"Liebe Mama..."

Liebe Mama, manchmal fühle ich mich zerrissen.

Ich genieße es sehr, mit meiner Familie für eine längere Zeit bei meiner Mama zu sein. Aber ich spüre dann auch, wie anstrengend es ist. Denn ich möchte mich bestmöglich um meine Mama kümmern und bin natürlich weiter für meine Kinder da. Das ist ein echter Spagat für mich, auch weil wir gemeinsam nicht mehr viel unternehmen können. Wie gerne würde ich mich mit meiner Mama darüber austauschen. Ein neuer Brief: Liebe Mama, manchmal fühle ich mich zerrissen.

Für den anderen da sein, braucht Zeit. Manchmal würde ich mich am liebsten zerreißen,
um mich um alle gut zu kümmern.
Foto: D. Laudowicz

Liebe Mama, machmal fühle ich mich zerrissen.

Wir waren fast eine ganze Woche bei euch und ich habe es sehr genossen. Ich habe die Freude in deinen Augen erkannt, als du die Kinder erblickt hast und gesehen, mit welch wachem Interesse du sie teilweise verfolgt hast. Und es ist schön zu sehen, wie liebevoll und zärtlich meine Töchter dich umsorgen. Wie sie dich an der Hand nehmen, um dir über die Treppenstufe zu helfen und wie aufmerksam sie beobachten, ob es dir schmeckt und dich beim Essen unterstützen.

Gemeinsam können wir nur noch wenig miteinander machen – und das macht mich traurig. Im vergangenen Jahr noch gehörte der tägliche Spaziergang zu eurem Tagesprogramm und wir haben euch gerne begleitet. Erinnerst du dich daran, wie ich vor etwa einem Jahr nur eine kleine Runde gehen wollte, aber dann wollte meine kleine Tochter unbedingt zum Bücherschrank im Dorf? War alles kein Problem für dich, ganz im Gegenteil, ich hatte immer das Gefühl, du genießt unsere Spaziergänge auch sehr.

Wenn wir jetzt bei dir sind, versuchen wir es dir schön zu machen, aber das sind eben doch oft andere Bedürfnisse, als die der Kinder. Meine Töchter möchten draußen Fußball spielen, schaukeln oder sich eine Bude bauen und genießen es, das in eurem Garten alles machen zu können. Aber ich weiß oft nicht so richtig, wohin mit mir. Denn ich möchte gerne meine freie Zeit mit ihnen genießen. Aber ich möchte auch bei dir sein. Du sitzt drinnen auf der Couch und ich würde gerne neben dir sitzen, dir vielleicht etwas vorlesen und dir Nähe schenken. Ich bin gleichzeitig Mutter und Tochter (das bin ich ja immer), aber in den Momenten wird klar, dass ich nicht beides gleichzeitig sein kann.

So viele Aufgaben und Rollen

Und dazu kommen noch all die anderen Aufgaben, die so anstehen, vom Arbeiten übers Einkaufen bis zum Kochen. Ich mache mir auch um Papa Sorgen, denn ich merke, dass ihn das tägliche Kümmern und Pflegen stark belastet. Ich möchte ihm helfen und mache Vorschläge für Hilfsangebote, aber irgendwie kommen wir doch immer wieder ins Diskutieren, weil ihm das Abgeben und Helfenlassen so schwerfällt und das Ergebnis ist: Es geht weiter wie bisher. Nun ja, wir kommen schon weiter, aber in Mäuseschrittchen.

So schön es bei euch war, so war es doch auch eine Woche, in der ich maximal angespannt war. Auf meiner To-Do-Liste hatte ich etliche Dinge stehen, die ich für dich erledigen wollte (Fußpflege-Termin ausmachen, Medikamente-Liste erneuern) und die ich mit meinen Kindern erleben wollte (Ausflug zum Zoo, Spielplatz, Pizza-Back-Abend). Aber die Liste war zu lang und dazu kamen dann noch neue Aufgaben wie das Schuhekaufen, und das sogar zweimal… Hast du gespürt, wie gestresst ich war? Ich habe es erst gemerkt, als ich vor lauter Sorgen und Gedanken nur noch weinen konnte.

Wie geht Entspannen?

Mitten in dieser Woche voller Familien-Aufgaben fand dann auch noch die Blogger-Challenge #demenzmoment statt, zum Thema Entspannung. Und ich dachte, das ich doch nicht über Entspannung schreiben kann, wenn ich gerade keinen einzigen meiner Ratschläge selber anwenden kann. Eva hat über das Recht auf “einfach nur sitzen” geschrieben und ich dachte: “Wissen tue ich‘s schon, aber die Umsetzung ist das andere.“

Liebe Mama, kennst du dieses Gefühl, dich zerreißen zu müssen, um allen und allem gerecht zu werden? Wie hast du das denn gemeistert, als mein Bruder und ich Kinder waren und du berufstätig? Das ist ja schon mal eine Kostprobe für den Spagat, den Frauen so oft hinlegen müssen.

Wie gerne würde ich mit dir darüber reden! Wie ging es dir als junge Mutter? Anja hat mir mal den Tipp gegeben, dass ich dich weiter um Rat fragen könne, dich als gesunde Mama. Noch bevor ich das tun konnte, hat Papa angerufen und gesagt, dass ich mal etwas für mich machen soll. “Relax mal”, sagte er. Das habe ich heute getan, und es gibt mir Mut und Kraft für die neue Woche und mich auch um mich zu kümmern. Denn irgendwie muss ich die Aufgaben und Rollen, die ich da so angehäuft habe – als Mutter, als pflegende Tochter, als entfernte Tochter, als Selbstständige, als Autorin, als Freundin – besser jonglieren lernen.

Oder viellicht einfach mal mehr meditieren und joggen. Ich weiß es nicht. Aber ich mache mich auf die Suche, damit ich gut für dich und Papa da sein kann.

Deine Peggy

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