Tipps für den Alltag, Wie ich helfen kann

Von Angehörigen für Angehörige: Tipps und Erfahrungen zum Thema Weglaufen, Hinlaufen und Verirren bei Demenz

Wer sich um einen Menschen mit Alzheimer kümmert, steht vor jeder Menge Herausforderungen – und oft auch neuen Situationen. Ein großes Thema ist das Weglaufen, Hinlaufen und Verirren. Ich habe euch ja neulich beschrieben, wie es mir neulich ergangen ist, als meine Mama plötzlich verschwunden war. Sie war nur 15 Minuten weg, aber es war schrecklich für mich. Auf meinen Beitrag habe ich viele Nachrichten bekommen, mit tollen Tipps. Und weil ich sowieso denke, dass wir voneinander am besten lernen können, möchte ich diese mit euch teilen. Dieser Blog-Beitrag ist ein ganz besonderer, weil Erfahrung und Wissen von vielen zusammenkommen. Von Angehörigen für Angehörige: Tipps und Erfahrungen zum Weglaufen, Hinlaufen, Verirren.

Weglaufen-Hinlaufen-verirren

Meine Mama war nur kurz verschwunden – und ich habe sie nach 15 Minuten gefunden. Was für ein Schreck und zum Glück ist es gut ausgegangen. Aber natürlich haben wir in der Familie danach überlegt, was wir machen können, damit das nicht wieder passiert.

Unsere Ideen, damit Mama sich nicht verirrt

Vor ein, zwei Jahren war das Thema auch schon einmal sehr aktuell, aber danach hatte ihr Bewegungsdrang abgenommen und in letzter Zeit war er merklich reduziert. Nun ja, mit der Demenz ist nichts vorhersehbar, wie ich mal wieder gemerkt habe. Zeit also, sich doch noch mal mit dem Thema Weglaufen, Hinlaufen, Verirren zu beschäftigen, denn ich möchte natürlich nicht, dass Mama sich verirrt. Unsere Ideen:

  • kleine Zettel mit Mamas Namen, Adresse und Papas Telefonnummer in die Jacken stecken, dann weiß derjenige, der Mama findet, dass sie Alzheimer hat und hat eine Kontaktadresse. Allerdings sollte man sich gut überlegen, ob man die Adresse auf das Kärtchen schreibt. Dies kann leider auch ausgenutzt werden, wenn ein anderer den Menschen mit Demenz nach Hause begleitet und in die Wohnung geht. Deshalb: im Zweifel nur den Namen und die Telefonnummer des Menschen aufschreiben, der sich um die Person mit Demenz kümmert.
  • Auf Papas Handy ein Foto von Mama als Hintergrundbild zu installieren und ein aktuelles Bild von Mama im Haus aufzustellen. Falls sie doch einmal verschwindet, hätte er sofort ein Bild zur Hand, das er der Polizei zeigen könnte.
  • Die Nachbarn informieren, damit die ein Auge haben, falls Mama sich von ihrem Haus durchbrennen Garten entfernt. Und natürlich: die Krankheit offen kommunizieren. Denn nur, wer von der Demenz weiß, kann auch eine Unterstützung sein, ein Demenz-Partner.
  • Im Angehörigen-Seminar der Alzheimer Gesellschaft München hatte die Seminarleiterin davon gesprochen, dass es helfen kann, einen Vorhang vor die Tür zu hängen oder ein Poster etwa mit einem Bücherregal darauf zu kleben. So wird die Tür nicht mehr als Tür erkannt und der Mensch mit Demenz benutzt die Tür vermutlich nicht. (Hier teilt ein Angehöriger seine Erfahrung dazu.)
  • Eine andere Idee ist auch, die Türgriffe anders anzubringen, sodass man sie anders als gewohnt öffnen muss. Ich kannte das bislang nur von Familien, die so ihre Türen vor Kleinkindern gesichert haben – da hat es zumindest immer funktioniert.
  • Es gibt auch Anhänger oder Armbänder, in die man die wichtigsten Daten eingravieren lassen kann. Teilweise sehen die sogar sehr schön aus, wie ein richtiges Schmuckstück. Wenn der Mensch mit Demenz zum Beispiel ein Medaillon trägt, könnte man einen kleinen Zettel mit Kontaktinformationen hineinstecken. Oder ein Armband mit einer Gravur anfertigen lassen.

