Ein Jahr Corona: allerorten erscheinen Analysen und Berichte über dieses besondere Jahr. Für mich war dieses Corona-Jahr ein Jahr voller Krisen und Herausforderungen, aber auch ein Jahr, in dem ich viel gelernt habe und innerlich gewachsen bin. Ich würde zu gerne wissen, welches Fazit meine Mama ziehen würde über das Corona-Jahr und bin traurig, dass sie mir das nicht erzählen kann. Ich weiß, dass dieses Jahr auch für meine Mama mit Höhen und Tiefen verbunden war, sie hat gelacht und geweint. Aber ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung, ob ihre Bilanz eher positiv oder negativ ausfallen würde. Dieser Brief ist der Versuch, eine Antwort zu finden und steckt doch voller Fragen. Aber das ist gut, denn nur durchs Fragen und Hinschauen kann ich letztlich erkennen, wie es ihr geht. Vielleicht sollten wir alle mehr fragen und uns füreinander interessieren.

Liebe Mama, wie war dieses Corona-Jahr für dich?
Ich fühle mich momentan wie in einer Dauerschleife: Auf Beschränkungen folgen Lockerungen folgen Beschränkungen folgen Lockerungen… Dieses Coronavirus nervt und stresst mich – und es besorgt mich. Ganz besonders um dich und Papa. Diese Angst hat sich in dem ganzen Jahr, in dem Corona nun unser Leben schon bestimmt, nicht geändert. Leider. Denn obwohl du ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf hast, ist noch nicht absehbar, wann du geimpft werden kannst.
Liebe Mama, spürst du auch diese Angst vor dem Coronavirus? Weißt du, worüber wir manchmal so hitzig diskutieren? Verstehst du, warum du jedes Mal, wenn Papa dich zur Tagespflege bringt, erst einen Test machen musst, bevor du die Einrichtung betreten darfst? Ist dir klar, warum die Pflegerinnen einen Mundschutz tragen, so wie all die Menschen im Supermarkt?
Ich wüsste all das zu gerne. Meine Vermutung ist, dass du es nicht weißt. Aber ich merke auch: Je länger ich mich mit den Fragen beschäftige, umso unsicherer werde ich. Neulich hat mich meine Große ja sehr zum Nachdenken gebracht, als sie fragte: “Versteht die Oma uns?” Durch diese Gespräch ist mir klar geworden, dass ich manchmal vorschnell davon ausgehe, du würdest uns nicht verstehen, nur weil du nicht mehr sprechen kannst. Und doch zeigt der Alltag immer wieder, dass du teilnimmst und durchaus verstehst.
Erst fröhlich vereint, dann in großem Abstand
Vor einem Jahr war ich bei euch. Ich war unruhig und nervös, denn es waren die Tage vor der Goldenen Blogger-Preisverleihung. Und ich schmiedete Pläne, wie ich euch ein paar Wochen später mit den Kindern besuchen würde und wir Zeit füreinander hätten. Du hast an diesem Wochenende oft gelacht und warst fröhlich. Ihr habt mich zum Abschied zum Bahnhof gebracht und es war ein schöner Abschied, einer bei dem mal weder du noch ich geweint haben (und das gibt es nicht oft).

Die Goldene Blogger-Verleihung war großartig: Ich habe den Goldenen Blogger für den besten Themenblog gewonnen. Ich war einfach glücklich. Ich kam direkt von der Bühne, habe ein Interview gegeben und dann euch angerufen und Papa gesagt, dass ich gewonnen habe. “Natürlich”, hat er geantwortet und erzählt, wie stolz er ist und wie stolz du auf mich wärest. Und dass er sich freut, wenn wir uns das nächste Mal sehen.
Und dann sahen wir uns lange nicht. Wie war das für dich? Hast du dich gewundert, warum deine Kinder und Enkelinnen gar nicht mehr zum Besuch kommen? Warst du enttäuscht, weil du dachtest, wir hätten dich vergessen? Ich weiß es nicht und wage mich nicht an Spekulationen. Ich weiß nur, ich war traurig – und ich hatte große Angst, du würdest mich vergessen. Wir haben Karten und Briefe geschrieben, in der Hoffnung einander nahe sein zu können. Ich wüsste gerne, ob wir dich damit erreicht haben.

