Wir leben inmitten des neuen Corona-Alltags. An manche Dinge habe ich mich schon fast gewöhnt: dass die Kinder immer zu Hause sind und ich gefühlt dauernd koche (und esse). Die Beschränkungen und das Kontaktverbot beschäftigen mich noch immer sehr – und vor allem auch die Frage, wie es dir geht und wie ich dir in diesen Corona-Zeiten helfen kann. Denn ich vermisse diese Nähe, auch wenn sie nur ab und an ist. Ich bin so traurig, dich gar nicht sehen und hören zu können

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Liebe Mama, wie können wir uns jetzt nah sein?
Meine erste spontane – und zugegeben sehr patzige – Antwort auf diese Frage war: Gar nicht.
In vielen Bundesländern gibt es Lockerungen, aber hier in Bayern herrschen immer noch strenge Regeln. Aufgrund der Beschränkungen kann ich nicht zu dir und Papa reisen. Private Kontakte sind weiterhin stark eingeschränkt. Die Abstandsregeln gelten weiterhin. Statt in der Schule lernen die beiden Großen per Home-Schooling. Die Kleine kann nicht in den Kindergarten, der bis auf weiteres geschlossen bleibt. Noch immer lautet die Empfehlung, dass Kinder ihre Großeltern nicht besuchen sollten. Ich verstehe ja den Grund, und ich möchte natürlich auf keinen Fall, dass wir den Coronavirus zu euch tragen. Dieser Gedanke hat mich in den vergangenen Wochen immer wieder beruhigt.
Aber ich merke, wie ich unruhig werde. Wie ich genervt reagiere. Trübsinnig werde. Die Hoffnung verliere. Weil ich nicht weiß, wann das alles vorbei ist, oder wann es zumindest besser wird und ich dich wiedersehe.
Verstehst du, warum wir dich nicht besuchen?

