Im Alltag mit der Demenz gibt es etliche Herausforderungen. Um Lösungen zu finden, hilft es genau hinzusehen. Klingt logisch, wichtig und richtig. Aber wie soll das gehen, wenn mehrere Menschen hinschauen (was an sich gut ist), aber jeder etwas anderes – und vielleicht sogar entgegengesetztes – erkennt? Wie kann man gemeinsam Lösungen finden? Darüber habe ich mit Anja in der aktuellen Podcastfolge “Genau hinsehen” von “Leben, Lieben, Pflegen – Der Podcast zu Demenz und Familie” gesprochen. Anja hat erklärt, worauf es ankommt und eine Übung mit auf den Weg gegeben, wie man gemeinsam kreative Lösungen finden kann. Diese und das Worksheet dazu findet ihr im Blog-Beitrag.

Diese Themen findest du in diesem Blog-Artikel
Genau hinsehen bei Demenz
Eine Demenz beginnt oft unmerklich. Die ersten Symptome lassen sich häufig schwer zuordnen. Bei vielen Familien dauert es mehrere Jahre bis die Diagnose Demenz gestellt wird. Meine Mama hat die Diagnose relativ früh erhalten, aber auch bei ihr waren schon deutlich vorher Anzeichen da. Wir haben sie jedoch nicht gesehen. Oder wollten sie nicht sehen.
In der aktuellen Folge von “Leben, Lieben, Pflegen – Der Podcast zu Demenz und Familie” habe ich mich mit Anja Kälin von Desideria Care darüber unterhalten, warum es Angehörigen oft so schwerfällt, genau hinzusehen und die Anzeichen zu erkennen. Jetzt, im Rückblick, sehe ich deutlich die Symptome, die uns schon viel früher hätten stutzig machen können.
“Ich glaube, eine Schwierigkeit ist, dass man zu wenig über die Krankheit weiß. Das wäre ein Wunsch, dass in der Gesellschaft mehr Aufklärung da ist über diese Krankheit und mehr Wissen”, sagte Anja. Klar, wer mehr weiß, kann die Symptome auch leichter zuordnen – und sich früher Hilfe und Unterstützung suchen.

Folge 13: Demenz – genau hinsehen! – Leben, Lieben, Pflegen – Der Podcast zu Demenz und Familie
Immer wieder die Bedürfnisse erkennen
Im Laufe der Zeit entwickelt sich die Demenz. Damit gehen Veränderungen einher und veränderte Bedürfnisse, für die immer wieder eine Lösung gefunden werden muss. Als meine Mama die Diagnose erhielt, dachte ich noch, es gebe einen Therapieplan oder eine Richtlinie, die wir zu Beginn vom Arzt bekommen würden und befolgen könnten.
Ich verstand erst im Laufe der Zeit, dass jede Demenz unterschiedlich ist und dass es nicht den einen Weg gibt, sondern dass man immer wieder seinen Weg mit der Demenz finden muss, als Betroffener und als Angehöriger.
Je weiter die Krankheit voranschreitet, umso mehr liegt es an den Angehörigen diese Veränderungen zu sehen. Im Verlauf muss man immer wieder hinschauen, die Bedürfnisse erkennen – und darauf eingehen. Das erfordert viel Flexibilität von Angehörigen, denn sie müssen sich und auch die Umgebung immer wieder anpassen. Das können praktische Dinge sein, wie etwa die Schwierigkeiten, Treppen zu gehen oder eine veränderte Ansprache und Kommunikation.
Wenn viele hinsehen
Häufig ist es so, dass sich mehrere Angehörige um einen Menschen mit Demenz kümmern – und das ist gut und richtig, denn einer alleine kann nicht pflegen. Es braucht ein Netzwerk. Dazu kommen Pflegekräfte, etwa aus der Tagespflege oder vom ambulanten Pflegedienst, aber auch Nachbarn, Freunde oder Ärzte. Und wie das nun mal so ist: Viele Menschen sehen viele Dinge, aber nicht zwangsläufig sehen sehen sie auch das gleiche oder kommen zu der gleichen Einschätzung.
