Meine Mama ist so ruhig geworden und schläft viel. Liegt es an dem trüben Frühlingsgrau, an den Medikamenten oder an der fortschreitenden Demenzerkrankung? Dieses Schlafen macht mich unsicher und ich würde zu gerne fragen: Liebe Mama, was brauchst du? Hilft ihr aber mein Fragen? Stresst es womöglich und setzt sie unter Druck? Ich weiß es nicht – und doch denke ich, dass das Fragen nach den Bedürfnissen wichtig ist – für meine Mama und für uns.

Liebe Mama, was brauchst du?
Wie geht es dir? Ich würde dich das so gerne fragen und von dir erfahren, wie es dir wirklich geht und was du brauchst.
Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich unsere Kommunikation verändert. Die Worte sind weniger geworden und die Gespräche fielen schwerer. Ja, da waren viele Missverständnisse. Ich denke, das geht vielen Familien so. Die Demenz schleicht sich so langsam in den Alltag, während nach außen hin alles noch normal erscheint. Und an der Kommunikation zeigt sich oft, dass sich die Dinge doch verändert haben. Häufig tauchen Kommunikationsprobleme noch vor der Diagnosestellung auf. “Du verstehst mich nicht”, heißt es dann, vielleicht genervt, frustriert, enttäuscht oder resigniert (Davon hat Robert in der aktuellen Podcastfolge “Leben, Lieben, Pflegen” berichtet).
Das ist für beide Seiten nicht leicht – und es liegt dann an den Angehörigen zu erkennen, was der Mensch mit Demenz mitteilen möchte. Es ist unsere Aufgabe, zu sehen, wie es dir geht und was du uns sagen möchtest. Ich denke, wir haben das ganz gut geschafft. Mit all den Fehlern und Lehren, die man so macht, wenn man etwas zum ersten Mal macht. Das ging mit Worten irgendwann nicht mehr so gut. Wir haben gefragt: Was möchtest du essen? Möchtest du spazierengehen? Möchtest du dich ausruhen? So wie man das nun mal macht, aber geantwortet hast du fast nie mehr. An deinen Reaktionen jedoch hat sich eigentlich immer eine Antwort ablesen lassen.
Und nun schläfst du so viel und machst kaum mehr die Augen auf. Ich war lange fest davon überzeugt, dass ich erkenne, was du brauchst. Weil ich dich gut kenne und weil ich an deinen Augenbewegungen, an deiner Mimik und Gestik gemerkt habe, ob dir etwas gefällt oder nicht. Aber das ist immer weniger geworden. Du schläfst und reagierst meist nicht. Deine Zeichen sind so viel zarter und schwerer zu lesen – und häufig gelingt es nicht. Da bist du fern, obwohl du doch direkt neben mir bist.
Hilft es dir, wenn wir fragen?
Manchmal frage ich mich, ob wir dich fragen sollten. Verstehst du, was wir von dir wissen wollen? Setzt es dich vielleicht sogar unter Druck, weil du eine Antwort geben möchtest, aber es nicht mehr gelingt? Verwirrt es dich? Stressen wir dich?
Wie gerne wüsste ich, was du sagen würdest auf die Frage: Was brauchst du? Es macht mich traurig, dass das eben nicht mehr so geht. Wenn das Antworten nicht mehr gelingt, braucht es dann das Fragen?
Ja! Auch, wenn das Antworten nicht mehr gelingt, braucht es das Fragen. Ich denke: Ja, wir dürfen dich weiterhin fragen. Ganz unbedingt sollten wir es sogar tun. Vielleicht anders als früher und mit einer anderen Erwartung, aber dich zu fragen zeigt ja vor allem, dass wir dich und deine Bedürfnisse ernst nehmen. Dass wir wissen möchten, wie es dir geht und was dir guttut und wie wir für dich da sein können.
Dich zu fragen heißt, dass wir dich sehen, dich als Menschen – und nicht nur die Demenz.
Dieses Fragen gilt ja eigentlich für uns alle, oder? Es ist eine Frage, die ich genauso an die Menschen um mich herum stellen sollte und auch an mich: Was brauche ich? Dabei denke ich an das Gespräch zum Thema Selbstfürsorge: Wir können ja nur gut für andere sorgen, wenn wir die auch für uns tun können.
Liebe Mama, was brauchst du?
Deine Peggy
Noch ein Tipp von mir: Noch bis zum 27. Mai läuft das Online-Symposium “Demenz anders sehen” von Michael Hagedorn mit 35 berührenden und inspirierenden Videointerviews mit Vordenkern und Zukunftsgestaltern, Menschen mit Demenz und pflegenden Angehörigen. Hier könnt ihr euch kostenlos anmelden und findet einen Überblick über die Teilnehmenden.

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Ein Gedanke zu „Liebe Mama, was brauchst du? – Warum das Fragen wichtig ist“