Was ist der richtige Weg mit der Demenz umzugehen? Diese Frage beschäftigt viele Menschen, sowohl diejenigen, die diese Diagnose bekommen haben als auch auch ihre Angehörigen. Ich denke, es kommt dabei auf zwei Dinge an: planen und flexibel sein. Auf den ersten Blick widersprechen sie sich vielleicht. Aber ich bin überzeugt davon, dass beides zusammengehen kann. Wie und worauf es dabei ankommt, das erfahrt ihr in diesem Beitrag. Und ich gehe der Frage nach, wann der beste Zeitpunkt für das Planen ist.

Diese Themen findest du in diesem Blog-Artikel
Wie findet man seinen Weg mit der Demenz?
Ich habe mich in den vergangenen Wochen viel mit dem Thema Wege beschäftigt. Wie finden Familien einen Weg, um mit der Diagnose Demenz zu leben? Ich habe darüber in mehreren Gruppen und mit verschiedenen Menschen gesprochen und oft wurde ich gefragt: Wie hast du den Weg gefunden?
Wie ihr vielleicht von mir erwartet habt, war meine erste Antwort: den einen Weg gibt es nicht. Darüber habe ich in “Diagnose Demenz – Wie geht’s weiter?” geschrieben und mit Anja Kälin von Desideria Care in der zweiten Folge von “Leben, Lieben, Pflegen – Der Podcast zu Demenz und Familie” gesprochen. Es kann nur einen individuellen Weg geben, weil zum einen die Ausprägung und das Fortschreiten der Demenz individuell sind und zum anderen sind die Menschen nun einmal verschieden.
Die Frage lautet also: Wie findet man seinen eigenen Weg? Wie findet man den als derjenige, der die Diagnose erhält – und wie als Angehöriger? Ich denke, man muss zwei Dinge tun: planen und flexibel bleiben. Auf den ersten Blick widersprechen sie sich vielleicht, aber beides ist wichtig und ich bin sicher, dass beides miteinander einhergehen kann.
Sich informieren und Pläne schmieden
Ich bin eigentlich kein Verfechter von Plänen und schon gar nicht von Lebensplänen. Ich habe mich bislang fast immer von meinem Herzen treiben lassen, mal mit mehr, mal mit weniger Glück. Ganz anders meine Familie. Für meinen Papa waren Pläne immer wichtig. Unsere Urlaube plante er mit großer Euphorie. Was im Alltag passierte, sollte nach Plan laufen. Und auch heute macht er gerne noch Pläne, wenn auch in viel kleinerem Umfang, etwa Wochenpläne für die Mahlzeiten. Einen der wichtigsten Pläne aber – den für das Altwerden – gab es lange nicht.
Bis meine Mama die Diagnose Alzheimer erhielt, hatten wir in der Familie nicht darüber gesprochen, wie meine Eltern alt werden wollten. Mein Papa war zwar schon im Ruhestand, aber seine Gedanken um die Zukunft kreisten eher darum, wohin er und Mama reisen würden, wenn sie im Vorruhestand wäre. “Alt werden” und “Pflege”, das waren nie Themen und ganz ehrlich, keiner von uns hat sie vermisst. Wer möchte denn schon darüber sprechen, dass man einmal alt wird? (In einem ersten Entwurf stand hier “alt werden könnte” – so als sei es eine Option, die wir hätten…) Pflegebedürftig werden ist mindestens genauso ein Tabu-Thema wie Sterben und der Tod.
“Wie möchtest du alt werden? Was ist dir wichtig?” Diese Fragen habe ich meiner Mama zum ersten Mal gestellt, nachdem sie an Alzheimer erkrankt war. Ich hatte Angst, sie zu stellen. Aber ich fragte, weil ich nicht wusste, wie viel Zeit uns bleibt. Als Angehöriger hat man ja den großen Vorteil, dass man einen großen Wissensschatz besitzt, weil man sich schon lange und gut kennt. Ich weiß, dass meine Mama Milchreis nicht ausstehen kann und ihren Kaffee gerne mit Milch trinkt. Im Alltag kann ich ihr damit auch heute Gutes tun.