Vor ein paar Tagen habe ich gesehen, dass die Deutsche Alzheimer Gesellschaft ein Informations-Blatt herausgebracht hat, um Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen die Corona-Situation und die Hygieneregeln zu erklären. Eine super Idee, das hilft sicher vielen Menschen. Verstehst du das? Bekommst du mit, wie rasch und fatal sich dieses neue Coronavirus ausgebreitet hat? Was für eine Panik die Menschen hatten und immer noch haben? Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, nicht.
Verstehst du, warum nun schon relativ lange keiner von deinen Kindern bei dir war? Mein Bruder und ich, wir versuchen uns so gut es geht abzuwechseln, sodass regelmäßig jemand von uns bei dir und Papa ist. Aber momentan traut sich keiner von uns. Ja, im Notfall könnten wir wahrscheinlich einfach zu dir fahren und keine Polizei könnte uns aufhalten oder verwarnen. Wir haben eine Vollmacht – und du kannst nicht mehr alleine leben.
Wenn Papa erkranken würde oder einen Unfall hätte, wären wir sofort da und würden für dich sorgen. Aber du bist eigentlich ja gut versorgt zu Hause. So haben wir Angst, dich anzustecken. Dass wir das Virus vielleicht schon unbemerkt in uns haben und an dich weitergeben. Anders als wir, gehörst du zur Risikogruppe für schwere Krankheitsverläufe. Die Vorstellung, du müsstest in ein Krankenhaus, alleine und ohne zu verstehen, was da passiert, ist schlimm, da wählen wir lieber den Abstand.
Alzheimer und Corona: Wie kann Nähe gelingen?
Aber es ist einfach schwer, dich und Papa in diesen Zeiten nicht zu sehen. Ich weiß, Papa vermisst die Nähe ebenfalls. Aber wie geht es dir, meine liebe Mama? Spürst du diese Unruhe, die das Coronavirus verbreitet? Ist dir langweilig, weil du keine Ablenkung durch die Tagespflege und das Programm dort hast?
Papa sagt, dir geht es gut. Natürlich geht es dir gut, du hast ja ihn. Er kümmert sich rührend um dich und versorgt dich mit so viel Liebe, dass du deine beiden Kinder und deine Enkeltöchter vermutlich nicht vermisst.
Aber weißt du, ich vermisse dich. Ich würde dich gerne mal in den Arm nehmen. Ich würde deine Hand halten, ganz fest und mit dir zu dem kleinen Ententeich spazieren. Wir würden die Treppen nehmen. Ja, genau die Treppen, die dir manchmal Angst machen, aber ich würde Katrins Trick mit dem Zählen anwenden und dich ein bisschen fordern und fördern – und wir würden uns beide freuen, wenn es klappt.
Kleine Momente der Nähe jetzt im Corona-Alltag…
Ich versuche, mein Bestes, um dir eine Freude im Corona-Alltag zu machen. Ich habe euch geschrieben. Die Kinder haben Karten gemalt. Wir haben ein Lied gesungen und euch das Video geschickt. Ich mache Bilder von den Kindern und mir und schicke sie Papa über das Handy. Aber ich weiß auch, dass du dir Bilder gar nicht richtig anschaust, dass du uns darauf gar nicht mehr erkennst. Immerhin: Papa hat dadurch eine kleine Freude – und das ist in seinem Rund-um-Job als pflegender Angehöriger – ja auch gut, aber dich, dich erreiche ich nicht.
Ich habe dir Blumen geschickt und Schokolade. Du liebst es immer noch, Blumen zu sehen und an ihnen zu riechen. Und du naschst gerne. Papa hat gesagt, dass du dich gefreut hast. Das zu hören, tut schon mal gut. Und ich freue mich, dass ich dir ein paar Glücksmomente schenken konnte, auch wenn ich in der Ferne bin.
Aber ich wünschte, Papa wäre technisch interessierter und würde auch mal ein Bild von euch schicken. Einfach ein wackeliges Handy-Foto wäre schon fein. Damit ich dich sehen kann.
… und später echte Nähe leben
Ich rufe an und erzähle und danach bereue ich es, dass ich nicht fröhlich war. Aber ich bin gerade sehr genervt und frustriert. Ich würde gerne raus und reisen. Mit den Kindern gerne in den Zoo, auf den Spielplatz und vor der Eisdiele sitzen. Ich würde gerne Freundinnen treffen und vor allem auch dich.
Mir tut es gut, wenn ich trotz der Entfernung für euch etwas machen kann. Ich habe gestern den Demenz-Podcast gehört. Es war eine Sondersendung zum Thema Corona und Demenz. Und ein Satz von einem Experten hängt mir immer noch im Ohr. “Die Corona-Zeit ist nicht zu Ende, wenn die Geschäfte wieder offen sind. Das Corona-Problem wird weiter da sein.” In diesem Sinne ist es wichtig, dass wir klären, was du brauchst, um gut versorgt zu sein und dass du Helfer an deine Seite bekommst.
Dass ich jetzt vielleicht Zeit habe, Telefonate zu führen und mich nach künftigen Hilfsangeboten zu erkundigen. Dass ich die Zeit nutze, um mich zum Thema Demenz und Alzheimer weiterzubilden, ob das nun im Podcast oder im Webinar ist. Davon kannst du ja eigentlich auch nur profitieren. Und ich lerne dabei jede Menge. Ich verstehe deine Krankheit besser und kann so versuchen, dich zu unterstützen.
So richtig nah können wir uns gerade nicht sein. Ich gehe auf Abstand und halte mich an die Abstandsregeln, damit wir uns bald wieder nah sein können. Vielleicht ist das alles, was ich gerade tun kann. Oder kann ich noch mehr machen?

Ich habe euch ein paar liebe Zeilen geschrieben und ein paar Schutzmasken mit in die Post gesteckt. Das ist nicht viel. Aber vielleicht sind all diese Kleinigkeiten doch hilfreich, damit ich dir nahe sein kann – und vor allem, wir uns nah.
Ich hoffe es sehr!
Deine Peggy
7 Gedanken zu „Liebe Mama, wie können wir uns jetzt in dieser Corona-Krise nah sein?“