Dieses Buch von Ruth Schneeberger beschäftigt sich nicht mit Demenz und doch möchte ich es euch vorstellen: “Mama, du bleibst bei mir”. Die Autorin schreibt darüber, wie sie ihre Mutter nach einem Schlaganfall aufgenommen und sie zehn Jahre lang daheim gepflegt hat. Ruth Schneeberger ist ein großer Fan der häuslichen Pflege. Sie schreibt über die schönen Momente und gibt Tipps, etwa zum Miteinander mit Pflegedienst und anderen Helfern. Die Autorin übt jedoch auch deutliche Kritik am Pflege-System und daran, dass Angehörige allein gelassen werden. Es wird ganz klar: Es muss sich politisch etwas ändern! Pflegen gehört zum Leben dazu und Pflegende brauchen mehr Unterstützung.

Immer wieder begegnen mir interessante Bücher zum Thema Pflegen und Sorgen. Meist stelle ich euch in meiner Rubrik “Meine Buch-Tipps” Bücher zum Thema Demenz vor, weil ich denke, dass die von besonderem Interesse sind. Vor kurzem bin ich auf Ruth Schneebergers Buch “Mama, du bleibst bei mir” gestoßen. So viel vorab: Hier dreht es sich nicht um das Thema Demenz. Die Mutter der Autorin wird pflegebedürftig nach einem Schlaganfall. Aber es geht um das Pflegen und die häusliche Pflege. Hier stelle ich es euch vor:
Diese Themen findest du in diesem Blog-Artikel
Was ist es für ein Buch?
Ein Erfahrungsbericht, der vor allem für andere Angehörige, aber sicher auch für andere von Interesse ist.
Buchfakten: „Mama, du bleibst bei mir. Vom Glück und Unglück einen Angehörigen zu pflegen“, blanvalet Verlag, 2019. 9,99 Euro. ISBN 978-3-641-24585-6. Das Buch gibt es auch als E-Book.

Wer hat es geschrieben?
Ruth Schneeberger ist Journalistin. Sie 2006 bis 2018 war sie Autorin bei der “Süddeutschen Zeitung”, zwischen 2008 und 2018 pflegte sie ihre Mutter, die nach einem Schlaganfall pflegebedüftig war.
Worum geht’s?
In “Mama, du bleibst bei mir” beschreibt Ruth Schneeberger ihre Jahre, als sie sich um ihre Mutter kümmerte. Mit 29 Jahren wurde die Autorin plötzlich zur Pflegenden, als ihre Mutter einen Schlaganfall erlitt und danach auf Hilfe angewiesen war. Die Berührungsängste nach dem Schlaganfall hielten nur kurz an, für Ruth Schneeberger stand schnell fest, dass sie sich um ihre Mutter kümmern möchte und ein Pflegeheim keine Alternative sei.
In dem Buch beschreibt die Autorin die gemeinsamen Jahre mit ihrer Mutter. Dabei möchte sie auch ein schönes Bild vom Pflegen zeigen: “Die Jahre, in denen meine Mutter gepflegt wurde, gehören zu den glücklichsten in meinem Leben”.
Sie berichtet, wie sie die Pflege daheim organisiert hat und welche Strategien zur Unterstützung sie genutzt hat. Sie schreibt: “Pflegende Angehörige müssen nicht ihr Leben opfern, um einen Angehörigen zu Hause zu versorgen. Ich selbst habe neben der Pflege meiner Mutter Vollzeit gearbeitet.”
Dies war möglich durch das fein ausgeklügelte Pflegenetzwerk, das sie sich aufgebaut hat und die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten. Ruth Schneeberger berichtet offen darüber, wie viel Geld ihre Mutter und auch sie die häusliche Pflege gekostet hat: In den ersten fünf Jahren 150.000 Euro, das ganze Gesparte der Mutter ging dafür drauf. Auch die Autorin selber hat mehrere Zehntausend Euro aus eigener Tasche bezahlt – und doch immer den Vorwurf bekommen, sie würde von der Pflege ihrer Mutter leben.
Eine wichtige Rolle spielte auch der Bruder der Autorin, der sich als Anwalt immer wieder dafür eingesetzt hat, Unterstützungsleistungen durchzusetzen und der die bürokratischen und organisatorischen Aufgaben übernommen hat. Als er plötzlich starb, lastete dies zusätzlich auf ihr.
Ruth Schneeberger erzählt aber nicht nur die eigene Geschichte, sondern prangert auch das Pflegesystem an. Sie plädiert für die Pflege zu Hause und möchte allen Menschen Mut machen, ihre Angehörigen zu Hause zu pflegen. Gleichzeitig zeigt sie auf, dass dies Angehörigen extrem schwer gemacht wird, weil es viel zu wenig Unterstützungsleistungen erhalten. “Angehörige werden noch nicht einmal durch Beratung oder Hilfsangebote organisatorisch angemessen unterstützt. Auch hier kommt der Staat seinen Pflichten nicht nach”, schreibt Schneeberger.
“Ich bin überzeugt davon: Die meisten erkranken nicht an der Pflege selbst oder am Umgang mit ihrem Angehörigen. Ein großer Teil pflegender Angehöriger wird stattdessen durch den ständigen Druck von außen mürbe gemacht und durch ein System, das es ihm weder erlaubt, sich angemessen auszuruhen, noch ein eigenes Privatleben aufrechtzuerhalten.“
Schneeberger berichtet davon, wie sie selber erkrankt sei und die Pflege der Mutter auch immer herausfordernder wurde.
Lernfaktor?
