Expert:innen-Gespräche, Was die Kinder fragen

“Erwachsene können von Kindern lernen, sich auf Menschen mit Demenz einzulassen” – Im Gespräch mit Anita Mild

Kinder und Demenz – dieses Thema beschäftigt mich sehr. Ich kann mit der Alzheimer-Erkrankung meiner Mama mittlerweile offen umgehen, aber mir fällt es manchmal nicht leicht, mit den Kindern darüber zu sprechen. Oder ich frage mich, ob gewisse Probleme nicht zu viel für sie sind und ich sie damit belaste. Andererseits bin ich immer wieder erstaunt, mit was für einer Offenheit und Unbeschwertheit meine Töchter mit dem Thema Alzheimer umgehen und wie sehr sie sich bemühen, meiner Mama etwas Gutes zu tun. Kinder und Demenz – dazu habe ich die Autorin Anita Mild befragt. Ihr gelingt es, das schwere Thema Demenz für Kinder leicht und humorvoll zu verpacken. Von ihr wollte ich wissen, wie Kinder mit der Erkrankung umgehen und was ihnen helfen kann. Was sie mir erzählt hat? Dass Kinder uns Erwachsenen im Umgang mit Alzheimer und Demenz einiges voraus haben und wir von ihnen lernen können.

Interview-Anita-Mild

Das Kinderbuch “Pauli muss ins Altersheim” hat mich sehr begeistert, denn die Autorin schafft es, ein schweres Thema leicht, lustig und spannend für Kinder zu erklären. Deshalb habe ich sie zum Interview gebeten. Anita Mild ist Seniorenbetreuerin in einem Altersheim in der Nähe von Wien. Manchmal schlüpft sie in die Rolle der Clownin “Frau Frida Flieder”.

Interview mit Anita Mild

Liebe Anita, du arbeitest in einem Altenheim. Was sind deine Aufgaben?
Ich arbeite als Seniorenbetreuerin in einem Altersheim. Meine Aufgabe dort ist es, kreative Beschäftigungsmöglichkeiten für die Bewohnerinnen und Bewohner anzubieten. Wir backen, kochen, malen, basteln, lesen, singen, trainieren das Gedächtnis bei Rätseln, oder arbeiten an den Hochbeeten im Garten gemeinsam. Oft ist es lustig und schwungvoll. Manchmal ist es aber auch ganz leise und meine Aufgabe besteht zuweilen darin, eine Hand zu halten oder einen Spaziergang mit jemandem zu unternehmen. Und hin und wieder kommt es vor, dass ich in eine andere Rolle schlüpfe und als „Frau Frida Flieder“ einen Clownbesuch in den Wohnbereichen mache.

Was ist anders, wenn du als Clownin kommst?
In der Rolle der Clownin kann ich anders reagieren und agieren. Ich kann mich viel spielerischer einlassen auf bestimmte Situationen, was besonders in der Begegnung mit Demenz-Patienten wertvoll ist.

Und ich hätte gedacht, dass Menschen mit Demenz da eine Scheu zeigen oder verwirrt sind. Welche Erfahrungen hast du gemacht?
Als Clownin Frida Flieder begegnen mir die meisten Bewohnerinnen und Bewohner sehr offen. Ein Lächeln breitet sich auf den Gesichtern aus, neugierig werde ich beäugt. Meine bunten Kleider und die rote Nase fungieren als Tor in eine andere Welt. Oft bemerke ich eine Art Öffnung der Sinne. Ich erinnere mich an eine Dame, die schon lange kein Wort mehr gesagt hatte. Sie stimmte ganz plötzlich in ein altes Kinderlied mit ein und sang mit strahlenden Augen bis zum Ende mit. Danach lächelte sie und bedankte sich mit einem wortlosen Nicken.

Funktioniert das immer so gut?
Eine andere Dame, weit über 90 und dement, jedoch sehr gesprächig, scherzte mit Frida Flieder und schaute sich interessiert den Requisitenkoffer an. Diese Dame spricht sehr oft davon, dass sie nach Hause muss, weil ihre Mutter mit dem Mittagessen auf sie wartet und sie sich in der Schule vertrödelt hat. Ich kenne diese Dame seit knapp zwei Jahren, habe in der Seniorenbetreuung oft mit ihr zu tun, meinen Namen merkt sie sich nicht. Als ich etwa drei Wochen nach dem Clownbesuch in normaler Dienstkleidung auf ihrem Wohnbereich war, rief sie mir plötzlich zu: „Frida, Frida komm einmal her zu mir!“ Ich dachte zuerst ich höre nicht richtig, aber sie wiederholte ihre Worte. Noch immer bin ich überrascht und berührt, wenn ich daran denke und es zeigt mir, wie tief so eine Begegnung mit der Clownfigur gehen kann und welche Ressourcen sie freisetzen kann.

Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Kinderbuh über Demenz zu schreiben?
Auf die Idee ein Kinderbuch zum Thema Demenz zu schreiben bin ich gekommen, als ich versuchte die Demenz-Geschichte meines Vaters als Roman niederzuschreiben. Jeden Versuch, den ich startete, gab ich bald wieder auf, weil mir der Text immer zu schwer, melancholisch und traurig erschien. Die Erfahrungen mit meinen eigenen Kindern, und die Beobachtung von anderen Kindern im Altersheim, brachten mich auf die Idee ein Kinderbuch darüber zu schreiben.

Welche Erfahrungen hast du mit deinen Kindern gemacht?
Meine Kinder gingen beide ganz unterschiedlich mit der Situation um. Während meine Tochter nie Berührungsängste hatte, war mein Sohn immer ein wenig ängstlich, wenn wir im Altersheim zu Besuch waren. Ihm war das alles nicht geheuer, zum Beispiel dass man sein Enkelkind nicht mehr wiedererkennen kann, man Gehilfen benötigt, wirre Dinge erzählt oder gar die Sprache ganz verliert. Ich dachte mir, dass es auch anderen Kindern so ergehen könnte. Deshalb wollte ich ein Buch schreiben, das diese Ängste und Unsicherheiten aufgreift, aber auch lustig zu lesen ist.

Was ist dein Ziel?
Den jungen Leserinnen und Lesern auf heitere Art die Angst im Umgang mit Demenz, alt und anders Sein zu nehmen.

Mir gefällt vor allem, dass man das Altersheim wirklich aus den Augen von Pauli sieht, weil er so spricht, wie Kinder sprechen. Wie hast du das geschafft?
Da half mir einerseits, dass ich schon viel Zeit in Altersheimen verbracht habe und andererseits natürlich meine eigenen Kinder und dass ich früher viele Jahre in der Kinderbetreuung gearbeitet habe. Ich glaube auch, dass ich mich immer noch gut an die Zeiten erinnern und mich hineinfühlen kann, als ich selbst noch ein Kind war. Und das erste Feedback zum Buch habe ich mir klarerweise von meinen Kindern abgeholt.

Was sind deine Erfahrungen: Wie nehmen Kinder Menschen mit Demenz wahr? Was machen sie anders als Erwachsene?
Ja, ich glaube Kinder nehmen eine Demenz anders wahr, als wir Erwachsene. Sobald sie ihre Scheu, sofern es überhaupt eine gibt, abgelegt haben, gehen sie viel selbstverständlicher mit der Situation um und können die Erkrankung annehmen, ohne sie als Bedrohung zu sehen. Aber wie Kinder die Demenz wahrnehmen hängt von verschiedenen Faktoren ab.

Welche sind das zum Beispiel?
Das Alter des Kindes und wie der Umgang in der Familie damit ist, spielt eine Rolle. Je älter das Kind ist, desto mehr wird es hinterfragen und vielleicht pragmatische Antworten suchen. Je offener und selbstverständlicher die Familie mit der Demenz umgeht, umso einfacher wird es auch für das Kind sein. Grundsätzlich finde ich, dass Kinder viel flexibler reagieren.

Denkst du, dass wir Erwachsenen von Kindern etwas lernen können im Umgang mit Demenz?
Ich denke, Erwachsene können von Kindern lernen, sich spontan und spielerisch auf Menschen mit Demenz einzulassen, nicht so viel zu hinterfragen und nicht immer alles richtigstellen zu müssen. Im Moment zu bleiben und in die Welt des an Demenz erkrankten Menschen einzutreten und ihn ein Stück zu begleiten.

Welche Fragen stellen Kinder und wie sollten Eltern/Erwachsene darauf reagieren?
Kinder fragen meiner Erfahrung nach meistens nach dem „Warum?“. Warum redet Oma so komisch? Wieso kann Opa nicht mehr aus einem normalen Glas trinken? Weshalb braucht Oma so ein Wagerl zum Gehen? Warum vergisst Opa immer, wer ich bin? Wieso redet die Frau mit sich selbst?

Und wie antwortet man darauf?
Ich würde auf solche Fragen immer ehrlich antworten. Natürlich kindgerecht und nicht im Fachjargon. Das Wort „Demenz“ kommt zum Beispiel in meinem Buch gar nicht vor. Wichtig ist, dass man auf Ängste und Unsicherheiten reagiert, viel darüber redet, gemeinsam Zeit verbringt, vielleicht ein Buch oder einen kindgerechten Film zum Thema anschaut, oder in der Schulklasse eine Lesung aus einem Kinderbuch zum Thema organisiert.

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