Meine Eltern haben einen großen Garten, und schon lange möchte ich ein paar Dinge verändern. Ich hätte ja am liebsten viele blühende Pflanzen und ein paar Kräuter. Gibt’s was zu beachten für Mama? Was macht einen guten Garten für Menschen mit Demenz aus? Darüber habe ich mit der Landschaftsgärtnerin Ulrike Kreuer gesprochen. Im Interview erzählt sie, warum Menschen mit Demenz sich im Garten wohlfühlen, weshalb es eine gute Idee sein kann, Kartoffeln oder Bohnen zu pflanzen und wie Naturerlebnisse ohne Garten möglich sind.

Foto: Rendel Freude
Immer wieder spreche ich mit Expert:innen rund ums Thema Demenz. Ulrike Kreuer ist Gartenbauingenieurin und Gartentherapeutin in Nettersheim. Sie hat viele Gärten und Parks angelegt und verschiedene soziale Projekte durchgeführt. In den vergangenen Jahren hat sie sich auf die Entwicklung und Planung von Gärten für Menschen mit Demenz spezialisiert. Darüber schreibt sie Bücher („Das Gartenjahr für Menschen mit Demenz“, Ernst Reinhardt-Verlag und „Gartengestaltung für Menschen mit Demenz“, Haupt Verlag), hält Vorträge und schult Mitarbeitende in Pflegeheimen. Sie hat auch einen Blog: Der dritte Frühling
Interview
Liebe Ulrike, was macht einen guten Garten für Menschen mit Demenz aus?
Es geht darum, das Herz zu berühren. Dazu gibt es kein Patentrezept. Aber aus Erfahrung kann ich sagen: Eine Thujahecke, ein quadratisch, säuberlich gepflegter Rasen oder ein Beet aus Steinen berührt das Herz nicht. Wenn die Menschen vor einem Garten mit blühenden Pflanzen stehen, egal ob das Astern oder Hortensien sind und sich daran erfreuen, dann ist der Garten gelungen. Welcher Garten berührt, das spürt man.
Du bist viel in Pflegeheimen tätig. Worauf achtest du beim Gestalten der Gärten?
Ein Garten muss neugierig machen, sodass die Menschen ihn erkunden wollen. Dazu sollte er so angelegt sein, dass sie dies selbstständig tun können. Die Barrierfreiheit ist daher wichtig.
Welche Pflanzen machen denn neugierig?
Zum Beispiel würde ich einen weiß blühenden Bauernjasmin anpflanzen. Der blüht üppig und duftet herrlich. Oder eine Kletterrose an einem Pavillon.
Müssen es unbedingt Blumen sein?
Nein. Generell würde ich sagen, dass man sich an der Lebensgeschichte der Menschen orientiert. Wenn ich die Lieblingspflanzen der Personen kenne, dann ist das natürlich wunderbar. Wenn jemand immer einen Gemüsegarten hatte, dann macht es vielleicht mehr Sinn, Gemüse zu pflanzen statt Blumen. Ein Gemüsegarten ist wie ein alter Bekannter für viele Menschen mit Demenz. Er schenkt Geborgenheit und Vertrautheit. Ich kann Stangenbohnen sehr empfehlen. Oder auch Kartoffeln.

“Das Gartenjahr für Menschen mit Demenz” (Ernst Reinhardt Verlag)
Warum Kartoffeln?
Die meisten älteren Menschen sind damit groß geworden, dass sie selber Kartoffeln gesetzt und geerntet haben. Der Garten war damals ein Nutzgarten und nicht zur Zier. Wenn man in einem Garten eines Pflegeheims, einer Tagesstätte oder auch zu Hause Kartoffeln setzt, dann gibt das Menschen mit Demenz die Möglichkeit selber aktiv zu werden. Sie können auf das Wissen und die Erfahrungen aus der Kindheit und Jugend zurückgreifen. Solche Tätigkeiten können das Selbstwertgefühl stärken.
Würdest du empfehlen, ein Hochbeet in den Garten zu stellen? Das ist vielleicht leichter, weil man nicht bücken muss?
