Ich wurde kürzlich nach meinem Ziel gefragt. “Warum machst du das eigentlich?”, wollte eine Bekannte wissen. Warum blogge ich? Und dann auch noch über Alzheimer. Ja, klar, meine Mama ist daran erkrankt. Aber da ist noch mehr. Ich möchte meinen Blog dazu nutzen, um zu erzählen, wie es ist. Was bedeutet Alzheimer und was hilft Betroffenen? Sehr viele Menschen wissen das nicht oder haben Vorurteile im Kopf. Ich schreibe auch, um Mut zu machen. Denn, wer die Diagnose bekommt, ist oftmals alleine damit. Ich möchte die Vielfalt im Alltag mit der Krankheit zeigen und ich möchte, dass sich in unserer Gesellschaft Dinge verändern. Das kann nur passieren, wenn Menschen mit Demenz und pflegende Angehörige von ihren Herausforderungen berichten und wenn sie laut werden.

Mein Ziel: Bloggen zum Aufklären
Solange man keinen echten Bezug zu Demenz hat, verbinden die Menschen Verlust und Vergessen damit. Es ist wie ein Schreckgespenst in den Köpfen der meisten. Demenz gehört zu den gefürchtetsten Krankheiten. In einer Befragung sagte jeder Zweite, dass er Angst hat, an einer Demenz zu erkranken.
Gleichzeitig ist das Wissen über die Krankheit gering. In einer Umfrage des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) meinte ein Drittel, sie seien eher schlecht bis sehr schlecht über Demenz informiert. Bei den Jüngeren war es fast die Hälfte. Als Hauptinformationsquelle wurden Hausärzte genannt. Echt jetzt? Natürlich können Hausärzte medizinisch viel erklären. Sie sind ohne Zweifel ein wichtiger Begleiter für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Aber sie sind nicht diejenigen, die den Pflege-Alltag kennen. Davon könnten die Betroffenen und die Angehörigen viel besser berichten. Das sind genau die Stimmen, die wichtig sind – und die leider fehlen.
Mit meinem Blog möchte ich dazu beitragen, dass die Sichtweise der Betroffenen, ob nun als Mensch mit Demenz oder als Angehöriger, mehr Sichtbarkeit bekommt. Natürlich spreche ich für meinen Blog auch mit Experten und recherchiere. Ich lese Studien und frage nach. Aber meine Sichtweise ist die einer Angehörigen – und aus der schreibe ich für andere.
In der ZQP-Umfrage sagten übrigens auch 50 Prozent der Menschen, dass sie sich unsicher sind, was sie tun können, wenn ein Mensch mit Demenz Hilfe benötigt. Auch ihnen möchte ich Ideen und Anregung geben.
Schreiben, um die Vielfalt zu zeigen
Als ich das erste Mal darüber nachdachte, einen Blog über Alzheimer zu schreiben, hatte ich kein klares Ziel vor Augen. Seit Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema, weil meine Mama Alzheimer hat. Ich war immer auf der Suche nach Informationen und vor allem auf der Suche nach Menschen, denen es wie mir geht. Natürlich las viele Ratgeber und Bücher, aber ehrliche Berichte und Gedanken von Angehörigen und Menschen, die Demenz haben, gab es nur wenige. Und das fand ich immer sehr schade. Denn genau diese Berichte helfen mir am allermeisten.
Wollt ihr wissen, warum?
In Ratgebern und Büchern werden oft nur die Probleme und Herausforderungen behandelt. Wenn Menschen aber davon berichten, wie es ist, mit einer Demenz oder mit einem Angehörigen mit Demenz zu leben, dann kommt da noch so viel mehr zum Vorschein: Lachen, Freude, Nähe, Zärtlichkeit, Liebe, Zusammenhalt.
Und diese Vielfalt, die sollte viel mehr an die Öffentlichkeit gelangen. Ich möchte nicht anzweifeln oder absprechen, dass diese Krankheit fürchterlich ist. Aber das Leben mit der Krankheit ist nicht nur fürchterlich. Ich möchte über diese Varianz und diese Vielfalt schreiben. Es geht nicht nur um das Kämpfen, sondern auch um das Frieden schließen mit der Diagnose.
Berichten, um Mut zu machen
Als meine Mama die Diagnose Alzheimer bekommen hatte, ging für mich die Welt unter. Ich hatte keine Ahnung, wie es mit der Krankheit weitergehen würde – und ehrlich gesagt dachte ich, das wäre das Ende. Im Kopf sah ich sie in einem Pflegeheim sitzen, einsam und verlassen – und das, obwohl sie doch fit war mit ihren 55 Jahren.
Heute, fast zehn Jahre später, weiß ich, was alles zu der Krankheit dazu gehört. Und ja, es gibt viele schwierige Situationen und traurige Gedanken. Es gibt nichts Traurigeres, als einen geliebten Menschen Stück für Stück zu verlieren. Aber ich habe erfahren, dass da nicht nur Verlust und Trauer ist. Ich weiß, dass da man auch mit einer Demenz viele schöne Momente erleben kann.
Ich schreibe ehrlich und offen über meine Erfahrungen – und das fällt mir manchmal ganz schön schwer, weil es emotional ist und ich auch meine Fehler zeige. Aber ich hoffe, dass ich anderen Angehörigen damit Mut machen kann. Wir können die Diagnose nicht ändern und ja, es macht einen oft hilflos, aber es gibt auch eine andere Seite. Und es ist wichtig, dass Angehörige diese sehen. Es ist wie mit der Selbstfürsorge, denke ich. Wenn es einem gelingt, nicht nur das Schlimme und Schreckliche zu sehen, die Krankheit anzunehmen und seine eigenen Energiespeicher immer wieder auffüllt, dann kann man gut für den Menschen mit Demenz da sein – und ihm die Stabilität und das Vertrauen geben, damit es ihm/ihr gut gehen kann.
