Wie ich helfen kann

Wie kann ich als Tochter (oder Sohn) helfen?

Als meine Mama die Diagnose Alzheimer erhielt, war für mich und meinen Bruder klar, dass wir für sie da sein wollen und meinen Papa mit der Pflege und Betreuung unterstützen wollen. Aber das ist nicht immer ganz leicht. Da ist zum einen die große räumliche Entfernung, die uns im Alltag trennt. Und zum anderen, und das ist wohl die größere Herausforderung, haben wir oft unterschiedliche Vorstellungen und Herangehensweisen. Ein typisches Problem für Töchter und Söhne, die ihren Eltern bei der Pflege helfen wollen? Das ist gut möglich. Ich habe festgestellt, dass Helfen nicht immer so einfach ist, wie es zunächst anmutet, weil man als Tochter (oder Sohn) manches anders machen möchte. Wie geht Helfen dann überhaupt? Worauf kommt es an? In diesem Beitrag erzähle ich euch, wie ich mit der Situation umgehe und wie ich (erstmal) meine Rolle und Aufgabe gefunden habe.

Mama, Papa, Peggy

Wie kann ich als Tochter helfen?

Als meine Mama die Diagnose Alzheimer bekommen hat, war das auch für mich ein großer Schock. Und ich habe mich mit verantwortlich gefühlt. Für mich war klar, dass ich für sie da sein möchte. Auch für meinen Bruder stand fest, dass wir als Team an der Seite meiner Eltern stehen und sie unterstützen. Ich wollte damals gerne ein zweites Kind bekommen und habe das sehr hinterfragt. Kann ich mich um zwei Kinder kümmern und eine Mutter mit Alzheimer pflegen? Ich hatte großen Respekt davor, auch wenn ich damals noch gar nicht wusste, wie der Alltag mit Alzheimer sein könnte und wie Mamas Krankheit verlaufen würde.

Ich habe mich für ein zweites Kind entschieden und war überzeugt davon, dass ich trotz allem für meine Mama da sein könnte. Damals ging es ihr noch gut und Außenstehende hätten nie gemerkt, dass sie eine Demenz hat. Meine Mama lebte sogar ein wenig auf und wir schoben das Thema Pflege von uns. Heute bereue ich, dass wir nicht über das Thema Pflegeheim gesprochen und uns damit beschäftigt haben, aber damals wollten meine Eltern so viel Normalität wie möglich. Und ich ja auch.

Ich sah meine Aufgabe anfangs vor allem darin, Informationen und Erfahrungen zu finden und weiterzugeben. Das ist vielleicht auch meiner Arbeit als Journalistin geschuldet, denn wenn ich auf ein Thema stoße und anfange zu recherchieren, dann tue ich das sehr gründlich. Ich las also in Ratgebern der Deutschen Alzheimer Gesellschaft und Büchern, recherchierte auf Webseiten und suchte in Foren nach Gleichgesinnten. Die Ratgeber bestellte ich oft doppelt und gab einen meinen Eltern. Ich kopierte Artikel für sie und schickte sie ihnen. Ich wollte ihnen damit helfen. Rückblickend weiß ich, dass ich all das auch für mich tat.

Helfen – was heißt das überhaupt?

Ich wollte mich informieren und wissen, was diese Alzheimererkrankung bedeutet und wie die Krankheit verlaufen würde. Am liebsten hätte ich einen Plan oder einen Leitfaden von Mamas Arzt bekommen, aber der hatte uns mit den Worten verabschiedet, dass jede Demenz individuell sei und er nicht sagen könne, wie sie sich bei meiner Mama entwickelt. Diese Ungewissheit machte mir Angst. Das Recherchieren und Lesen half mir.

Ich tat all das vermutlich auch ein wenig, um mein permanent schlechtes Gewissen zu beruhigen. Denn ich habe damit gehadert, nicht bei meinen Eltern zu sein, sondern stattdessen mein eigenes Leben mit meiner kleinen Familie zu leben. Wenn ich schon nicht im Alltag da wäre, dann wollte ich wenigstens aus der Ferne einen Beitrag leisten. Mein Papa mochte diese Ratgeber und Bücher nicht, er stellte sie in seine Bücherschränke im Keller. All dieses Fachwissen, das ich mir über Alzheimer anlas, das interessierte ihn kaum.