Die Tipps und Erfahrungen von anderen Angehörigen zum Weglaufen, Hinlaufen und Verirren

Und das sind die Tipps, die ich von anderen Angehörigen bekommen habe und die ich gerne teilen möchte:

Eine Uhr und Google Maps geben Sicherheit und Freiheit

Karin: „Mein Mann hat Alzheimer und findet sich zur Zeit in unserem Ort noch allein zurecht. Aber meine große Angst ist, dass er irgendwann nicht mehr zurück findet. Deshalb habe ich bald nach der Diagnose nach einer Uhr geschaut, mit der ich ihn über Google Maps orten kann.

Ich habe mich damit auseinander gesetzt, als ich von einer Bekannten, deren Mann auch an Alzheimer erkrankt ist, erfuhr, dass ihr Mann eine ganze Nacht verschwunden war.
Er war damals noch als Klinikseelsorger tätig und hatte in der Klinik abends einen anderen Ausgang genommen. Er fand sich nicht zurecht und irrte dann herum. Am nächsten Morgen sah ihn ein Autofahrer und meldete dies der Polizei.

Die Zeit der Ungewissheit war für die Familie schrecklich und ich hatte Angst, nach der Diagnose bei meinem Mann selbst in so eine Situation zu kommen. Ich habe eine Uhr gefunden, mit der ich meinen Mann über GPS orten und ihn auch anrufen. Auch er könnte mich mit der Uhr erreichen, aber das klappt nicht mehr und auch meine Anrufe nimmt er meist gar nicht wahr. Die Uhr lade ich jede Nacht mit einem Verbindungskabel auf, allein würde er nicht daran denken. Mit der Ergotherapeutin arbeitet er an dem Umgang mit der Uhr und vielleicht klappt es ja dann mit dem telefonieren.

Ich jedenfalls kann so viel beruhigter sein, wenn mein Mann mal für mich zum einkaufen geht, oder zweimal in der Woche allein in die Tagespflege geht, die nur 200 m von uns entfernt ist. Das gibt mir Sicherheit und ihm noch ein wenig Freiheit. Wichtig finde ich, dass die GPS-Uhr bald nach der Diagnose genutzt wird, damit der Demenzerkrankte sich an die Uhr gewöhnen kann. die Uhr zu tragen, ist für meinen Mann noch zur Gewohnheit geworden.“

Klingelmatten oder Armbänder, die Alarm auslösen

Stef.: „Aus der Pflege meiner Oma kenne ich Klingelmatten oder Armbänder, die Alarm auslösen, wenn ein bestimmter Bereich verlassen wird. Mit Oma bin ich regelmäßig „gewandert“ im Haus und im Garten, um den Bewegungsdrang zu kanalisieren.“

Ein GPS-Tracker für Hunde

Eine Freundin aus der Schweiz: „Ich arbeite in eine WG-ähnlichen Wohnform für Menschen mit Behinderungen und Demenz. Wir verwenden einen GPS-Tracker für Hunde, der mit dem iPhone verbunden ist. Ich möchte keine Diskussion, ob das nun ethisch vertretbar ist oder nicht. Fakt ist, dass alles was für Menschen mit Demenz angeboten wird, als Medizinprodukt verkauft wird und dreimal so viel kostet. Da unsere Klienten diese Dinge selbst bezahlen müssen, halten wir das für eine gute Lösung.

Unser Klient hat immer schon eine Gürteltasche getragen. Wenn er aus dem Haus gehen möchte, legen wir den Tracker dort rein. Unser Klient ist den ganzen Tag unterwegs und abends gibt er uns den Tracker, den wir über Nacht an einen Ladeclip hängen. Tagsüber liegt das iPhone immer auf unserem Schreibtisch und ist an. Falls er sich also verirrt und etwa nicht bei der Person ankommt, die er besuchen wollte, ruft diejenige meist an und wir schauen dann auf dem iPhone, wo er ist und können ungefähr nachvollziehen, was passiert sein könnte. Oft ist er in den falschen Bus gestiegen.“