Aber was sich meine Mama im Bezug auf Pflegen und Sterben wünschte, das wusste ich nicht. Ich bereue es heute, dass wir nicht über das Thema Pflegeheim gesprochen haben. Ich weiß, dass wir keine Ausnahme sind. Denn in vielen Familien wird über Themen wie Pflege nicht gesprochen. Damit man planen kann, ist es notwendig, sich vorab zu informieren. Wer eine Urlaubsreise antritt, informiert sich auch über das Land und spricht mit Menschen, die schon mal dort waren oder dort leben, man sucht nach Informationen im Internet oder liest Bücher. Und wenn man all diese Informationen zusammengetragen hat, schmiedet man einen Plan, idealerweise mit den Menschen, die einen auf dieser Reise begleiten. Warum also nicht auch für diesen Abschnitt in unserer Lebensweise planen?
Life is what happens while you are busy making other plans.
John Lennon
Wenn das Leben dazwischen funkt
“Leben ist das, was passiert, während du beschäftigt bist, andere Pläne zu machen”, sagte John Lennon einmal. Auch der schönste und beste Plan bringt nichts, wenn sich die Bedingungen ändern und die Umstände nicht mitspielen. Ich denke, die Corona-Pandemie hat uns das alle schmerzlich bewusst werden lassen. In diesem Leben passieren Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben.
Auch in der Demenz ist das immer wieder ein großes Thema. Als meine Mama damals die Diagnose Alzheimer erhielt, hofften wir, dass der Arzt uns sagen könnte, wie sich die Krankheit entwickelt. Er hielt sich sehr zurück und auch bei einem späteren Termin gab er auf diese Frage sehr vage Antworten. “Vermutlich wird Ihre Mutter irgendwann pflegebedürftig sein und eine Rundumbetreuung benötigen”, sagte er – und das war schon die genaueste Information über die Zukunft, die wir jemals von ihm bekamen.
Übergeordnet betrachtet, verlaufen Demenzerkrankungen ähnlich: Es ist ein Abbau der Gedächtnisleistungen und führt letztendlich zum Tod. Die Verläufe sind jedoch hoch individuell. Das liegt zum einen daran, dass es viele verschiedene Formen von Demenz gibt und zum anderen daran, dass unterschiedliche Bereich im Gehirn betroffen sind. Und natürlich sind auch die Familien, die mit der Demenz umgehen, ganz verschieden. Meine Mama fand viel Halt und Struktur in ihren Hobbys Laufen, Wandern und in der Natur sein. Das wirkt sich natürlich auch auf den Umgang mit der Krankheit aus.
Wir haben über manches gesprochen, aber bei weitem nicht über alles, was mit dem Alzheimer meiner Mama einhergeht. Vielleicht weil wir es nicht sehen wollten? Oder weil wir nichts davon wussten. Auch, wenn man sich noch so gut informiert, so ist es für meisten Angehörigen doch das erste Mal und die erste Erfahrung mit dieser Krankheit. Wie könnte man vorher also über alle Unwägbarkeiten und Herausforderungen Bescheid wissen? Es ist ein wenig wie auf einer Reise, auch da tauchen unvorhergesehene Wendungen auf, etwa weil mitten auf der Straße eine Baustelle ist oder weil man in einen Unfall gerät. Dann muss man flexibel sein und sich an die Bedingungen anpassen – und genauso ist es auch mit der Demenz.

Lohnt sich das Planen überhaupt?
Wenn das Leben nun mal so eigenwillig ist, bringen dann Pläne überhaupt etwas? Ja, ich bin überzeugt davon, dass sie dennoch wichtig sind. In der Regel sprechen wir über Pflegen oder Sterben erst dann, wenn wir davon betroffen sind – und in vielen Situationen müssen dann schnell Entscheidungen getroffen werden. Gut zu wissen, wenn man sich vorher schon darüber austauschen konnte.
