"Liebe Mama..."

Liebe Mama, bei dir zu sein, ist schön und schwer.

Seit Tagen habe ich mich darauf gefreut, zu meinen Eltern zu fahren, mit den Kindern ein paar Tage hier zu verbringen und meiner Mama nahe zu sein. Es ist schön – und doch sind da immer wieder schwierige, traurige Momente. Es sind Situationen, in denen ich merke, dass ich irgendwie wieder Abschied nehmen muss, von dem, was ich kenne und dem, wie ich Mama gerne bei mir hätte. Darum geht es in dem neuen Brief: Liebe Mama, bei dir zu sein, ist schön und schwer.

Liebe Mama, bei dir zu sein ist schön und schwer.

Ich habe mich in den vergangenen Tagen sehr darauf gefreut, zu euch zu fahren. Ich wollte dir nahe sein und für dich da sein. In den vergangenen Wochen habe ich euch vor allem aus der Ferne unterstützt, mich um Arzt-Termine und -Organisation gekümmert. Mit Papa habe ich viel telefoniert und dann hat er immer auch erzählt, was du gerade machst. Früher, da haben wir immer viel telefoniert, aber das geht schon lange nicht mehr.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir noch immer miteinander kommunizieren können, aber aus der Ferne ist das sehr schwer geworden. Umso schöner und wertvoller ist es, bei dir zu sein.

Es ist schön, bei dir zu sein und zu sehen, dass du wieder wacher bist und viel mehr um dich schaust als du dies in den vergangenen Monaten getan hast. Denn bei all den vergangenen Besuchen habe ich dich als sehr müde erlebt. Du hast fast nur geschlafen – und das hat mir viel Angst gemacht.

Jetzt ist es anders – und das freut mich. Zu sehen, dass du mit offenen Augen am Tisch sitzt und uns musterst, immer mal wieder ein “Ja, ja, ja” von dir gibst und den Teller zu dir ziehst, das ist schön. Ich merke, was ich schon so oft gelesen habe, eine Alzheimererkrankung verläuft nicht geradlinig, sondern es sind immer wieder verschiedene Phasen und zwischendrin kann es immer mal wieder einfachere und leichtere Phasen geben. Du bist aktiver und nimmst wieder ein wenig mehr am Alltag teil.

Und doch ist es nicht wirklich leicht und besser geworden. Du bist zwar wacher, aber sehr wackelig auf den Beinen. Du machst winzige Schrittchen. Wenn ich daran denke, dass wir vor zwei Jahren noch zum Teich spaziert sind, dann macht mich das traurig. Daran zu denken, dass wir nie mehr um den Teich gehen können, macht mein Herz schwer. Du hast seit einer Weile einen Rollstuhl, aber viele Wege von früher lassen sich damit nicht nehmen.

Als Papa heute mit dir vom Badezimmer zum Esstisch gegangen ist, hätte ich fast angefangen zu weinen. Zu sehen, wie er dich ziehen muss, weil du keinen Schritt mehr alleine gehen magst. Zu sehen, wie meine jüngste Tochter dich liebevoll von hinten schiebt. Das sind traurig-schwere Momente. Und doch haben sie dann auch wieder etwas Schönes. Denn du bist nicht alleine. Du hast Papa an der Hand und deine Enkeltochter im Rücken und die Familie im Zimmer.

Also, versuche ich nur eine Träne zu weinen. Und setze mich an den Tisch, um bei dir zu sein – und dir und uns schöne Momente zu schenken.

Deine Peggy

10 Gedanken zu „Liebe Mama, bei dir zu sein, ist schön und schwer.“

  1. Liebe Peggy,
    ….schön geschrieben.
    Genieße die gemeinsamen Tage.
    …..ich bin auch gerade wieder bei meiner Mama und hin und wieder laufen auch ein paar Tränen aber es gibt auch immer wieder schöne Momente und die genießen wir.
    Liebe Grüße!
    Annett

  2. “Also versuche ich nur eine Träne zu weinen”, beschreibt wunderbar, dass es einerseits zu akzeptieren gilt, was nicht zu ändern ist. Andererseits dass man in dieser traurigen Situation auch enorm viel nicht Trauriges erleben kann.
    Ich wünsche euch beiden ein gegenseitiges Geben und Nehmen, solange ihr beisammen sein dürft.

  3. Liebe Peggy,
    Du beschreibst das alles wieder wundervoll.
    Geniesse die Zeit mit Deiner Mama, so lange sie noch da ist.
    Ich habe meine Mama leider am 27.06.2023 gehen lassen müssen.
    Sie hatte auch Demenz vom Typ Alzheimer. Aber sehr schnell fortschreitend.
    Rückblickend kann ich sagen, dass es jede Minute wert war, die wir miteinander verbringen konnten.
    Ich weiß, es kostet Kraft und auch bei mir sind viele Tränen geflossen. Aber ich bin mir sicher, die “Patienten” merken, dass sie umsorgt werden und sind auch auf ihre Art sehr dankbar dafür.

    Ich wünsche Dir und Deiner Familie weiterhin viel Kraft und noch viele schöne Momente miteinander.

    Liebe Grüße
    Marion

    1. Liebe Marion, danke, dass du deine Erfahrungen hier teilst. Mir macht das immer auch viel Mut, von anderen Angehörigen zu erfahren, was ihnen und den Betroffenen gut getan hat. Danke von Herzen! 💜💜💜

  4. Liebe Peggy,
    ich fühle 1:1 mit dir, da auch meine Mama im ziemlich ähnlichen Demenz Stadion (so wie du es beschreibt) wie deine ist…
    Sie lebt allerdings seit 5 Wochen in einem Pflegeheim und Papa und ich besuchen sie täglich und sich die großen Enkelkinder. Uns nahe zu sein, ist ihre größte Freude, das sieht und spürt man. Ich leide sehr darunter, dass sie nicht mehr daheim ist, mache mir große Vorwürfe. Aber ich hatte große Angst, dass mein Papa zusammen klappt, so schwer war die Pflege speziell mit Ihren Aggressionen daheim… Ich versuche mich zu trösten indem wir ihr bzw uns täglich viel Zeit schenken. Aber ich muss lernen loszulassen, das fällt mir besonders schwer ( jetzt, nach meinen 3 jugendlichen Kindern die auch flügge geworden sind)
    Ich wünsche euch allen viel Kraft und wertvolle gemeinsame Stunden und danke für all deine Beiträge, ich lese sie alle und fühle 100% mit,
    Sei umarmt, Lg aus Oberösterreich

    1. Liebe Martina,
      Vielen Dank für deine Antwort und dass du von deinen Erfahrungen berichtest. Ich glaube, Zeit ist das wertvollste, was du ihr schenken kannst. Und dass du auf dich schaust. Denn nur, wenn du Kraft hast, kannst du auch für deine Mama da sein. Das gilt auch für deinen Papa.
      Letztlich gilt es ja oft den besten unter den schlechten Kompromissen zu wählen und so ist es wohl. Gut, dass ihr das Netzwerk für deine Mama erweitert habt. Ihr seid ja immer noch für sie da. Anders als vorher, aber ihr lasst sie nicht alleine…
      Ich kann mir ansatzweise vorstellen, wie du dich fühlen magst. Ich schicke dir die besten Grüße und eine Umarmung von Herzen! 💜 Peggy

  5. Manche Aufgaben übergibt man besser in professionelle Hände bzw. In Institutionen. Auch wenn dort nicht immer alles (jede Kleinigkeit) zur vollsten Zufriedenheit verläuft, so gibt es für das Handling des gesamten Großen keine Alternative. So wie auch in der Institution “Schule”.

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