GPS-Tracker für den Schlüsselbund

Yvonne: „Ich habe einen GPS-Tracker gekauft und diesen an den Schlüsselbund gehängt, da meine Mutter, wenn sie die Wohnung verlässt, glücklicherweise immer noch abschliesst und somit den Schlüssel mit dem Tracker immer dabei hat. Zu Beginn hat sie den Tracker abgenommen. Doch dann habe ich ihr gesagt, dass wir dank dem Tracker den Schlüssel finden, sollte sie ihn verlieren. Jetzt klappt das wunderbar.“

Handy mit Notrufknopf

Emma: „Ich habe meiner Mutter ein Handy mit GPS-Funktion gekauft. Dieses Handy hat auch einen Notrufknopf. Es hat nur vier Tasten, wo ich meine und die Nummern meiner Geschwistern speichern kann. Je früher man das kauft, umso besser gewöhnt sich die Person daran. Als meine Mutter noch zu Hause lebte, hat das aber nicht funktioniert. Sie hat es nie mitgenommen. Jetzt im Heim schauen die Pflegerinnen immer darauf, dass sie es dabei hat.

Falls sie verloren geht, hat das Handy einen Kleber mit der Adresse und der Nummer vom Heim. Habe sie aber schon angerufen und da hat sie den richtigen Knopf gedrückt. Ich bin schon froh, dass wir im Notfall wissen, wo sie sich aufhält.“

Paps ist bei der Oma

Sofia: „Meine Mitbewohnerin und ich kommen vom morgendlichen Schwimmen zurück, als uns Paps aus dem Garten freudig grüßt. Ich bin ein bisschen überrascht, eigentlich sollte er gerade bei der Oma sein. So ist das nämlich ausgemacht, dass er die Vormittage dort verbringt. Er strahlt uns an: „Ich habe gerade einen Ausflug gemacht! Ich wollte nachsehen, was da hinter den Bäumen ist.“ Er deutet auf die offene Gartentüre im Zaun. Ich frage mich manchmal, warum es diese Türe eigentlich gibt. Dahinter ist nämlich nur ein steiler, mit Ahorn und Dickicht bewachsener Hang.

„Ich bin da hinauf. Dann ist es mir zu steil geworden und ich habe mich umgedreht und bin am Popsch wieder runter gerutscht. Ich habe geglaubt, ich komm gar nicht mehr runter und dass ich sterben muss“, erzählt Paps. Ich schlucke ein bisschen. Solche Expeditionen hätte ich ihm nicht zugetraut. Beim Spazierengehen ist es ihm schnell zu weit, zu anstrengend oder zu uneben. Dann sitzt er lieber auf der Bank und schaut.

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Sofia und ihr Paps

„Und schau, Sofiali, ich habe mich sogar verletzt, und weisst du was, es tut sch.. weh!“ Seiner Stimme entnehme ich jetzt nicht ein bisschen Schmerz, aber auch Stolz und nach wie vor Freude. Er zeigt mir sein Bein, ich sehe einen kleinen Kratzer, einige Tropfen Blut. Gottseidank nichts Schlimmes, denke ich und hole das Verbandszeug. Ich desinfiziere die Wunde und klebe ein Pflaster darauf. Eines mit einer Ente. Paps lacht. Er findet das Pflaster lustig.

Paps geht immer wieder mal selbstständig spazieren. Noch vor einem halben Jahr hat er oft den halben Tag alleine in der Stadt verbracht. Mittlerweile geht das nicht mehr, zum einen wegen der Pandemie und zum anderen, weil er zuhause viel besser aufgehoben und auch glücklicher ist. Manchmal passiert es uns trotzdem, dass ich seinem Wunsch spazieren zu gehen, nicht schnell genug nachkomme, und dann geht er alleine.

Ich mache mir dann Sorgen, male mir aus was alles passieren kann, wenn der dementiell und an Epilepsie erkrankte Mann mit dem Herzen eines kleinen Jungens alleine unterwegs ist. Und ich gehe ihn dann suchen. Zuerst im ganzen Haus, dann im Garten, auf der Straße. Ich laufe bis zur Bank, wo wir immer sitzen. Und dann gehe ich zur Oma und möchte ihr sagen, dass er mir verloren gegangen ist. Die schaut mich dann ein bisschen vorwurfsvoll an und sagt mir, dass Paps auf der Terrasse sitzt und die frische Luft genießt. Ich hoffe, dass ich ihn, wenn ich ihn suchen muss, immer dort finden werde.

