Kinderfragen

Kinderfrage: Ist es schlimm, Demenz zu haben?

Manchmal stellen meine Töchter Fragen, die mich überrumpeln – und auf die ich nicht sofort eine Antwort weiß. Aber natürlich möchte ich die Frage beantworten, denn ich finde es wichtig, meine Kinder mit ihren Gedanken und Sorgen nicht alleine zu lassen. Als meine Tochter fragte: “Ist es schlimm, Demenz zu haben?” wusste ich erst nicht, was ich sagen soll. Mein Kind war traurig, und ich wollte sie nicht noch trauriger machen. Unser Gespräch wurde sehr schön. Ich glaube, es hat ihr geholfen – und mir auch.

Auch so kann Alltag mit Demenz aussehen: ein Moment der Nähe und Vertrautheit
Foto: D. Laudowicz

Meine Tochter fragt: Ist es schlimm, Demenz zu haben?

Für meine Töchter ist die Alzheimererkrankung meiner Mama schon lange Realität. Sie sind damit groß geworden. Gerade meine Sechs- und Neunjährige wissen oft gar nicht mehr, wie die Oma früher war. Dass meine Mama viel gebastelt hat, dass sie Halbmarathons gelaufen ist, dass sie die leckersten Kuchen gebacken hat – all das wissen meine Töchter nicht. Ich glaube, dass sie genau das manchmal so unbeschwert und frei macht, weil sie eben nicht vergleichen oder sich wünschen, Mama wäre wieder gesund.

Aber neulich habe ich mal wieder gemerkt, dass sie nicht immer nur fröhlich mit der Demenz meiner Mama umgehen, sondern sich auch viele Gedanken machen. Es war vor ein paar Wochen, als ich meine mittlere Tochter ins Bett brachte. Irgendwie war sie traurig. Ich legte mich neben sie und dann fragte sie: “Ist es schlimm, Demenz zu haben?” Ich lag neben ihr und spürte, wie sie anfing zu weinen. Am liebsten hätte ich mitgeweint.

Ich wollte sie trösten, aber mir fehlten die Worte. Meine Tochter hatte mich mit dieser Frage überrumpelt – und mich hat es traurig gemacht, sie weinen zu sehen. Ich bin sehr harmoniebedürftig und andere – und ganz besonders meine Kinder – weinen zu sehen, tut mir weh. Ich nahm meine Tochter in den Arm, streichelte sie und hielt sie einfach.

Kinder brauchen Erwachsene, die sie begleiten

Aber irgendwie war klar, dass ich ihr eine Antwort geben möchte – und dass es wichtig ist, dass sie eine Antwort bekommt. Auch wenn meine Kinder oft sehr einfühlsam und zärtlich mit meiner Mama umgehen und echte Vorbilder im Umgang mit Demenz sind, so weiß ich doch, dass sie Erwachsene brauchen, die ihre Fragen beantworten und ihnen helfen, mit ihren Ängsten oder Sorgen umzugehen.

Was antwortet man auf so eine Frage wie “Ist es schlimm, Demenz zu haben?” Ich ahnte, dass meine Tochter sich vor allem um meine Mama Sorgen machte und nicht generell über das Thema Demenz nachdachte. Ich erinnerte mich an das Gespräch mit Anja Rutenkröger und Christina Kuhn über Kinder und Demenz. Sie meinten, dass am besten erstmal herausfindet, welche Gedanken und Fragen das Kind hat statt irgendwelche Erklärungen gibt.

Gemeinsam auf der Suche nach einer Antwort

Also fragte ich: “Machst du dir Sorgen wegen der Oma?” Meine Tochter nickte und weinte noch mehr.

Es war nichts vorgefallen, meiner Mama geht es soweit gut. Ich wusste nicht recht, warum meine Tocher sich mit einem Mal Sorgen machte. Und dann erinnerte ich mich, dass ich kurz vorher zwei Mal bei meinen Eltern gewesen war. Vielleicht dachte sie, es ginge meiner Mama schlecht? Aber nein, das war es auch nicht.

Ist es schlimm, Demenz zu haben? Ich kenne die Antwort nicht. Ich weiß nicht, wie es ist, Alzheimer oder eine andere Demenzerkrankung zu haben. Konnte ich meiner Tochter überhaupt eine ehrliche Antwort geben?

Ich dachte daran, was mir neulich jemand geschrieben hatte: dass Demenz eine schreckliche Krankheit sei. Ja, das denke ich auch oft. Es ist nicht schön mit anzusehen, wie sich ein geliebter Mensch verändert. Oft bin ich traurig, weil meine Mama nicht mehr die Mama ist, die ich kenne. Das Loslassen fällt mir oft schwer. Und mir tut es leid, Mama in Situationen zu erleben, die sie überfordern, weil sie das Geschehen um sich herum nicht mehr einordnen kann.

Zusammen schöne Momente schaffen

Aber dann gibt es auch andere Momente. Ich sagte meiner Tochter, dass ich es nicht genau weiß, ob es schlimm ist, eine Demenz zu haben. Und dass es mich – genau wie sie – mitunter sehr traurig macht. Aber dann erzählte ich ihr auch davon, dass ich oft das Gefühl habe, dass es meiner Mama gut geht. Dass sie im Frieden mit sich ist und dass sie es genießt, wenn wir da sind und mit ihr Zeit verbringen. So wie neulich, als sie eingeschlafen ist, während ich neben ihr saß. Dieser Moment der Nähe und Vertrautheit war das komplette Gegenteil von schlimm.

Dann überlegten wir uns, wie wir der Oma beim nächsten Besuch etwas Gutes tun könnten. Ich berichtete von dem Vorlese-Seminar und dass ich Mama gerne ein Gedicht vorlesen würde. Und dann erzählte meine Tochter, welche Gedichte sie in der Schule gelernt hatte und dass sie vielleicht auch eines vorlesen könnte. Mit einem Mal war sie nicht mehr traurig, sondern versprühte Hoffnung und Vorfreude. Ich glaube, sie spürte das, was ich auch oft merke: diese Krankheit ist zwar schrecklich, aber es gibt dennoch schöne Momente.

Ich weiß immer noch nicht, ob es schlimm ist, Demenz zu haben. Ich habe mir vorgenommen, dies Menschen zu fragen, die mit der Diagnose leben. Dann werde ich meiner Tochter berichten.

2 Gedanken zu „Kinderfrage: Ist es schlimm, Demenz zu haben?“

  1. Danke für diesen tollen Beitrag. Mein Oma hat sich Demenz,genau die selbe Frage,stellte ich mir auch und das obwohl ich schon 28Jahre alt bin

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