Meine Mama braucht aufgrund ihrer Alzheimer-Erkrankung Unterstützung und Hilfe bei alltäglichen Dingen. Meine Kinder beobachten das natürlich und stellen dazu fragen. Aktuell dreht sich viel um das Haarewaschen. Meine Dreijährige fragte: “Was machst du da mit der Oma?” Zunächst irritierte mich das und ich bekam fast ein schlechtes Gewissen, doch dann merkte ich, dass meine Kinder dadurch eine ganze Menge lernen. Fünf Dinge, die sie fürs Leben mitnehmen

und ziemliches Chaos
Die Fragen meiner jüngsten Tochter über die Alzheimer-kranke Oma sind für mich die einfachsten. Sie sind meist praktischer Natur und ich kann klare Antworten geben. Eigentlich ganz einfach. Irgendwie. Aber meine Kleine fragt immer wieder die gleichen Dinge – und ich gebe die gleichen Antworten. Unser aktuelles Thema: das Haarewaschen. Der Dialog läuft in kleinen Variationen so ab:
Kind: “Was machst du da mit der Oma?”
Ich: “Ihr die Haare waschen.”
Kind: “Aha. Warum?”
Ich: “Weil sie das alleine nicht kann.”
Kind: “Aha.”
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“Was machst du da mit der Oma?”, fragt die Dreijährige
Warum fragt meine kleine Tochter immer wieder? Mit ihren fast vier Jahren versteht sie die Antwort doch schon beim ersten Mal. Aber es ist ihre Strategie, um zu verstehen, dass die Oma anders ist als andere Erwachsene. Es ist ihr Weg zu lernen und allen voran auch zu lernen, was Alzheimer ist und welche Herausforderungen eine Alzheimer-Erkankung mit sich bringt. Und ich merke, dass die Fragen und Antworten doch nicht ganz so einfach sind, wie ich dachte.
“Was ist das da?” und “Was machst du da mit der Oma?” Diese Fragen hat meine Dreijährige beim letzten Oma-Opa-Besuch täglich mehrmals gestellt. Gemeint war eine Duschverlängerung am Waschbecken. Sie hat so etwas sonst noch nirgends gesehen. Naja, ich kenne das auch nur von dem Haus meiner Eltern. Wer bräuchte auch sonst einen Duschkopf am Waschbecken? Aber wenn Angehörige an Alzheimer leiden oder älter werden, ziehen eben auch Hilfsmittel in das Haus ein. Denn sie sind praktisch und können manche Handgriffe und Aufgaben erleichtern.
Haarewaschen mit Demenz: Vom Mini-Friseurtermin für die Oma und Chaos im Bad
Vor einer Weile kaufte meine Schwägerin diese Duschverlängerung fürs Waschbecken, damit wir Mama leichter die Haare waschen können. Meine Mama ist früher häufig und gern zu ihrer Friseurin gegangen. Sie hat die Kopfmassagen genossen. Sie hat in ihrem Leben verschiedene Frisuren ausprobiert und ihre Haare immer sehr gepflegt, egal ob nun mit Dauerwelle oder Kurzhaarschnitt. All das kann meine Mama nun alleine nicht mehr. In den ersten Jahren der Erkrankung hat Papa regelmäßig Friseurtermine für Mama ausgemacht und hat sie dahin begleitet. Das geht nun auch nicht mehr.
Papa, meine Schwägerin und ich waschen Mama deshalb die Haare – und wir machen es gern (jedoch mit unterschiedlicher Leidenschaft). Während es meiner Schwägerin gelingt, ein Mini-Friseurtermin mit Wellness-Kopfmassage aus dem Haarewaschen zu machen, bin ich eher praktisch veranlagt. Ich will es möglichst einfach haben, wenn ich Mama die Haare wasche. Waschen und föhnen, ganz natürlich, ohne Schnickschnack. Natürlich fand ich die Duschverlängerung sofort eine tolle Sache.