Unser Weg: Kärtchen und Nachbarschaftshilfe

Ich war überrascht über all die technischen Lösungen und Ideen zum Thema Weglaufen, Hinlaufen, Verirren. Ich finde sie auch alle toll. Sie haben nur einen Haken, wenn man das so sagen will: mein Papa und Technik. Zeit seines Lebens hat er sich nicht dafür interessiert, kommt kaum mit seinem Handy klar. Während Videotelefonie zu Corona-Zeiten bei fast allen boomte, hat das bei uns leider nicht so gut funktioniert…

Ein GPS-Tracker ist eine tolle Sache und würde ich bei meinen Eltern leben, hätte ich schon längst einen besorgt. So macht es jedoch wenig Sinn, da Papa ihn bedienen und verwenden müsste – und er das nicht tun wird.

Deshalb versuchen wir es auf die altmodische Art: Zunächst einmal mit Kärtchen mit Mamas Namen und Telefonnummern. Ich habe dazu die Verständniskärtchen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft verwendet. Wir haben Mamas Namen und zwei Telefonnummern darauf geschrieben und sie in Mamas Jacken gesteckt – und zwar in sämtliche Jacken, die sie hat. Aber klar: das hilft auch nur, wenn sie eine Jacke anzieht oder anhat.

Verständniskaertchen

Warum meine Mama damals weggegangen ist oder zu etwas hingegangen, kann ich nicht sagen. Vielleicht hat sie Papa gesucht? Womöglich hat sie sich gerade nicht wohlgefühlt und wollte woanders hin? Vielleicht wollte sie sich aber auch einfach ein wenig bewegen? Was ich aber gemerkt habe: wenn wir spazieren gehen und sie so viel Bewegung bekommt, ist sie entspannter. Dann fühlt sie sich wohler. Meine Mama war ihr Leben lang eine Läuferin, vielleicht fehlt ihr der Sport ja doch irgendwie? Eine Runde spazierenzugehen ist zwar keine Garantie, dem Weglaufen, Hinlaufen und Verirren vorzubeugen, aber es kann es etwas mindern, da der Bewegungsdrang weniger stark ist. Davon mal abgesehen: Bewegung tut einfach gut.

Und was sich bewährt hat und was ich jedem nur empfehlen kann: für eine gute Nachbarschaft sorgen. Mama wandert häufiger mal zu den direkten Nachbarin und setzt sich dort auf die Terrasse. Und die nette Nachbarin bringt sie immer wieder zu Papa zurück, nicht vorwurfsvoll, sondern mit viel Liebe und nettem Zureden – und diese Unterstützung kann keine Technik ersetzen.

Vielen Dank allen, die so bereitwillig von ihren Erfahrungen berichtet haben. Danke!

Fotos: Peggy Elfmann (2), Sofia Jüngling

2 Gedanken zu „Von Angehörigen für Angehörige: Tipps und Erfahrungen zum Thema Weglaufen, Hinlaufen und Verirren bei Demenz“

  1. Das mit den Kärtchen ist eine gute Idee.
    Aber nicht alle Demenzkranken lassen Fremde Menschen so nah ran, um an die Jacke zu kommen.

    Oder die Hemmung der Menschen die eine Demenzperson auffinden, in der Tasche Nachzusehen.

    Man müsste den GPS- Tracker doch auch von weiter weg bedienen können.

    Am Anfang deinen Papa jeden Abend anrufen und sagen, Papa lädst du den bitte auf.

    Nach einer Woche kann er das bestimmt.

    Und dann deinen Papa darauf hinweisen, dich anzurufen sobald deine Mama weg ist.

    Da würde er hoffentlich dran denken.

    1. Liebe Svenja, danke für deinen Hinweis. Da habe ich noch gar nicht weiter drüber nachgedacht. Aber es ist natürlich ein Punkt und die Frage, ob eine fremde Person in die Jackentasche fassen würde und wie Mama das tolerieren würde.
      Ich werde mir das mit den Trackern noch einmal genauer anschauen. Danke vielmals für den Tipp!

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