Engagieren, um Dinge zu ändern
Ich mag keine Ungerechtigkeiten. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der die Menschen miteinander leben, sich unterstützen und die Stärkeren den Schwächeren helfen. Aber viel zu oft erlebe ich, dass dies nicht passiert, sondern eher im Gegenteil. Diese Corona-Pandemie hat gezeigt, dass viel auf dem Rücken derer ausgetragen wird, die sich nicht wehren können. Was ist mit den Kindern, denen Bildung und Betreuung verwehrt wurde? Und was mit Menschen im Pflegeheim, die wochenlang ohne Kontakt zu Angehörigen blieben? Was mit den pflegenden Angehörigen, die Pflege und Betreuung alleine schultern mussten, weil das Hilfe-Netzwerk zusammenbrach? Diese Corona-Krise hat mich oft hilflos fühlen lassen, erst recht im Blick auf die Pflege.
Warum machen wir das als Gesellschaft? Weil sie uns egal sind? Menschlicher Egoisimus? Das möchte ich nicht glauben, ich möchte eher an dem Gedanken festhalten: Wir kümmern uns nicht um die Schwächeren, weil wir gar nicht wissen, wie es ihnen geht. Klar, das zeugt irgendwie auch von naiver Ignoranz.
Aber ich bin Idealistin und setze darauf, dass sich Dinge ändern können. Damit das aber passiert, müssen sich die Angehörigen und Betroffenen zu Wort melden. Klar, es ist Mist, dass sie so laut schreien müssen und trotzdem kaum wahrgenommen werden, aber es ist extrem wichtig, dass wir das tun.
In einem Interview über die Nationale Demenzstrategie betonte der Ökonom und Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Sell die Kraft, die von den Angehörigen ausgehen könnte: “Potenziell hätten pflegende Angehörige eine enorme Macht. Denn bisher verlässt sich die Politik immer noch auf die gigantische Bürgerarbeit, die sie leisten. Ein Grossteil der Seniorinnen und Senioren und der Demenzkranken wird nach wie vor zuhause und von Angehörigen versorgt. Wenn nur zehn Prozent von ihnen sagen würden, wir machen das nicht mehr mit, würde das ganze Pflegesystem zusammenbrechen.”
Ich möchte alle ermutigen, laut zu werden. Die geplanten Einschränkungen der Verhinderungspflege und der Tagespflege etwa sind für Menschen mit Pflegebedarf und pflegende Angehörige eine deutliche Verschlechterung. Dagegen kann man zum Beispiel etwas tun: die entsprechenden Online-Petititionen unterschreiben.
Ich hoffe, dass ich andere anstecke und zwar im positiven Sinn. Ich wünsche mir, dass viele andere Angehörige sich äußern und ganz besonders würde ich mir wünschen, dass Menschen mit Demenz berichten. Und die anderen zuhören und lernen. Für eine echte Gemeinschaft und ein gutes Miteinander.
Hallo Frau Elfmann, Sie schreiben auch für sich, jedenfalls ist es eine gute Entlastung für den Pflegenden selber. Das hatte mir meine Therapeutin erpfohlen, mir hilft das bei der Erkrankung meiner Frau. Danke für die Berichte.
Ja, da haben Sie recht. Ich merke immer wieder, dass mir das Reflektieren durch das Schreiben sehr gut tut 💜
Ich bin selbst eine Jungbetroffene und trotz gewissen Einschränkungen, geniesse ich mein Leben in vollen Zügen und du sprichst mir mit vielem aus der Seele. Danke für deinen Blogg
Liebe Brigitte, das machst du gut so! Genieße dein Leben! Viele liebe Grüße Peggy
Danke für diesen Blog!
Ich habe 40 Jahre als Geriater am Krankenbett gearbeitet. Hier ein 1995 publizierter Satz: “Der geistig veränderte Patient wird nie mit dem Maßstab eines geistig Gesunden gemessen.” Man braucht sich als Angehöriger also niemals für das Verhalten des Kranken zu schämen!
Gerne würde ich auf zwei Punkte hinweisen: Zum einen, was wir Gesunde aus der Nähe zu einer an Alzheimer erkrankten Person lernen können. Das habe ich im Kapitel “Meine persönliche Demenzstrategie” des Patientenratgebers “Pflegefall? Nein, danke! Mit der Patientenverfügung selbst entscheiden” beschrieben. Der Verlag hat dieses Kapitel als Leseprobe dankenswerter Weise kostenlos online gestellt. https://www.facultas.at/zinfo/9783990020524/Leseprobe.pdf
Und zweitens: Man kann – und das ist sehr zu empfehlen – sich frühzeitig über Kommendes informieren. Und zwar welche rechtlichen, medizinischen, familiären und persönlichen Probleme die Alzheimer-Krankheit eines Angehörigen verursachen kann. Leider gibt es dafür aber kein 0-8-15-Rezept, weil jeder Fall individuell ist. Man bedenke nur, dass selbst Geschwister mit ihrem an Alzheimer erkrankten Elternteil ganz andere Probleme erleben können, weil sie andere Partner, andere Berufe, und andere Charaktere haben, aber auch weil sie höchstwahrscheinlich in gesunden Tagen eine andere Beziehung zum heute Erkrankten hatten.
Vielen Dank für die beiden Ergänzungen, die sehr hilfreich sind. Gerade auch, dass Menschen ohne Demenz von Menschen mit Demenz etwas lernen können, finde ich einen wertvollen Perspektivwechsel.
Herzlichen Dank dafür!