Ich merke, dass mein Papa und ich hin und wieder Unterschiediches sehen. Wenn es etwa darum geht, Mama beim Essen zu helfen, kann es passieren, dass wir verschieden handeln: Papa reicht Mama sofort das Essen mit der Gabel, während ich erstmal versuche, ihr die Gabel in die Hand zu geben. Wir beiden wollen nur das Beste für meine Mama: er möchte, dass sie satt wird, ich möchte, dass sie eigenständig essen kann.
Dieses kleine Beispiel verdeutlicht, wie unterschiedlich die Sichtweisen sein können und deutet an, dass es bei der Umsetzung durchaus schwierig werden kann – nämlich dann, wenn jeder darauf beharrt, die einzig richtige Lösung zu kennen und diese umsetzen zu wollen.
Viele Möglichkeiten für eine kreative Lösung
Besser, sei es, so Anja Kälin, alle Ideen als Ressource zu nutzen. “Es geht nicht darum, die falsche oder richtige Idee zu präsentieren, sondern überhaupt Ideen zu sammeln, durchzusprechen und im nächsten Schritt zu schauen, was können und möchten wir realisieren”, erklärt Anja. Denn hinter all den Beobachtungen und Ideen steckt vor allem eines: eine gute Absicht.
Wie wäre es, wenn wir die Perspektive ändern – und die Sicht der Vielen nicht als Problem wahrnehmen, sondern als Bereicherung und Geschenk? Wie ein großes Blumenfeld mit den verschiedensten Pflanzen. Und um uns den Strauß zusammenzustellen, der in diese eine Vase auf unseren Küchentisch passt, können wir die einzelnen Blumen wählen.
In der Praxis ist es nicht ganz so einfach, weil da Erwartungen und Emotionen mitschwingen, aber dennoch: die vielen Stimmen zu sehen, kann eine Option sein und es kann neue, kreative Wege ermöglichen, wenn man sich bemüht gemeinsam Lösungen zu finden.
“In bestimmten Dingen kann man auch unterschiedliche Stile entwickeln. Wenn die Person mit dem einen ist, wird es so gemacht und wenn sie mit jemand anderem ist, dann wird es so gemacht”, sagt Anja. Ein wenig wie bei Kindern, die auch erfahren, dass ihr Eltern durchaus unterschiedliche Erziehungsstile haben können – und sie trotzdem lieben und sich kümmern. Jeder auf seine Art und Weise.
Gemeinsam Lösungen finden?
Wie aber bekommt man viele Ideen zusammen? Indem man sie sammelt und am besten auch aufschreibt. Wenn Dinge schwarz auf weiß stehen, schafft das eine andere Verbindlichkeit, als wenn wir nur darüber sprechen.
Anjas Tipp: Wie bei einem Brainstorming jede Idee aufschreiben – und dann jeweils durchsprechen. Im Idealfall bespricht man das in der Familie sein. Dabei schlüpft man in verschiedene Rollen: in die des Träumers, des Kritikers und des Realisierers – und geht jede Idee nacheinander durch..
Der Träumer trägt alle Möglichkeiten, auch ganz verrückte zusammen. Der Realisierer überlegt, wie sie sich umsetzen lassen. Der Kritiker prüft die einzelnen Ideen auf mögliche Risiken. Hier findet ihr ein Worksheet, das wir für “Leben, Lieben, Pflegen” passend dazu entwickelt haben und das hilft, diesen Prozess duchzuspielen.
Übrigens: Nicht nur die Familienmitglieder, auch Freunde, Ehrenamtliche, der Pflegedienst oder der Arzt können einbezogen werden. Denn auch sie sehen hin und haben vielleicht Lösungsvorschläge, an die man selber nicht gedacht hat.
Dieser Austausch auch mit den Pflegekräften finde ich wertvoll, denn ich merke, das sie auf meinem Mama auch noch mal mit einem anderen Blick schauen. Wie gut, wenn es gelingt, ein Netz für den Menschen mit Demenz zu bauen – und viele sich die Aufgaben teilen können!
Alle Folgen von “Leben, Lieben, Pflegen” auf einen Blick