Ich frage mich, ob ich ihm damit geholfen habe. Ich war in den ersten Jahren manchmal genervt, weil er sich so wenig mit der Krankheit auseinander setzte. Und weil er nicht immer geduldig reagierte. Wenn meine Mama beim Erzählen die Erinnerungen durcheinander brachte oder die gleiche Frage zwei- oder dreimal stellte, hob mein Papa seine Augenbrauen hoch. Seit ich Kind bin, kenne ich diese Mimik und verbinde sie mit einem Zurechtweisen und Korrigieren. Manchmal korrigierte mein Papa meine Mama auch mit Worten. „Papa“, raunten wir ihm dann genervt zu. Ich verstand oft nicht, warum er nicht wusste, dass all diese Dinge mit der Alzheimererkrankung einhergehen. Warum konnte er nicht geduldiger sein? Warum nicht verstehen? Ich hatte ihm doch die Broschüren und Ratgeber gegeben…

Welche Hilfe ist überhaupt erwünscht?

Aber mein Papa wollte gar nicht darin lesen. Er wollte eigentlich nur, dass meine Mama wieder gesund wird. So gesehen waren meine Aktionen keine Hilfen (allerdings habe ich dadurch viel gelernt und damit war es dann natürlich doch sehr hilfreich…) Aber ich merkte, dass mein Papa doch auch Fragen hatte und auf der Suche nach Informationen war. Wie konnte ich ihm helfen? Was könnten wir tun? Wie können wir helfen? Darüber haben mein Bruder und ich uns viele Gedanken gemacht.

Gerade in den letzten beiden Jahren ist das Thema Helfen immer wichtiger geworden. Denn wir beobachten teils mit Sorge, dass Mamas Krankheit sich deutlich verschlechtert hat und die Aufgaben und Belastungen für meinen Papa stetig zunehmen. Uns erschien es ganz logisch und klar, dass er dafür andere Aufgaben abgibt, etwa Dinge, die er im Haushalt nicht gerne erledigt wie putzen und bügeln. Aber der Vorschlag kam nicht so gut an. „Nein, das schaffe ich doch“, hat mein Papa immer wieder entgegnet.

Ich weiß nicht mehr, wie viele Diskussionen wir schon darüber geführt haben und welch unterschiedliche Argumente ich bereits ins Feld geführt habe: von „Du musst auch mal was für dich tun“ bis zu „Mama braucht dich doch noch“. Die Begründung, dass er auf sich achten sollte, damit er sich um meine Mama kümmern könne, funktioniert oft am besten. Die Antwort meines Papa ist aber meist: „Ich schaffe das schon“. Das würde ich vielleicht auch problemlos akzeptieren, wenn ich nicht denken würde, dass er es eben doch nicht mehr schafft. Ich mache mir Sorgen um ihn.

Immer wieder dieselben Diskussionen – Warum?

Warum fällt das Helfenlassen so schwer? Ich weiß, dass mein Papa da keine Ausnahme ist. Die Statistiken zeigen, dass viele pflegende Angehörige keine Leistungen in Anspruch nehmen. Teilweise mag das daran liegen, dass vielen überhaupt nicht bekannt ist, welche Leistungen es gibt. Auch für uns war es ein ziemlicher Irrweg durch den Pflegedschungel. Erst nach etlichen Beratungen und Gesprächen habe ich einen ganz guten Überblick bekommen.

Aber es sind wohl meist andere Gründe, so meine Vermutung. Ganz zu Beginn von Mamas Erkrankung haben meine Eltern gesagt, dass sie nicht wollen, dass wir unser Leben einschränken wegen ihnen. Und auch jetzt sagt mein Papa immer wieder, dass er nicht möchte, dass wir helfen, weil er uns nicht zur Last fallen will. Worauf ich oder mein Bruder dann sagen, dass wir das gerne tun und es für uns selbstverständlich ist, ihnen zu helfen.

Solche Gespräche wiederholen sich in ähnlicher Form regelmäßig. Und mich frustrieren sie immer wieder, weil es sich oft so anfühlt, als wären sie ohne Erfolg. Wir haben unzählige Gespräche über die Tagespflege geführt, bis mein Papa sich endlich dazu entschließen konnte, das meine Mama ausprobierenzulassen. Wir diskutierten Jahre über den Umbau und mindestens genauso lang über die Unterstützung durch eine Haushaltshilfe und eines ambulanten Pflegedienstes.

