Zum Leben mit Demenz gehören auch Situationen, in denen Familien immer wieder vor Entscheidungen stehen und für sich eine individuelle Lösung finden müssen. “Wie feiern wir dieses Jahr Weihnachten: zusammen oder lieber nicht?” ist aktuell meine große Frage. Wie kann es gelingen, eine gute Entscheidung zu treffen, und damit meine ich: eine wohlüberlegte Entscheidung? In dieser Corona-Krise fällt mir ziemlich schwer. Denn da sind so viele verschiedene Gefühle. Im Gespräch mit Anja Kälin, Familiencoach und systemische Beraterin für Angehörige von Menschen mit Demenz, bin ich genau dieser Frage nachgegangen. Wie kann man zu einer Entscheidung finden? Indem man die Perspektiven wechselt. Wie das funktioniert, erfahrt ihr hier – und es gibt das Worksheet gratis zum Download.

In diesem Corona-Jahr treibt viele Menschen die Frage um, ob sie Weihnachten mit ihren Familien und/oder Freunden feiern wollen. Aufgrund des Lockdowns herrschen ja bundesweit Kontaktbeschränkungen. Über die Feiertage sind sie teils mehr, teils weniger gelockert. Und auch, wenn es rechtlich erlaubt ist, mit seinen Lieben zu feiern, ist da doch die Frage: Ist das eine gute Idee?
Ich grübele hin und her und dieses Grübeln nimmt viel Energie, ohne dass ich bislang zu einer Lösung gekommen wäre. Wenn mich jemand fragt: “Fährst du Weihnachten weg?”, muss ich immer sagen: “Ich weiß es nicht.” Ich würde sehr gerne zu meinen Eltern fahren. Ich habe Angst, dass es vielleicht das letzte Weihnachten mit Mama sein könnte. Aber ich möchte sie auch auf keinen Fall gefährden. Soll ich? Darf ich? Immer wieder frage ich mich das – und schiebe die Entscheidung vor mir her.
Hilfreicher innerer Dialog, auch mit Demenz
Mit Anja Kälin, Familiencoach und bei Desideria Care Beraterin für Angehörige von Menschen mit Demenz hat mir einen Tipp gegegeben: in einen Dialog zu gehen – und zwar mit allen Beteiligten: mit meinem Papa zu sprechen, mit meinem Bruder und auch mit meiner Mama. “Was würde sie sagen, wenn du sie fragst?”, meinte Anja. Das hat mich irritiert, denn Gespräche sind mit meiner Mama schon lange nicht mehr möglich.
“Wenn du sie als Mutter fragen würdest, ohne ihre Demenz, was würde sie dir sagen? Wüsste sie um Corona, um all die Risiken und Gefahren, die für sie und auch für dich bestehen, was würde sie dir raten?”, erklärte Anja. Dieser innere Dialog können einen wertvollen Hinweis geben.
Mir gefällt dieser Gedanke sehr, denn er bezieht die Selbstbestimmung des Menschen mit Demenz ein. Denn sie verfügen natürlich über ein Selbst und einen eigenen Willen, können den aber häufig nicht mehr gut äußern – oder sie werden nicht gehört.
Kleiner Entscheidungshelfer
Fest steht: Das diesjährige Weihnachtsfest sollte eine wohlüberlegte Entscheidung sein. Wie trifft man die? In der aktuellen Folge von “Leben, Lieben, Pflegen – Der Podcast zu Demenz und Familie” geht es genau darum. Und Anja Kälin, Isabel Hartmann und ich haben dazu einen “Entscheidungshelfer” entwickelt.
Der Entscheidungshelfer soll dabei unterstützen, einen Überblick über die verschiedenen Perspektiven zu bekommen. Man kann die verschiedenen Möglichkeiten durchspielen und sich jeweils überlegen und notieren:
- Was könnte bei dieser Möglichkeit bestenfalls passieren?
- Was könnte bei dieser Möglichkeit schlimmstenfalls passieren?

Entscheidungen: im Zusammenhang mit dem System
Dieser Entscheidungshelfer basiert übrigens auf dem systemischen Denken, das viele Coaches anwenden. “Ein Teil des Systems hat Auswirkungen auf alles. Man kann einzelne Entscheidungen nicht losgelöst für sich betrachten, sondern immer im Zusammenhang mit dem System”, erklärt Anja Kälin.
Dieser Entscheidungshelfer hilft mir, meine unklaren Gefühle und Gedanken ein wenig zu strukturieren. Mal aufzuschreiben, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt und was jeweils die Folgen sein könnten, bringt mir sehr viel. Auch, wenn meine Entscheidung dann immer noch aus dem Bauch kommt, so hat es mir geholfen, klarer zu sehen – zu entscheiden.
Entscheidungshelfer: Überblick über mögliche Folgen
Wenn ich zu meinen Eltern fahre, könnte ich meine Mama anstecken. Das ist ein echtes Horrorszenario für mich. Noch schlimmer, aber, das ist mir klar geworden, wäre es, wenn mein Papa erkrankt. Denn dann bedeutet das eine große Umstellung für Mama, weil Papa von einem Tag auf den anderen nicht mehr bei ihr wäre. Dieser Entscheidungshelfer tut auch gut, weil man sich tatsächlich allen möglichen Folgen bewusst wird – und ich mir auch viel klarer darüber bin, welche Verantwortung ich mit einer Entscheidung trage, für mich, aber auch für all meine Lieben in diesem System.
Ich hoffe, dass euch der Entscheidungshelfer unterstützt. Dennoch immer noch und unbedingt ganz wichtig: Auf die geltenden Abstands- und Hygieneregeln achten sowie die Kontaktbeschränkungen ernst nehmen. Mund-Nasen-Schutz tragen. Antigen-Tests werden häufig empfohlen, sind aber nicht ausreichend als Schutzmaßnahme.
Passt auf euch auf und entscheidet euch wohlüberlegt! Und im Zweifel: Das gemeinsame Feiern verschieben. Oder sich per Videocall am Heiligabend treffen.
Eure Peggy