Ruth Schneeberger gibt ehrliche Einblicke in ihre Situation – und dies macht das Buch so hilfreich. Im letzten Kapitel bündelt sie ihre Ratschläge in “Was ich gerne vorher gewusst hätte: Tipps und Tricks”. Es sind konkrete Ideen, die allen pflegenden Angehörigen helfen können, beispielsweise:
- “Sprechen Sie mit Ihren Angehörigen über eine mögliche Pflege”
- “Spannen Sie weitere Familienangehörige für die Pflege ein”
- “Behalten Sie Ihre Motiviation im Auge: Warum pflegen Sie Ihren Angehörigen?”
- “Stabilisieren Sie sich selbst.”
Diese Tipps erläutert sie noch umfassender. Und auch im Erfahrungsbericht gibt sie viele gute Ratschläge. Unter anderem geht es darum, wie man einen guten Pflegedienst findet und welche Leistungen Angehörige nutzen können. Sie ermutigt die Lesenden immer wieder, selbstbewusst aufzutreten und sich bei Unstimmigkeiten auch zu äußern und für das eigene Recht einzustehen. Dass dies im praktischen Pflege-Alltag vielen schier unmöglich ist, weil sie weder Zeit noch finanzelle Ressourcen dazu haben, steht auf einem anderen Blatt. Aber ich finde es sehr ermutigend, dass sie die Rechte betont. Oft genug fühlen sich pflegende Angehörige ja als Bittsteller, weil sie ihre gesetzlich festgelegten Leistungen und auch Hilfsmitteln nicht ohne Weiteres erhalten, sondern durch Widersprüche erkämpfen müssen.
Extras
Hier findet ihr eine Leseprobe zu “Mama, du bleibst bei mir”
Mein Lieblinglingssatz
“Angehörige sollten sich dieses Wertes bewusst sein. Und auch so behandelt werden. Machen Sie sich klar, was Sie durch Ihren Einsatz nicht nur für Ihre Angehörigen, sondern auch für das Gemeinwohl leisten. Und lassen Sie es sich nicht gefallen, unter diesen Umständen auch noch in die Armutsspirale getrieben zu werden. Meines Erachtens braucht es einen Aufstand der Angehörigen. ”
Mein Fazit
Ruth Schneebergers Buch beleuchtet die Situation der pflegenden Angehörigen. Sie gibt offene Einblicke in ihre Geschichte und dies empfinde ich als sehr wertvoll. Wie das mit Erfahrungsberichten so ist, sind sie ja immer sehr persönlich und nicht auf jede Situation übertragbar. Ruth Schneebergers Mutter war nach einem Schlaganfall pflegebedürftig. Sie konnte nicht mehr sprechen und war körperlich eingeschränkt, aber kognitiv noch fit. Das unterscheidet sie natürlich gravierend von einer Demenzerkrankung.
Einen Menschen mit Demenz zu Hause zu pflegen bringt noch einmal andere Herausforderungen mit sich. Und doch möchte ich das Buch gerne empfehlen. Denn trotz aller Widrigkeiten macht die Autorin Mut und sie zeigt auf, dass es auch mit der Pflege schöne Momente geben kann, dass das Leben nicht zu Ende ist. Sicher, es wird anders und oft herausfordernder. Viele Momente sind schwer, statt schön.
Mir gefällt an diesem Buch auch, dass es mehr ist als ein Erfahrungsbericht und die Autorin klar anprangert, dass der Staat einerseits auf die Angehörigen als Pflegekräfte setzt, sie aber vernachlässigt und seinen Pflichten weder im Informieren noch im Bereitstellen von Unterstützungs- und Entlastungsleistungen nachkommt. Es wird wieder mal deutlich: Politisch muss sich dringend etwas ändern!
Die Autorin schreibt: “Die Pflege muss menschlicher, zudegewandter, näher am Patienten sein.” Ruth Schneeberger nimmt nicht nur die Gesellschaft, sondern jeden Einzelnen in die Pflicht. “Pflegen gehört zum Leben dazu“, schreibt sie. Ich denke, damit hat sie Recht. Sicher, es muss sich politisch etwas ändern. Nun kommt zwar die Pflegereform, die wenn man genau hinschaut nur minimale Verbesserungen mit sich bringt (das große Problem der fehlenden Plätze in Kurzzeitpflege- oder Tagespflegeeinrichtungen wird nicht angegangen…)
Aber: Jeder Einzelne kann dazu etwas beitragen, indem man sich informiert, Menschen mit Demenz teilhaben lässt oder etwa einen Demenz-Partner-Kurs absolviert. Wir können kaum beeinflussen, welche Gesetze erlassen werden, aber wir können uns gegenseitig unterstützen und über unsere Erfahrungen sprechen. Die Angst vor dem Thema Pflege hindert uns daran, uns damit zu beschäftigen – und das hilft eigentlich niemandem.
Liebe Peggy,
danke für den Buchtipp.
Ich habe bis jetzt “nur” Deine Vorstellung gelesen. Aber ich stimme dem voll zu. In den letzten Jahren, in denen ich meine Mutter gepflegt habe (es waren nicht ganz so viele wie bei Dir und Frau Schneeberger), habe ich mich auch oft gefragt, was ist schlimmer? Die Pflege der Mama oder der Kampf gegen die Bürokratie? Es ist wirklich zermürbend, wie man kämpfen muss, um das zu bekommen, was einem eigentlich zusteht. Da sollte sich wirklich einiges ändern.
Das Buch werde ich mir bestimmt besorgen und lesen.
Ganz lieben Dank für die Vorstellung des Buches und auch für Deinen Blog.
Liebe Grüße
Marion