Demenz gilt als Krankheit der alten Menschen. Bei den über 90-Jährigen sind etwa 40 Prozent betroffen. Aber immer wieder erkranken auch jüngere Menschen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Meine Mama war damals gerade mal 55 Jahre alt und ich war Anfang 30 und hatte ein kleines Kind. Als Betroffene und auch als Angehörige fällt man dann auf – und fühlt sich oftmals sehr alleine. Die Züricher Studentin Lea Simeon forscht über die Situation von jungen erwachsenen Kindern eines Elternteils mit Demenz. Hier erzählt sie über deren besondere Situation und vor welchen Herausforderungen beide Seiten stehen.

Kleiner Sprung zehn Jahre zurück: Ich hatte eine kleine Tochter und war dankbar für die Unterstützung meiner Eltern, die mir hin und wieder mit dem Spagat zwischen Job und Familie halfen. Ich war mitten in der Rush Hour des Lebens und dann das: Meine Mama erhielt die Diagnose Alzheimer. Sie erkrankte sehr jung. Demenz gilt zwar als Krankheit des Alters, aber immer wieder sind auch jüngere Menschen betroffen. Für sie und ihre Familien stellen sich oft besondere Herausforderungen. Von der Wissenschaft und Gesellschaft werden sie jedoch oft vergessen.
Die Züricher Studentin Lea Simeon widmet sich für ihre Master-Arbeit der Gruppe der jungen Erwachsenen, deren Eltern an Demenz erkrankt sind. Hier erzählt sie darüber. Lea hat mich gebeten, auf die Studie aufmerksam zu machen – und das tue ich sehr gerne. Denn ich finde es wichtig, dass auch dieses Thema besser erforscht wird, damit Betroffene und ihre Familien passende Hilfs- und Unterstützungsangebote bekommen können. Interessierte können sich gerne bei Lea melden: simeolea@students.zhaw.ch
Diese Themen findest du in diesem Blog-Artikel
Interview mit Lea Simeon über junge Erwachsene
Liebe Lea, Demenz gilt als Krankheit von älteren Menschen, aber es gibt auch Menschen unter 65 Jahren, die daran erkranken. Wie viele sind das etwa?
Laut einer Schätzung des Bundesamtes für Gesundheit leben in der Schweiz aktuell 144337 Menschen mit einer Demenz. Davon bekommen etwa 7325 Menschen vor dem 65. Lebensjahr eine dementielle Erkrankung. In diesem Fall spricht man von einer sogenannten Demenz im jüngeren Lebensalter einer Frühdemenz oder im Englischen von einer young onset dementia. Da das Alter als der Hauptrisikofaktor für eine Demenz gilt, kommt diese Form von Demenz bei nur bei 0.2 bis 0.6 Prozent der Menschen unter 65 Jahre vor. Im Vergleich: Bei den über 90-Jährigen sind etwa 40 Prozent von einer dementiellen Erkrankung betroffen. Wenn man sich aber überlegt, dass mit jeder jung erkrankten Person auch ganze Familien und Freundeskreise mit betroffen sind, steigt die Zahl der Betroffenen erheblich an.
Was sind die besonderen Herausforderungen für jung Betroffen und deren Kinder?
Eine Demenz im jüngeren Alter trifft die Betroffenen und deren Angehörigen mitten im Leben. Die meisten Betroffenen sind körperlich noch sehr fit, arbeiten und viele haben noch ziemlich junge Kinder. Eine Diagnose stellt ein drastischer Einschnitt im Leben der Betroffenen und deren Angehörigen dar. Da eine Demenzerkrankung nicht mit dem mittleren Erwachsenenalter assoziiert ist und sich teilweise anders als im höheren Erwachsenenalter zeigt, dauert der Weg zu einer Diagnose und dementsprechend einer adäquaten Behandlung länger an, als dies bei älteren Menschen der Fall ist. Das ist auch für Angehörige sehr belastend.
Was bedeutet das für die Familien?
Partnerinnen und Partner von Jungbetroffenen sind meistens die primären pflegenden und betreuenden Angehörigen. Nebenbei gehen sie oftmals einer Arbeit nach, sorgen sich teilweise um junge Kinder oder haben selbst vielleicht Eltern, die auf Unterstützung angewiesen sind. Diese Faktoren können zu einer großen Belastung der Partnerinnen und Partner beitragen.
