Ein fast nicht enden wollender Sonntag liegt nun beinahe hinter mir – und ich bin froh, wenn endlich Montag ist. Sonntage sind schwierige Tage für mich, zu viele Erwartungen, zu viele Erinnerungen. Liebe Mama, wie geht es dir mit diesem Tag?

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Liebe Mama, ich mag keine Sonntage.
Sonntag – seit einigen Jahren habe ich ein Problem mit diesem Tag. Mit dem Samstag ist es auch nicht viel besser. Angeblich sind das ja die Lieblingstage der Deutschen, aber meine sind es definitiv nicht. Das Gute ist, dass ich kein Pausenbrot für Schule und Kindergarten vorbereiten muss. Und es ist auch schön, mit den Kindern zusammen zu sein, keine Frage.
Aber an den Sonntagen, an denen ich nicht bei dir bin, fehlst du mir ganz besonders. Nicht nur physisch, sondern auch mit Worten. Früher haben wir oft telefoniert, häufig war nur am Sonntag Zeit. Es war selbstverständlich, mit dir zu sprechen und zu erzählen. Und jetzt schaffe ich es manchmal nicht, eure Nummer zu wählen und anzurufen. Ich spreche wirklich gerne mit Papa und ich spüre jedes Mal, wie es gut es ihm tut – und doch ist jedes Telefonat eine kleine Enttäuschung.
Mein Sonntag
Wir haben heute telefoniert. Papa hatte wie immer den Lautsprecher an, damit er besser hören kann und du unsere Stimme hörst. Ich habe euch erzählt, dass ich demnächst zu einer Lesung eingeladen bin. Papa hat sich so sehr gefreut und ich habe seinen Stolz gespürt.
Und dann habe ich es probiert: “Hallo Mama, wie geht es dir?”, habe ich dich gefragt. “Was machst du Schönes?”
Stille. Hintergrundrauschen des Fernsehers.
Ich: “Mama, ich lese bald aus unserem Buch vor.”
Papa: “Kerstin, da ist deine Peggy!”
Ich spüre, wie er dich anlächelt, dir zunickt und genauso so sehr hofft wie ich, dass du ein paar Worte sagst. Oder ein Wort. Ich wäre schon glücklich mit einem “Ja”.
Stille. Fernsehgeräusche.
Ich: “Mama, ich lese aus unserem Buch vor. Hättest du das je gedacht?”
Am liebsten würde ich auflegen. Was soll ich sagen? Was soll ich tun? Ich fühle mich hilflos. Ich möchte einfach weinen.
Papa: “Du bist die Hauptperson, Kerstin. Du und deine Peggy.”
Ich atme ein.
Wir erzählen, ich lege auf – und schlucke meine Tränen hinunter.
Zu viele Erwartungen – dankbare Freude
Meine Sonntage sind schwierig. Sie kommen mit so vielen Erwartungen daher, so viel Hoffnung von Familie und Harmonie – und wenn ich mich der Realität stelle, werden viele dieser Erwartungen nie eingelöst. Ich nehme dann immer wieder Abschied und merke, dass deine Alzheimererkrankung immer wieder neue Abschiede bringt.
An Sonntagen wird mir bewusst, was in meinem Leben ich mag, was mich stresst und was ich vermisse. Ich bin froh und dankbar, meine Töchter um mich zu haben. Die mich von der Traurigkeit ablenken. Die mich zum Lachen bringen. Und die mich motivieren, in die Sonne zu schauen, einen Kuchen zu backen und im Garten ein Picknick zu machen. Dich mich dazu bringen, einen Sonntag zu leben.
Liebe Mama, magst du Sonntage?
Es sind Tage, an denen Papa und du meist für euch seid. Kein Pflegedienst, keine Tagespflege, keine Arzttermine. Du kannst ausschlafen, in Ruhe essen, ohne Eile. Wenn die Sonne scheint, geht ihr eine Runde spazieren. Zum Nachtisch schleckst du ein Eis.
Deine Tochter ruft an – und spricht mit dir. Verstehst du, was ich sage? Ich weiß es nicht. Aber du hörst meine Stimme, du kennst sie tief in dir drin und du magst sie. Du bist bei dem Menschen, der die Welt für dich ist, dir Nähe und Zuwendung schenkt.
Du magst Sonntage. Bestimmt.
Deine Peggy