjährigen getestet und kann sagen: Eigentlich eignet es sich für jedes Alter. Denn durch die wahnsinnig schönen Illustrationen kommt es auch bei kleinen Kindern gut an.
Glücklichmacher für Menschen mit Demenz
Und Fido und sei Opa machen tolle Sachen. Sie erfinden Listen mit Glücklichmachern. Darin kommen solche Dinge vor, wie eine Sammlung Glasmurmeln, eine Eulenfeder, kopfüber an einem Ast, barfuß in Pfützen springen… Bei jedem einzelnen riefen meine Töchter: “Oh ja!” und ich dachte auch “Wie schön!” Ich meine, gibt es etwas Schöneres als im warmen Sommerregen durch Pfützen zu laufen? Oder auf einen Baum zu klettern und sich herabhängen zu lassen? Als Kind habe ich beides getan – und geliebt. Als Erwachsene habe ich schon fast vergessen, wie wunderbar diese Dinge sind. Was für ein Glück, dass Opa Friedel und Fido gemeinsam so viele schöne Erlebnisse teilen können.
Der Inhalt und die Sätze, das verstehen allerdings nur ältere Kinder. Auch dieser Perspektivwechsel braucht ein wenig Erfahrung im Bücherlesen. Die Sätze reihen sich nämlich nicht als Erklärungen oder Erzählungen aneinander, sondern sie spiegeln auf eine kreative Art und Weise, wie Betroffene mit Demenz sich und die Welt um sie herum erleben. Und das ist nun mal nicht logisch, sondern oft ganz eigen, weil sie in ihrer Anders-Welt sind. Mir gefällt auch die Bildsprache, mit der die Autorin arbeitet.
Unser Fazit
Dieses Buch ist eine wunderbare Collage, mit verschiedenen Elementen. Sie ergeben ein großes Ganzes, auch wenn da Lücken und Sprünge sind. “Das ist wie, wenn man Alzheimer hat. Der Oma ist ja auch nicht immer alles klar und logisch”, erkläre ich. “Ja, dann ist das gut so”, beschied meine große Tochter.
Meine mittlere Tochter freute sich über das Ende. Noch mehr freute ich mich darüber. Denn der Opa kann seinem Enkel etwas mitgeben. Er ist nicht nur der Opa mit Demenz, sondern aus ihm erwächst etwas. Er hat gelebt und Erfahrungen gemacht, teilt all dies mit dem kleinen Fido – und der kann darauf zurückgreifen. Ich freue mich so sehr über dieses Ende, weil es den Menschen mit Demenz wertschätzt. Der Opa ist wichtig, trotz seiner Krankheit. Eine schönere Aussage kann ein Kinderbuch über Alzheimer und Demenz eigentlich auch nicht haben.
Buchinfo: Auf meinem Rücken wächst ein Garten. 2016. Birgit Unterholzner, Leonora Leitl. Picus Verlag.
Hier geht es zur Leseprobe vom Verlag “Auf meinem Rücken wächst ein Garten”
Ein Gedanke zu „Kinderbücher über Alzheimer im Check: Nr. 6 „Auf meinem Rücken wächst ein Garten““