Veränderungen brauchen Zeit

Zäh und nervig waren diese Diskussionen für mich (für ihn vermutlich auch). ‚Warum versteht er das nicht?‘, ‚Warum sieht er das nicht ein?‘ fragte ich mich oft und war frustriert. Es wäre doch so viel einfacher gewesen, gleich beim ersten Gespräch ein Ergebnis zu haben. Anfangs war ich auch sehr ungeduldig in diesen Diskussionen. Und auch heute werde ich oft sehr emotional. Denn wir drehen uns immer wieder in den gleichen Gedankenkreisen, die sich oft hochschaukeln. „Ich möchte euch doch nur helfen“, habe ich ihm neulich gesagt. Und er hat entgegnete: „Ich weiß, aber du musst mich auch verstehen.“

Meine pragmatische Seite verstand all seine Bedenken und Zweifel überhaupt nicht. Aber ganz ehrlich: meine emotionale Seite konnte gut nachvollziehen, warum Papa Veränderungen – und das sind externe Hilfsangebote ja – so schwer fallen. Es ist einer dieser Abschiede, die mit der Alzheimererkrankung einhergehen. Immer wieder. Das Tag für Tag zu erleben und anzunehmen, das ist eine große Aufgabe. Solche zähen Diskussionen und Entscheidungen gehören vielleicht einfach dazu. Veränderungen brauchen Zeit. Das muss ich wohl akzeptieren – und auch aushalten können.

Wie ich helfen kann

Aber ich kann mehr tun als nur aushalten – und das gibt mir dann wieder Kraft und Mut und das Gefühl, helfen zu können: Ich kann mich informieren und Dinge nachlesen, Adressen suchen und bei Experten fragen. Dieser Blog hier ist auch ein Teil meines Hilfsprojekts. Und immer, wirklich immer muss ich an den wunderbaren Satz denken, den Petra Wieschalla mir in einem Interview sagte: „Helfen ist nicht: Ich mache, was ich denke, was gut für dich ist. Hilfe ist für den anderen da sein. Diese Präsenz und dieses Geschenk der Nähe, dieses regelmäßige Nachfragen und Zeit miteinander zu verbringen, das ist eine große Hilfe, ohne dass wir ein konkretes Ergebnis haben. Dass dein Vater weiß, wenn es hart auf hart kommt, dann bist du und dein Bruder für ihn da, das ist eine wichtige Hilfe.“

In diesem Sinne sehe ich für mich darin meine Aufgabe: mich zu informieren und da zu sein, wenn er mich braucht. Und ihn zu fragen: Wie kann ich helfen? Was brauchst du? Dann kommen manchmal Dinge, die für mich nicht wichtig gewesen wären, aber die ihm den Alltag erleichtern – und ihm helfen. Wie neulich, als er dann fragte, ob ich ihm das mit der neuen Waschmaschine noch mal zeigen könne. Auch über mein Angebot, Mamas Nägel zu schneiden, hat er gerne angenommen. Helfen ist möglich, auch wenn das nicht immer so aussieht, wie ich mir das vorstelle.

Und für manche Dinge lohnt es sich auch, sich Unterstützung von außen zu holen. Sich gemeinsam mit dem Arzt zu besprechen oder die Meinung der Tagespflege einzuholen und dann noch mal ins Gespräch zu gehen. Nicht, um zu überreden, sondern um zu reden. Und so nervig und anstrengend all diese Gespräche manchmal sind, umsonst sind sie selten.

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3 Gedanken zu „Wie kann ich als Tochter (oder Sohn) helfen?“

  1. Auch für den Geriater ist es jedesmal eine Herausforderung den (mutmaßlichen) Patientenwillen zu akzeptieren und zu respektieren. Und zwar besonders wenn er dem allgemeinen und medizinischen Sachverstand widerspricht. Für mich ist auch euer Papa ein geriatrischer Patient, dessen Willen es genauso zu respektieren gilt.

    Deine Entscheidung für das zweite Kind war absolut richtig. Und ich hoffe du hast diese Entscheidung keine Minute bereut. Dann wirst du sie auch in Zukunft nie bereuen. Nachdem die Sonne untergeht, geht sie auch wieder auf. In deinem Fall ist sie schon wieder aufgegangen, bevor sie noch ganz untergehen durfte.

    Dein zweites Kind soll nicht sein oder fortführen müssen, was deine Mutter in gesunden Tagen für dich war. Es wird aber immer deinen konnex zu deiner Mutter herstellen.

    Du entscheidest, ob du diesen Kommentar freigibst. Mir genügt es, wenn du ihn gelesen hast.

  2. Danke für diesen ausführlichen Bericht. Ich habe ihn mit Interesse gelesen. Fühle mich im Moment von etlichen Stellen allein gelassen, es wird versprochen zu helfen, aber nicht getan. Ich habe viel gelernt mit der Erkrankung meines verstorbenen Lebensgefährten. Vor allem eins, ich habe mich selbst überfordert. Gott sei Dank habe ich Hilfen bekommen, nicht immer von da, wo ich es mir gewünscht hätte.
    Ich muss versuchen, wieder ohne Partner zu leben, nur noch Kontakte zu pflegen, die mir gut tun und für mich wieder besser zu sorgen. Ein für mich schwerer Lernprozess, aber ich werde es schaffen.
    Später vielleicht mehr, jetzt forder mich der Alltag.
    Beatrix

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