Gefühle verarbeiten, Wie ich helfen kann

„Wie wandelt sich die Trauer?“ – Interview mit Anja Schmidt-Ott, Teil 2

Viele Angehörige von Menschen mit Demenz trauern. Wenn die Person stirbt, verändert sich die Trauer. Häufig ist es so, „dass man dann noch einmal sehr intensiv trauert“, sagt Coach und Trauerbegleiterin Anja Schmidt-Ott. In diesem Interview erklärt sie, wie sich die Trauer wandelt und welche Strategien Angehörigen helfen können. Anja geht auch darauf ein, wie Freunde und Bekannte unterstützen können und warum viele gut gemeinte tröstende Worte nicht trösten. Sie erklärt auch, weshalb sie das häufig genannte „Zeit heilt alle Wunden“ nicht passend findet.

Trauern beginnt für viele Angehörige von Menschen mit Demenz im Laufe der Erkrankung. Oftmals sind sie sich dessen gar nicht bewusst. Die Trauer ist unsichtbar. Im ersten Teil des Interviews hat Anja Schmidt-Ott erklärt, warum die Trauer bei Demenz so besonders ist und was Angehörigen helfen kann.

Wenn die Person verstirbt, wandelt sich die Trauer häufig und kann intensiver werden. Wie können Angehörige mit dem Schmerz umgehen? Was hilft ihnen? Und wie können Freunde und Bekannte unterstützen? Darum geht es in diesem zweiten Teil des Interviews.

Anja Schmidt-Ott ist Coach und Trauerbegleiterin. Sie begleitet Angehörige von Menschen mit Demenz bei Desideria Care und leitet die neue Trauergruppe für Angehörige. Mehr Infos zu Anja Schmidt-Ott findet ihr hier.

Interview mit Anja Schmidt-Ott, Teil 2

Im ersten Teil haben wir über das Trauern gesprochen, das viele Angehörige von Menschen mit Demenz betrifft. Nimmt diese lange Trauerphase das Trauern nach dem Versterben eigentlich vorneweg oder bereitet darauf vor?

Nein, das tut sie nicht. Es ist eine andere Art der Trauer, zumal ja Angehörige als pflegende, unterstützende und administrative Helfer ohnehin intensiv eingebunden sind und immer wieder auch „funktionieren“ müssen. Viele Angehörige berichten, dass die Trauer nach dem Versterben der Angehörigen sich sehr verändert hat. Dass dann die Erkrankten, wie sie vor ihrer Erkrankung waren, wieder ganz stark in die Erinnerung kommen und viel präsenter sind. Und dass man hier dann noch einmal sehr intensiv trauert.

Welche Rolle spielen die Umstände beim Trauern?

Wie in allen Trauerfällen, haben die gesamten Begleitumstände einen großen Einfluss. Zum Beispiel: Kann ich mich gut verabschieden? Habe ich Zeit zum „Begreifen“? Bin ich in der wichtigen Phase bis zur Bestattung gut begleitet? Empfinde ich den Tod vielleicht auch als Erlösung oder fühle ich mich zu schnell und hart meiner Liebsten beraubt? Darf ich auch erleichtert sein? Bin ich erstmal nur wahnsinnig erschöpft und ausgelaugt? Habe ich viele gute, verbindende Momente mit den Erkrankten erlebt, die mich auch jetzt vielleicht stärken? Das sind nur ein paar der möglichen Facetten, die das Trauern nach dem Versterben beeinflussen können.

Spielt es auch eine Rolle, ob man sich schon im Laufe der Erkrankung mit der Trauer beschäftigt hat?

Ja, wenn ich mich schon in der Phase der Erkrankung meiner Trauer und meinen Gefühlen gestellt habe, wenn ich mir hier immer wieder Raum gegeben haben, für meine Trauer und auch für Momente der Stärkung, dann werde ich vieles, was ich in der Phase vor dem Versterben gelernt und umgesetzt habe, auch danach tun. Dadurch werde ich sicherlich besser gerüstet durch die Trauerphase nach dem Versterben kommen. Schon allein dadurch, dass ich mehr darüber weiß, was Trauer alles bedeutet und beinhaltet.

Wie wandelt sich das Trauern im Laufe der Zeit?

Das häufig genannte „Zeit heilt alle Wunden“ finde ich nicht passend. Es stimmt in der Regel, dass sich das Trauern wandelt, dass sie nicht mehr so intensiv und lange den-Boden -unter -den-Füßen-wegreißend ist. Wir als Trauernde entwickeln natürlich auch Strategien, wie wir mit der Trauer umgehen. Gleichzeitig bleibt es, dass es immer wieder Situationen geben wird, da uns die Trauer manchmal ganz unvermittelt trifft. Ich habe ja im ersten Teil vom Weg durch das Labyrinth gesprochen, in dem wir immer mal wieder durch bestimmte Bereiche kommen. Dazu gehört eben auch das „Begreifen“.

Was meinst du damit?

