"Liebe Mama..."

Liebe Mama, du fehlst mir!

Kann man jemanden vermissen, der gleichzeitig neben einem sitzt? Warum fällt es manchmal so schwer, anzunehmen? Ein Brief an meine Mama zur Blogparade #Demenzmoment im Juni. Da ist einerseits Leere, aber auch Lehre – und immer Liebe.

LIebe Mama, du fehlst mir!
Foto: D. Laudowicz

Liebe Mama, du fehlst mir!

Ich habe mich so sehr auf den Besuch bei euch gefreut. Einige organistorische Dinge standen an, auch die Pflegeberatung und das Gespräch mit der Ärztin, aber vor allem wollte ich in deiner Nähe sein. Ich denke so oft an dich und versuche dir, so gut es geht, aus der Ferne zu helfen. Klar, das ist nicht dasselbe wie vor Ort zu sein – und deswegen fahre ich ja häufig zu dir.

Weißt du noch, früher haben wir oft telefoniert? Oder Briefe geschrieben. Als ich neulich aufgeräumt habe, habe ich den Stapel mit den Luftpostbriefen gefunden, die du mir vor vielen Jahren nach Amerika geschickt hast. Es hat mich sehnsüchtig gemacht, nach dem Austausch und dem Miteinander, das wir früher hatten. Da waren wir einander auch nah, selbst wenn wir räumlich sehr weit voneinander entfernt waren. Ach, Mama, ich vermisse das!

Momente der Leere

Und jetzt geht das so nicht mehr. Da bist du selbst dann manchmal weit weg, wenn ich neben dir sitze. Da ist einerseits Nähe und Vertrautheit. Die spüre ich daran, dass du dich wohl fühlst, dass du zufrieden wirkst oder du an meiner Schulter einschläfst. Ich genieße das dann mindestens so sehr wie du.

Aber da ist mitunter auch diese Lücke und das Vermissen, und ich werde traurig. Ist das Leere? Oder doch Lehre?

Ich habe schon oft gelesen, dass der Kopf von Menschen mit Demenz “leer” ist. Natürlich weiß nicht nicht, wie es wirklich in deinem Kopf aussieht. Aber er wirkt nicht leer. Da ist noch so viel an Gefühlen und an Reaktionen, unmöglich kann dein Kopf leer sein. All deine Erfahrungen sind irgendwo in dir.

Leere – und Lehre

Du hast dich verändert – und ich mich auch. Deine Demenz hat durchaus eine Leere gebracht. Du fehlst mir. Wer einen lieben Menschen mit einer Alzheimerkrankung oder einer anderen Demenz begleitet, muss Abschied nehmen. Das ist schwer, vielleicht auch, weil man sich gar nicht richtig verabschieden kann und immer wieder erneut Abschied nimmt.

Aber deine Alzheimererkrankung hat auch eine Lehre gebracht. Denn ich weiß zum Beispiel, dass in deinem Kopf keine Leere ist. Ich schätze die kleinen, feinen Momente viel mehr, als ich dies früher getan habe. Ich habe gelernt, dass wir anders kommunzieren können als mit Worten. Und ich merke an dir immer wieder, wie wichtig es ist, aufeinander zu schauen anstatt irgendwelchen Plänen nachzujagen. Mir fällt das oft schwer, aber das gehört wohl dazu.

Du fehlst mir – und das ist die Leere. Aber da ist auch die Lehre, denn da ist immer noch die Liebe.

Diese Woche hat es nicht geklappt, dafür bin ich sicher nächste Woche da – und das wird schön.

Deine Peggy

Noch mehr Beiträge zur Blogparade Demenzmoment findet ihr auf diese Seite.

4 Gedanken zu „Liebe Mama, du fehlst mir!“

  1. Dieser Augenblick, in dem du zum Telefon greifen willst und dann weißt, du wirst keine Antwort bekommen.
    Früher konnte ich mit allem zuhause anrufen und Fragen stellen. Das ist vorbei.
    Wenn ich nach Hause fahre, werde ich begrüßt mit: kennen wir uns
    Ich vermisse meine Mama. Den Menschen der mich groß gezogen hat.
    Abschied hake ich bereits vor Jahren genommen. Geblieben ist ein liebenswerter, schätzenswerter Mensch , den man eigentlich den ganzen Tag in den Arm nehmen kann.
    Sehr viele Menschen sagen zu mir, ich hötte ja eine so liebe Mutter. Sicher ist das schön, aber es ist NICHT mehr meine Mama. Sie ist einfach ein anderer Mensch und das zu begreifen tut sehr weg.

    1. Liebe Daniela, genauso ist es. Du beschreibst das, was ich auch fühle. Ich telefoniere mittlerweile mit meinem Papa und das ist eigentlich auch ganz schön. Und doch ist da oft die Traurigkeit, weil ich weiß, Mama sitzt daneben, aber ich kann nicht mit ihr sprechen. Es hilft zu wissen, dass das Telefon auf laut gestellt ist und sie meine Stimme hört. Mein Papa sagt dann, dass sie lächelt oder nickt oder Tränen in den Augen hat.
      Es ist ein trauriger Weg…
      Alles Liebe für dich!

      1. Liebe Peggy. Ja. Genauso ist es.
        Ich telefoniere mit meinem Dad. Sie hört zu. Manchmal hoffe ich, dass sie weiß , wer ich bin.

  2. Liebe Peggy,
    ich lese deine Beiträge regelmäßig und finde mich gefühlt in jedem Satz wieder. Es tut mir so gut dies zu lesen um es zu verstehen, dass man damit nicht alleine auf dieser Welt ist. Andererseits macht es mich sehr traurig und wütend zugleich. Demenz betrifft leider immer mehr Menschen und ich kann einfach nicht verstehen, dass die Forschung und Medizin da keine weitreichende Fortschritte erzielt. Man fliegt zum Mond, erfindet selbstfahrende Autos entwickelt in kürzester Zeit Impfstoffe nur bei Demenz Fehlanzeige! Wahrscheinlich steckt zu wenig Lobby dahinter um endlich Erfolge zu erzielen. Ich verstehe das alles leider nicht. Mach bitte weiter so, damit dieses so wichtige Thema mal angegangen wird. Liebe Grüße Sabine 😘

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