Diese Pläne sehe ich eher als Kompass und nicht als festen Leitfaden. Denn oftmals muss das, was man sich da ausgedacht oder besprochen hat, an die aktuellen Bedingungen angepasst werden. So wichtig wie das Planen ist auch die Flexibilität. Denn auch, wenn der Kompass immer in die eine Richtung gezeigt hat, so kann es doch sein, dass sich zu einem späteren Zeitpunkt die Kompassnadel radikal wendet. Wichtig ist, dass wir es dann auch sehen und damit umgehen.
Der Weg mit Demenz ist für mich deshalb auch immer einer, den man schrittweise geht, mal in großen Schritten, mal bleibt man gefühlt stehen und kommt nicht voran. Gut ist es, wenn man nicht alleine bleibt, sondern Gefährten an seiner Seite hat und sich mit denen austauschen kann. Auch darüber haben wir im Podcast gesprochen und ein entsprechendes Arbeitsblatt entwickelt, das Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen dabei unterstützt, den Weg zu finden. Hier könnt ihr es herunterladen.
Wenn man nicht alleine, sondern gemeinsam plant ist das nicht nur harmonisch, sondern kann auch zu Diskussionen und Konflikten führen. Weil wir jeder für sich unterschiedliche Erfahrungen mit sich bringt und einen anderen Charakter hat. Wie kann es da gelingen, zu einer Lösung zu kommen? Es hilft,
- wenn man sich über diese verschiedenen Vorstellungen bewusst ist
- und man dann alle möglichen Lösungen zusammenträgt
- und dann die Bedürfnisse der zu pflegenden Person anschaut
- um schlussendlich eine Entscheidung zu treffen.
Für mich beruhigend: Entscheidungen sind nicht in Stein gemeißelt, sondern können immer wieder angepasst werden.
Wann ist der beste Zeitpunkt fürs Planen?
Wir haben lange gewartet, um über Themen wie Pflegen zu sprechen. Und auch wir haben längst nicht alle Aspekte besprochen. Umso mehr ich nicht damit beschäftige, desto überzeugter bin ich davon, dass die beste Strategie ist, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen.
Pflege kann es jeden jederzeit treffen, nicht erst im Alter. Auch ich könnte morgen einen schweren Unfall mit meinem Fahrrad haben und pflegebedürftig werden. Wäre es da für meine Familie nicht eine große Entlastung und Unterstützung, wenn sie wüssten, wie ich gepflegt werden möchte? Wenn ich mir Gedanken gemacht hätte und aufgeschrieben hätte, was mir wichtig ist? Ja, davon bin ich überzeugt. Und ich bin auch überzeugt davon, dass es nicht nur für sie, sondern auch für mich als gut wäre.
Der beste Zeitpunkt ist: jetzt.
Foto: Sylwia Bartyzel/Unsplah; Chris Lawton/Unsplash

Ich denke, so richtig kann man sowas nie planen. Da gibt es viel zu viele unbekannte Variablen. Aber die grobe Richtung kann man schon mal ins Auge fassen.
Mehr nicht.
Sehr liebe Grüße
Sabiene
Ich habe ebenfalls zur Alzheimer-Demenz einen Blog geschrieben. Er ist fast wie eine Ergänzung zu Ihrem Beitrag, da er die Krankheit von einer inneren Wandlung her sieht, von einem Wachsen an der Krise für die Betroffenen. Was Sie beschreiben sind die Widrigkeiten des Alltags, der plötzlich ein anderer wird, und die einen aufreiben, auch hadern lassen mit dem Schicksal.
Eine andere Seite der Krankheit ist die des Sinns. Sie wurde für uns erst richtig deutlich, als mein Mann ins Pflegeheim kam, und sich unsere Situation wieder entspannen konnte. Falls Sie Interesse und Lust haben: meine Seite heisst fragenzumleben.com
Mit herzlichen Grüssen
I. Fonés