So kann ich als Jugendlicher noch einmal ganz anders „begreifen“, was es bedeutet, dass die Mama gestorben ist, als ich das als Zweijähriger konnte, oder eben auch viel später „begreifen“, dass mein Mann und ich keine Silberhochzeit feiern werden, oder dass ich mit dem Tod meines Kindes auch meine potentiellen Enkel verloren habe. Es können auch ganz kleine Momente sein, in denen mir der Verlust wieder sehr schmerzhaft vor Augen geführt wird. Das Bild, das ich gern verwende ist, dass die Trauer nicht unbedingt kleiner wird, sondern der Raum um sie herum wird größer und hat so wieder mehr Platz für anderes neben der Trauer. 
In dem Modell, mit dem ich gern arbeite, dem Lavia Lebensweg- und Trauermodell®, ist da ein guter „Beziehungsort“ ein Beispiel dafür.

Kannst du das näher erläutern?

Das Symbol ist ein Schmetterling, der auf der ausgestreckten Hand landen darf, der aber auch wieder fliegen darf. Den ich nicht so sehr festhalte, dass er zerstört wird, sondern den ich einlade, auf meiner Hand zu landen und ihn aber auch wieder ziehen lassen kann. Ich klammere nicht an meiner Trauer, definiere mich nicht nur noch über sie und sehe, wie sie mich verändert hat.

Was bedeutet das konkret?

Wenn ich in meiner Trauer gelernt habe, immer mal wieder einen guten Beziehungsort für denjenigen, den ich betrauere, zu haben, für manchen ist das, zum Beispiel, das Grab, für andere ist das die Lieblingsbank im Garten oder auch das Schlafzimmer, für wieder andere sind das Begegnungen mit Rotkehlchen oder Amseln, dann hat sich die Trauer gewandelt. Es wird immer noch Momente geben, in denen sie mich überfällt und es wird auch immer noch schmerzen, aber der Schmerz hat sich gewandelt. Und neben ihm gibt es auch Raum für gute, dankbare, fröhliche, normale und traurige Momente – und zwar für alte und neue.

Nach Mamas Tod haben mir einige Menschen gesagt, dass es für Mama eine Erlösung gewesen sei. Ich empfinde das nicht so und fühle mich nicht ernst genommen. Wie siehst du das?

Das ist etwas, das wir sehr häufig hören – und das gleichzeitig total übergriffig ist und auch sehr verletzend sein kann. Für mich selbst und meine eigene Trauer kann es sehr gut und hilfreich sein, wenn ich den Tod auch als Erlösung sehen kann. Das ist aber dann meine eigene Sache und eigene Einstellung. Es sollte nicht von anderen so gesagt oder zugeschrieben werden. Denn in der Tat ist das dann so, als würde es den Verlust kleiner machen, als er ist und als gäbe es eine Art moralische Verpflichtung, hier nun aber mal „dankbarer“ zu trauern. In der Regel ist das ein hilfloser Versuch des Umfeldes, zu trösten oder auch selbst den Verlust einzuordnen.

Es war sicher gut gemeint, aber hat eben nicht geholfen.

Ja, gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht – und gerade wenn wir so dünnhäutig sind, wie uns die Trauer macht, gehen solche Sätze einem wahnsinnig unter die Haut und auch lange nach. Es bleibt ja, dass da ein Mensch gestorben ist, den man liebt und mit dem einen viel verbindet – und um den man auch trauert. Zumal gerade nach langen Erkrankungen, der Mensch vor der Erkrankung in der Erinnerung plötzlich wieder extrem präsent ist und man hier häufig noch einmal sehr intensiv den Verlust betrauert.

Wie kann ich mit solchen Aussagen zum Trauern besser umgehen?

Als Betroffene können wir versuchen, das einzusortieren: Dass es weniger mit uns als mit denjenigen, die so etwas sagen, zu tun hat, beispielsweise. Dass sie eben eher versuchen uns oder sich selbst zu trösten. Vielleicht ist das sogar etwas, das man in der Vorbereitung auf die Beerdigung ansprechen kann und das die Trauerredner dann aufnehmen können. Es bleibt eine Formulierung, die wir in unserer Gesellschaft viel weniger und besonders achtsam einsetzen sollten. Meiner Meinung nach steht die Aussage nur den selbst Betroffenen zu. Ich finde, man darf sie nur über seine eigene Trauererfahrung sagen, aber niemals über die von anderen.

Warum empfiehlst du das?

Denn in dem Moment spreche ich zwar über den Verstorbenen, aber nicht mehr MIT den Hinterbliebenen und ich erkenne ihre Gefühle nicht mehr an. Auch wenn es so nicht gemeint ist, wirkt es häufig so, als mache ich sie und ihren Verlust damit klein und werte moralisch. Eine Mutter eines schwerkranken Jungen hat mir nach seinem Tod gesagt, wie sehr sie dieses „Aber für ihn war es ja eine Erlösung“ verletzt hat. Denn sie hat ihr Kind verloren, und erlebt einen unsagbareren Verlust. Der wird durch solche Sätze nicht kleiner, sondern im Gegenteil nur noch größer. Als Hinterbliebene fühlt man sich in seiner Trauer noch mehr alleine gelassen.

Was ist dein Rat: Was kann man als Außenstehener sagen, um zu trösten?