Liebe Mama, hat dir etwas gefehlt in deinem Alltag?
Meine größte Sorge jedoch war, dass du dich mit dem Coronavirus anstecken könntest und schwer erkrankst. Abstand und Kontakbeschränkungen galten als die wichtigsten Maßnahmen. Ich habe mich vorbildlich an all die Regeln gehalten – und hatte doch Angst. Hattest oder hast du auch Angst vor dem Coronavirus?
Anfangs war Papa noch ganz optimistisch, aber je länger Beschränkungen andauerten, umso deprimierter wurde er. Er hat gesagt, dass es sehr ruhig und einsam ist. Du konntest nicht mehr in die Tagespflege. Hat dir etwas gefehlt? Hast du den Kontakt zu den anderen Tagesgästen und zu den Pflegerinnen vermisst? Warst du einsam? Oder warst du froh, weil du in deinem Zuhause sein durftest, du viel Ruhe hattest und deinen Mann an deiner Seite hattest, der sich liebevoll um dich kümmert?
Manche Dinge fielen dir im Alltag schwerer: das Treppengehen zum Beispiel. Beim Spazierengehen kamst du immer früher aus der Puste. Oft hat das Zähneputzen nicht geklappt. Ich könnte die Liste um etliche Punkte fortsetzen an Dingen, die sich verändert haben und die du nicht mehr kannst. Aber liegt das nun an Corona? Oder einfach an dieser Alzheimer-Krankheit? Denn egal, wie positiv ich manchmal auch darauf schaue, ich kann die Krankheit nicht aufhalten und sie wird ungeachtet aller Glücksmomente weiter fortschreiten.
Ruhe und Nähe haben dir gut getan
Liebe Mama, ich habe so viele Fragen zu diesem Corona-Jahr – und kann von dir keine Antworten mehr bekommen. Anja Kälin von Desideria Care hat mir in einer unserer Podcast-Gespräche mal geraten, dass ich dich in Gedanken zu einem Gespräch bitten könnte. Ich könnte mit dir als meiner gesunden Mama sprechen und so Antworten auf meine Fragen bekommen. Aber gerade zu diesem Thema und in diesem Jahr fällt mir das so schwer. Die Corona-Pandemie hat irgendwie alles verändert.
Als es die ersten Lockerungen gab, bin ich schnell zu euch gefahren und wann immer möglich habe ich Zeit mit dir und Papa verbracht. Meine Angst, du würdest mich nicht erkennen, war unbegründet, denn auch, wenn du meinen Namen nicht gesagt hast, so habe ich an deinem Lächeln und deinen Augen gesehen, dass du wusstest, dass ich deine Peggy bin. Du hast dich so gefreut – und ich mich auch.

Liebe Mama, diese Corona-Zeit ist immer noch nicht zu Ende. Nun erscheinen in vielen Zeitungen und auf diversen Online-Portalen Bilanzen und Rückblicke zu einem Jahr, auch hier in der Blogparade zum Thema “Corona – Leben im Lockdown?!”. Es geht viel um politische und wirtschaftliche Auswirkungen. Ich wünsche mir, dass wir einander fragen, was gut war und was uns gefehlt hat – und daraus lernen. Vor allem wünsche ich mir, dass sich an diesen Dialogen alle beteiligen können: dass wir auf die Kinder schauen wie auch auf ältere und hilfebedürftige Menschen und daraus unsere persönlichen Rückschlüsse ziehen.
Wie findest du die Idee? Ich bin mir sicher, du würdest sie gut finden. Du hast dich immer um alle gekümmert und wolltest, dass es deinen Lieben gut geht.
Wenn ich dich heute so sehe, merke ich, dass es dir gut geht. Ich hoffe, dass dies noch lange so bleibt (auch mit Corona und den Ungewissheiten, in denen wir immer noch leben).
Deine Peggy
Guten Morgen Peggy,
wie schön, dass Du bei meiner Blogparade mitmachst!
Ich finde es super, dass Beiträge aus ganz vielen verschiedenen Themenbereichen dabei sind und dein Beitrag ist etwas ganz besonderes.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das letzte Jahr für dich war.
Auch ich habe meine Eltern wenig bis gar nicht gesehen, um sie zu schützen.
Aber für dich muss das ungleich härter gewesen sein.
Ich hoffe für uns alle, dass wir da irgendwie heil wieder rauskommen und nicht zu viel kaputt gegangen ist, was man dann auch leider nicht mehr reparieren kann. Ein bisschen geht mir leider nämlich grad die Hoffnung darauf aus…
Liebe Grüße
Heike
Liebe Heike,
Schön, dass du diese Blogparade ins Leben gerufen hast und die Möglichkeit gibst, viele Stimmen zusammenzutragen. Sehr wertvoll und wichtig!
Ich wünsche uns allen, dass da bald Licht am Horizont ist.
Lieben Gruß Peggy