Das kommt darauf an, wozu das Hochbeet benutzt wird. Wenn es für Menschen ist, die im Rollstuhl sitzen oder im Bett liegen, kann ein Hochbeet praktisch sein. Für Menschen, die noch mobil und selbstständig im Garten aktiv sind, würde ich eher davon abraten. Ein ganz normales Beet weckt Erinnerungen und lädt dazu ein, selbst aktiv zu werden. Ich erlebe immer wieder, dass Menschen von alleine anfangen im Garten zu arbeiten, wenn da eine Harke oder ein Rechen stehen. Denn das kennen und können sie von früher. Ein Hochbeet hingegen weckt keine Erinnerungen, weil es so etwas vor 50 Jahren nicht gab.
Meine Mama hat immer viel im Garten gemacht und bis vor ein paar Jahren war sie gerne draußen, um welke Blüten abzuzupfen.
Ich finde das großartig, dieses Interesse und Kümmern um die Natur. Das sollte man so lange wie möglich unterstützen und beispielsweise Geranien pflanzen, denn da gibt es immer was zu tun. Genau deshalb pflanze ich häufig Geranien und Staudengeranien an. Man sollte darauf achten, dass die Pflanzen dort stehen, wo man auch hinkommt. Oder man hat Blumentöpfe, die man an den Tisch stellen kann.
Und was kann man tun, wenn man keinen Garten hat?
Ein großer Garten ist für viele schön, aber oft genügen auch kleine Sequenzen von ein paar Minuten am Tag. Die Zeitspanne spielt keine Rolle. Es geht darum, ein positives Gefühl zu vermitteln und Menschen mit Demenz, Erfahrungen in der Natur zu ermöglichen. Das kann man auch auf dem Balkon machen, bei einem Spaziergang oder sogar in der Wohnung.
Welche Naturerlebnisse kommen gut an?
Vogelgezwitscher macht viele Menschen glücklich. Da reichen auch fünf Minuten. Man kann sich draußen hinsetzen und gemeinsam den Vögeln lauschen und muss gar nichts sagen. Es macht das Herz glücklich. Man kann zum Beispiel zwei Vogelhäuschen im Abstand von fünf Metern anbringen, mit verschiedenem Futter füllen und dann sind die Vögel von einem Häuschen zum anderen unterwegs – und man hat viel zum Beobachten.
Warum spielen diese Naturerfahrungen solch eine wichtige Rolle?
Die Natur ist mit positiven Erfahrungen verbunden und sinnlich erfahrbar. Ich erinnere mich sehr gut an den Besuch in einem Altenheim. Eine Dame saß draußen am Tisch und hat einen Tannenzapfen gestreichelt. Das hat mich sehr berührt. Die Wahrnehmung und Wertschätzung der Natur gegenüber ist enorm. Blumen sind einfach schön und berühren die Seele.
Wie können wir diese Erfahrungen schaffen, wenn Angehörige nicht mehr so mobil sind?
Man kann die Natur mit einfachen Dingen hineinholen. Zum Beispiel zum Besuch ins Pflegeheim nimmt man eine Holunderblüte mit, weiche Zweige von Nadelhölzern oder Kräuter und kann seinen Angehörigen daran riechen, fühlen oder auch schmecken lassen. Die Natur wirkt auf uns. Sie ist positiv besetzt und sinnlich erfahrbar. Blumen sind so vielfältig und eine jede ist vollkommen in ihrer Schönheit. Die Natur tut Menschen mit Demenz gut.
Was wünschst du dir für Menschen mit Demenz?
Als es vor über zwei Jahren mit der Pandemie losging, gerieten Menschen mit Demenz in den Hintergrund. Ich wünsche mir wieder mehr Teilhabe für sie. Es sollte mehr Begegnungsorte geben für Menschen mit Demenz. Die Natur ist wunderbar dazu geeignet.
Ein Gedanke zu „Was macht einen guten Garten für Menschen mit Demenz aus? – Interview mit Ulrike Kreuer“