Unsere Gesellschaft hat zunehmend verlernt und ist oft ratlos, wie man mit Trauernden umgeht. Wir wollen schnell trösten, wollen nicht mit der Trauer konfrontiert werden. Und so wechseln viele von uns lieber die Straßenseite, wenn sie Menschen begegnen, die in Trauer sind, als sie anzusprechen und damit vielleicht auch ihre eigene Hilf-und Sprachlosigkeit. Ein „Es tut mir so leid, ich weiß nicht, was ich sagen soll“ oder „mir fehlen die Worte“ kann so viel mehr bewirken als ein „Meld‘ dich, wenn ich was tun kann“ oder gar ein bewusstes Nicht-Ansprechen, in der Idee, das man die Angehörigen „besser erstmal in Ruhe lassen soll“. Da muss sich in unserer Gesellschaft noch viel tun.

Wie können Freunde und Bekannte gut für den Angehörigen da sein? Wie können sie beim Trauern helfen?

Nehmen wir das „Meld‘ dich, wenn ich was tun kann“. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Natürlich ist es schön, zu wissen, dass es hier Unterstützungsangebote gibt. Aber nimmt man diese dann auch in Anspruch? Greift man tatsächlich nachts um drei zum Telefon, weil man nicht schlafen kann und es einen aus dem Bett treibt? Trauer ist anstrengend, sie kostet viel Kraft. Manchmal reicht die dann nicht mehr dazu aus, sich konkrete Hilfestellungen zu überlegen und darum zu bitten.

Ist es besser, konkrete Angebote zu machen?

Ja, das ist es. Manchen fällt es ja eher schwer, die Trauer auszuhalten. Sie könnten aber konkret Entlastung anbieten. Das geht von der Lasagne, die man vorbeibringt, bis zum Einkauf, den man erledigt, und dem Angebot, mit den Erkrankten spazieren zu gehen. Und andere können sich als Gesprächspartner anbieten. Es ist wichtig, im Kopf zu haben, dass es nicht vorrangig unsere Aufgabe ist, zu trösten oder Lösungen zu entwickeln.

Was ist denn dann die Aufgabe?

Es geht erstmal darum, nur für unser Gegenüber da zu sein. Mitfühlen. Mitaushalten. Anerkennen. Das bewirkt schon so viel. Wir neigen dazu, dass wir schnell trösten wollen und damit ein wenig über die Trauer hinweggehen, denn wir können ja den Verlust nicht ungeschehen machen. Hier die emotionale Lage der Angehörigen mit all ihren Facetten anzuerkennen und ihnen immer wieder mal die Gelegenheit anzubieten, diese an- und auszusprechen, ist unendlich wertvoll. Und ebenso braucht es auch Auszeiten vom Traurigsein.

Wie kann das gelingen?

Hier kann man Angebote schaffen, die die Angehörigen stärken und unterstützen. Mal wieder gemeinsam etwas essen gehen oder Angebote für gemeinsame Aktivitäten. Egal, welche Art von Unterstützung man anbietet – bleiben Sie am Ball. Es kann sein, dass ein Angebot zu einem späteren Zeitraum wichtig ist, geben Sie den Angehörigen Raum, auch „Jetzt gerade nicht“ zu sagen. Das ist kein Abweisen Ihrer Angebote, sondern zeigt nur, dass die Angehörigen gerade etwas anderes brauchen. Das kann sich also in wenigen Tagen wieder ändern. Bieten Sie also immer wieder Unterstützung aktiv an. Und helfen Sie so, dass die Angehörigen sich nicht immer mehr isoliert fühlen. Dabei ist wichtig im Kopf zu haben, dass wir der Trauer Zeit  geben müssen. Wie bei einer Wunde braucht es, bis die Narbe gewachsen ist. Die auch immer mal wieder schmerzen wird – mal mehr, mal weniger. Trauer ist ein Teil des Lebens, wir sollten sie nicht als Tabu behandeln oder als etwas, das weggedrückt werden sollte. Wenn wir das geschafft haben, sind wir in unserer Gesellschaft auf dem Weg zu einem unterstützenden Miteinander ein gutes Stück voran gekommen.

5 Gedanken zu „„Wie wandelt sich die Trauer?“ – Interview mit Anja Schmidt-Ott, Teil 2“

  1. Liebe Peggy,
    Du triffst immer die richtigen Themen, beide Artikel haben mich und meine Trauer sehr gut beschrieben! Danke dir dafür! Ich habe mir Artikel 1 sehr gut verstanden auf einmal , was vorher mit mir passierte und was ich nie so gut in Worte fassen konnte- und genau, mich hat der Tod von Dirk dennoch oder gerade deshalb mit voller Wucht getroffen. Ich würde sehr gerne mehr darüber erfahren, kann aber heute Abend nicht teilnehmen – ich nehme mal Kontakt mit Anja Schmidt Ott Kontakt auf liebe Grüße Anja

    1. Liebe Anja,
      Danke für deine lieben Worte! Mir haben die Erklärungen von Anja Schmidt-Ott auch sehr geholfen.
      Meld dich gerne bei ihr.
      Ganz liebe Grüße Peggy

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