Bis vor kurzem habe ich mir kaum Gedanken gemacht um diese Frage. Aber in letzter Zeit wurde sie mir häufiger gestellt: „Hast du Angst, dass du auch Alzheimer bekommst?“ Ich habe immer abgewunken. Aber du hast ja auch nicht damit gerechnet. So schrecklich deine Krankheit für mich doch ist, sie hat auch etwas Gutes: Sie zeigt mir, dass es sich lohnt, das Leben zu genießen und nicht auf irgendwann zu warten.

Liebe Mama, bekomme ich auch Alzheimer?
Bis vor kurzem habe ich mir kaum Gedanken gemacht um diese Frage. Aber in letzter Zeit wurde sie mir häufiger gestellt: „Hast du Angst, dass du auch Alzheimer bekommst?“
Ich habe immer abgewunken. „Ich doch nicht“, habe ich gesagt und gedacht: ‚Ich bin doch so jung. Keiner kann mir was anhaben.‘ Der Gedanke, dass ich Alzheimer bekommen kann, klang nach einer lächerlichen Idee. Er war nur mehr ein Blitz, der mich kurz streifte, aber mich nicht wirklich berührt hat. Nun ja, ich bin immer noch jung. Aber das dachtest du vermutlich auch. Hättest du jemals gedacht, dass du Alzheimer bekommst? Mit 55 Jahren? Du wolltest doch noch ein paar Jahre arbeiten – und dann wolltet ihr euch eine schöne Zeit machen, du und Papa.
Was Statistiken über Demenz sagen
Und die Statistiken sprechen so was von dagegen, dass ein Mensch in deinem Alter Alzheimer bekommt. In Deutschland sind etwa 1,7 Millionen Menschen von einer Demenzerkrankung betroffen. Je älter ein Mensch wird, umso höher ist das Risiko zu erkranken. Das zeigen auch die Statistiken: bei den 65- bis 69-Jährigen sind 1,2 Prozent betroffen, bei den 75- bis 79-Jährigen 6 Prozent und bei den 85- bis 89-Jährigen 23,9 Prozent. (Mehr Informationen zu Häufigkeiten von Demenzerkrankungen gibt es in diesem pdf der Alzheimer Gesellschaft)
Menschen unter 60 Jahren tauchen in der Statistik gar nicht auf, so wenige betrifft es. Du hast also so etwas wie den Sechser im Lotto gewonnen, nur, dass du der Gewinn höchst fragwürdig ist.
Was Studien über Demenz sagen
Forscher haben mittlerweile herausgefunden, dass man einer Demenzerkrankung vorbeugen kann. Es gibt eine Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation mit 20 Empfehlungen zur Demenzprävention. Dazu hören Dinge, wie:
- regelmäßige Bewegung, am besten Ausdauertraining oder Krafttraining
- sich gesund ernähren mit viel Obst und Gemüse und Vollkornprodukten, wenig Zucker, Salz und ungesättigte Fettsäuren
- auf Rauchen verzichten
- möglichst wenig Alkohol trinken
- kognitives Training
- reges Sozialleben mit Kontakten zu anderen
Menschen, die „ungesund leben“, haben ein höheres Erkrankungsrisiko. Es gibt noch weitere Komponenten. Durchblutungsstörungen können etwa einen Einfluss haben. Sie treten häufiger auf bei erhöhtem Blutdruck, Übergewicht, Herzrhythmusstörungen, Diabetes.
Aber gesund zu leben, heißt im Umkehrschluss leider nicht, nicht zu erkranken. Bei allen Punkten der Liste der Weltgesundheitsorganisation konntest du ein Häkchen machen. Bewegung und ein aktiver Lebensstil gilt als sehr wichtiger Punkt – und du bist fast dein gesamtes Leben lang gelaufen. Deine gesunde Lebensweise hat dich dennoch nicht vor der Alzheimer-Erkrankung bewahrt. Sie hat dich nicht mal, nicht davor bewahrt, du bist auch noch extrem früh erkrankt.
Diese Tatsache macht mich manchmal richtig wütend. Oder traurig. Oder wütend und traurig. Auch wenn Wissenschaftler jede Menge forschen und Studien veröffentlichen, am Ende können sie nicht verhindern, dass fitte, aktive, fröhliche Menschen dement werden. Wenn mir jemand erzählt, wie man Alzheimer vorbeugen kann, reagiere ich deshalb genervt bis abweisend. Weil ich denke: ‚Wenn du doch der gesündeste und liebste Mensch warst, den ich kenne, warum hast du dann Alzheimer bekommen?‘
Ein Zufall, ein Schicksal – und nun?