Als ich Mama damit zum ersten Mal die Haare gewaschen habe, war meine Jüngste dabei. Und sie erlebte, wie das Haarewaschen in einer mittleren Katastrophe endete, weil ich nicht ganz so praktisch veranlagt bin, wie meine Schwägerin: das Bad stand unter Wasser, Schaum auf meinen Händen, auf dem Boden und überall, Mama komplett nass – aber wohlgemerkt: gewaschene Haare und auch ich musste mich umziehen. Meine Tochter hatte all das beobachtet, mit offenem Mund und staunenden Augen. Seitdem fragt sie so ziemlich jedes Mal, wenn ich mit ihr in dem Bad meiner Eltern bin, nach der Duschverlängerung und will wissen: “Was machst du da mit der Oma?”
Ich: “Das ist zum Haarewaschen für die Oma.”
Kind: “Aha. Warum?”
Ich: “Weil sie das alleine nicht kann.”
Kind: “Aha.”
Wiederholen und fragen – so lernen Kinder
Was hat so eine Duschverlängerung nun mit meinem Kind zu tun? Was lernt sie beim Haarewaschen der Oma? Lernt sie dabei überhaupt irgendetwas?
Ja! Sie lernt dabei diese fünf Dinge:
- dass die Oma Hilfe braucht – und sie auch bekommt. Dass sie trotz der Alzheimer-Krankheit nicht alleine ist. Dass ich als Tochter, dass die Familie für die Oma da ist und sich um sie kümmert,
- dass man Hilfsmittel braucht, damit etwas leichter von der Hand geht,
- dass nicht alles beim ersten Mal klappt. Dass auch ihre Mama an so etwas Simplem wie einer Duschverlängerung und Haarewaschen scheitern kann, aber dass sie es beim zweiten und dritten Mal schon besser hinbekommen hat und irgendwann vielleicht auch alles trocken bleibt,
- dass es nicht schlimm ist, wenn das Bad unter Wasser steht und man ein Chaos anrichtet. Man kann es ja wieder sauber machen und mit ganz vielen Handtüchern den Boden trocken rubbeln,
- dass die Oma eine tolle, mutige Frau ist, denn sie weint überhaupt nicht, egal wie viel Wasser ihr ins Gesicht und in die Augen läuft.
Lernen funktioniert ja aber nicht von einen Tag auf den anderen, sondern ist ein Prozess. Gerade kleine Kinder sind auf viele Wiederholungen angewiesen. Es ist essenziell für ihren Lernprozess – und sie genießen es auch. Dadurch, dass sie etwas immer wieder hören oder sehen, wird es in ihrem Gehirn verankert, es hilft ihnen, die Welt zu verstehen und es gehört irgendwann fest zu ihrer vertrauten kleinen Welt.
Lernen, was Alzheimer ist
Meinen älteren Töchtern kann ich erklären, was Alzheimer ist. Wir können darüber sprechen und ich kann ihnen erklären, dass die Krankheit daher kommt, weil die Nervenzellen im Gehirn nicht so arbeiten wie sie sollten und das nicht nur das Erinnerungsvermögen betrifft, sondern auch die Fähigkeit zu alltäglichen Handlungen wie eben Haarewaschen.
Meine Dreijährige kann all das noch nicht. Sie weiß nicht, was ein Gehirn ist und was Nervenzellen sind. Aber sie kann beobachten. Und sie kann fragen und noch mal fragen und noch mal fragen. Und wenn ich oft genug erzählt habe, dass wir die Duschverlängerung für die Oma brauchen und dass wir der Oma beim Haarewaschen helfen, weil sie das alleine nicht mehr kann, dann hat meine kleine Tochter eine Antwort auf ihre Frage bekommen – und sie hat jede Menge gelernt. Über Alzheimer und das Leben als Familie, die sich um die Alzheimer kranke Oma kümmert.
Foto: Matthew Tkocz on Unsplash
2 Gedanken zu „Kinderfragen bei Alzheimer: “Was machst du da mit der Oma?” – Fünf Dinge, die mein Kind beim Haarwasch-Chaos lernt“