Was bedeutet die Demenz eines Elternteils für die Kinder?
Doch auch die teils noch sehr jungen Kinder übernehmen oft wichtige Pflege- und Betreuungsaufgaben und sind von den Veränderungen im Familienleben und der Beziehung zum kranken Elternteil betroffen. In diversen Studien berichteten Kinder von Eltern, die im jungen Alter an einer Demenz erkrankt sind, unter anderem von Trauer über den schleichenden Verlust des Elternteils und der Beziehung zu ihm. Sie sprechen von Gefühlen wie Hoffnungslosigkeit, Stress, Wut, Frustration, Scham und Schuldgefühlen in Bezug auf die eigene Situation und das veränderte Verhalten des Elternteils. Die Belastungen können auch Folgen für das physische und psychische Wohlergehen sowie die Entwicklung der Kinder haben. Leider deuten viele Studien ebenfalls darauf hin, dass die Unterstützungssysteme sich ihrer zu wenig annehmen und sie oftmals vergessen werden.
Für eine Studie suchst du junge Erwachsene, die Angehörige eines an Demenz erkrankten Elternteils sind. Was möchtest du untersuchen?
Die Mehrzahl der wenigen existierenden Studien fokussiert sich auf Kinder mit einer riesigen Altersspanne. Das Erleben sowie den Umgang von Primarschülern, Teenagern und jungen Erwachsenen mit einem Elternteil mit DjL undifferenziert gleichzusetzen, ist aus einer entwicklungspsychologischen Perspektive problematisch. Junge Kinder stehen an einem ganz anderen Punkt ihrer Entwicklung, haben andere Bedürfnisse und Ressourcen sowie eine andere Abhängigkeit von den Eltern als beispielsweise 25-jährige.
Welche Bedürfnisse haben junge Erwachsene?
Diese Altersphase wird auch die rush hour des Lebens genannt. In kürzester Zeit werden wichtige Weichen für das spätere Leben gestellt, wie der Eintritt ins Berufsleben und Familiengründung. Ich frage mich, wie die jungen Erwachsenen die Erkrankung des Elternteils und die eigenen Lebensgestaltung wahrnehmen. Mich interessiert auch, welche formelle und informelle Unterstützung sie in der Schweiz erhalten. Und wo sie noch einen Nachholbedarf sehen.
Wie bist du zu dem Thema gekommen?
Neben meinem Studium von angewandter Psychologie an der ZHAW arbeite ich an der Beratungsstelle Leben im Alter in Zürich. Die Beratungsstelle ist unter anderem auf die Beratung von Angehörigen von Menschen mit Demenz spezialisiert. Immer mal wieder nehmen auch junge erwachsenen Kinder mit einem Elternteil, der an einer Demenz im jüngeren Lebensalter erkrankt ist, eine Beratung in Anspruch. Recherchen ergaben, dass Kinder und insbesondere junge Erwachsene Kinder mit einem Elternteil mit Demenz im jüngeren Lebensalter, bisher sehr wenig Aufmerksamkeit von der Forschung und der Gesellschaft bekommen haben. Dies hat mich dazu motiviert, mich im Rahmen meiner Master-Arbeit dieser Thematik anzunehmen und so zu helfen, das Erleben und die Bedürfnisse dieser Personengruppe sichtbar zu machen.
Wer kann mitmachen?
Mitmachen können Menschen zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr mit einem Elternteil, der an einer Demenz im jüngeren Lebensalter erkrankt ist und die bereit sind, mit mir über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Was erwartet die Teilnehmenden?
Ende Juni bis Mitte Juli werde ich mit den Teilnehmenden ein cica einstündiges Gespräch an einem Ort ihrer Wahl durchführen. Für die Teilnehmenden kann dies eine Möglichkeit sein, ihre eigenen Erfahrungen mit einer neutralen Person und einem strukturierten Rahmen zu reflektieren. Und natürlich dazu beizutragen, etwas Licht auf das Erleben und die Bedürfnisse Gleichbetroffener zu werfen.
Wohin wenden sich Interessierte?
Ich freue mich über jegliche Kontaktaufnahme unter meiner E-Mail-Adresse simeolea@students.zhaw.ch