Und dann folgt die logische Fortführung in meinem Gedankenkarussell: ‚Wenn du erkrankt bist, dann kann mir das gleiche passieren.‘ Ich spreche hier nicht von der genetischen Variante. Die gibt es auch, aber an der leidest du nicht. Die betrifft nur sehr wenige Menschen und oftmals erkrankt in jeder Generation ein Betroffener sehr früh. Aber das ist eine andere Sache. Ich spreche einfach von dem schicksalhaften Leben.
Du warst damals ein paar Tage in der Klinik. Die Ärzte und Psychologen machten etliche Tests mit dir. Sie untersuchten dich genau, sie überwiesen dich sogar an die Universitätsklinik. Dein Neurologe hat später mal gesagt, er hätte so genau untersucht, weil er mit der Diagnose wirklich sicher gehen wollte. Ich weiß nicht mehr genau, was er gesagt hat, aber er hat uns erklärt, dass es manchmal eben Menschen in relativ jungen Jahren trifft. ‚Beschissener Zufall’, denke ich noch heute. Der Zufall hätte sich doch nicht meine Mama aussuchen müssen. Du hattest doch noch so viel vor – und ich wollte dich doch bei mir haben, als meine Mama und als Oma meiner Kinder.
‚Warum du?‘, habe ich mich eine Zeitlang sehr häufig gefragt. Mittlerweile nicht mehr so sehr. Denn es macht mich nur wütend und traurig. Es ist eine Frage, die mir keiner beantworten kann und die mich hilflos macht. Und: Dieses Grübeln und Zweifeln am Leben und am Schicksal, bringt dir nichts in deinem Alltag heute. Wenn wir traurig und deprimiert sind, macht es das für dich nur noch schlimmer. Denn du spürst unsere negativen Gefühle und die traurige Stimmung, aber kannst damit alleine nicht umgehen. Für dich ist es wichtig, dass wir für dich da sind und auf deine Bedürfnisse eingehen können. Dass wir die Krankheit akzeptieren. Es ist wie es ist.
Bekomme ich auch Alzheimer?
Ich weiß das nicht. Ich glaube, es bringt genauso wenig, sich über diese Frage Gedanken zu machen, wie mit deiner Krankheit zu hadern. Wer weiß schon, ob ich erkranke oder nicht?
Und wenn deine Erkrankung überhaupt etwas Gutes hat, dann, dass ich dieses Leben zu schätzen lerne. Ja, es bringt ziemlich blöde Dinge, aber es vermag auch Wunderschönes und Lustiges und Fröhliches und Liebes zu mir zu bringen. Und: Es gibt kein später. Mein Leben ist jetzt. Ich möchte es genießen – und dazu gehört wohl auch, es anzunehmen wie es ist und das Beste für mich – und dich – daraus zu machen, mit den guten und den weniger guten Dingen.
Deine Peggy
Wieder so ein schöner Text! Danke dafür!
Danke! 🥰
Meine Mutter hatte auch Alzheimer. Ich habe mir diese Frage also auch gestellt und stelle sie mir immer wieder. Ob ich dann bessere Vorkehrungen treffen könnte, als meine Mutter? Einfach, weil ich mehr weiß über die Erkrankung als meine Mutter (und auch ich) damals. Ob ich mir die Option eines Suizids aufhalten würde? Ob ich gelassener sein könnte, weil ich den Krankheitsverlauf bis zum Schluss schon einmal miterlebt habe? Komischerweise hat für mich die Krankheit extrem viel von ihrem Schrecken verloren, seit ich jede einzelne Station von ihr (natürlich mit der Einschränkung, dass Alzheimer sehr individuell ist, und jeder Mensch davon anders angegangen wird) als Angehörige mitgegangen bin. Doch, Angst habe ich schon. Ich bin Geisteswissenschaftlerin. Meinen Kopf zu verlieren, wäre extrem schlimm. Aber meine Mutter hat mir während ihrer Krankheit auch immer wieder eindrücklich gezeigt, dass der Kopf nicht alles ist…
Ja, diese Gedanken kenne ich auch. Zu sehen, dass man mit dieser Krankheit immer noch ein lebenswertes Leben haben kann, nimmt etwas von dem Schrecken. Ich empfinde manchmal so etwas wie Demut vor dem Leben.