Wie ich helfen kann

Wie sprechen wir über Menschen mit Demenz?

Im Vorfeld des Grimme Online Awards habe ich ein paar Interviews gegeben. Es ging um meinen Blog „Alzheimer und wir“, warum ich ihn schreibe und was ich mir wünsche. Und ich merkte, dass ich fast nur noch „Menschen mit Demenz“ sage statt „Betroffene“ oder „Patienten“ oder „Demente“, wie ich es früher auch getan habe. Warum? Weil ich glaube, dass es einen Unterschied macht, wie wir über Demenz und Alzheimer sprechen und welche Begriffe wir dafür wählen, auch wenn diejenigen, über die wir da sprechen, das vielleicht gar nicht mehr mitbekommen. Ich habe mich mal bei anderen umgehört – und bin gespannt, wie ihr das seht

Peggy-Interviews

Eigentlich ist die Sache ja ganz klar: Alzheimer ist eine Krankheit. Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz-Erkrankung. In der Medizin ist es in der ICD-10, der internationalen Klassifikation der Krankheiten festgehalten und zwar im Fall meiner Mama als G.30… Also, ganz klar: Sie ist eine Patientin.

Im Gespräch mit Johannes Meyer als Vorbereitung auf den Grimme Online Award am 25.6. habe ich gemerkt, wie viel Bedacht ich darauf lege, wie ich von meiner Mama spreche und dass ich doch sehr überlege, welche Worte ich verwende. Natürlich ist Mama zuallererst Mama – und wird dies immer bleiben. Aber ich schreibe ja nun auch diesen Blog und äußere mich öffentlich zu Alzheimer und Demenz. Welche Worte sind da die besten?

Wenn der Mensch zum Dementen wird

Ich weiß, wie schnell es geht, dass die Krankheit auf einmal im Zentrum steht und der Mensch mit Demenz zum Patienten, zum Kranken, zum Dementen wird. Ich gebe zu, das war auch bei mir so. Zum Beispiel kurz nach der Diagnose. Als Mama erfuhr, dass sie Alzheimer hat und wir alle völlig geschockt waren. Da war auf einmal diese Krankheit so dominant.

Ich habe viel über Alzheimer und Demenz recherchiert. Ich las von Alzheimer-Patienten und Betroffenen und von Medikamenten und Therapien. Wir wollten von Mamas Neurologen wissen, welches Medikament am besten wirkt. So als müsste man nur das richtige finden und hätte eine Chance auf Heilung. Aber das ist nun mal nicht so und nicht nur meine Kinder fragen, warum es noch keine Arznei gegen Alzheimer gibt. Nur die Krankheit zu sehen und thematisieren lässt einen den Menschen, den Charakter, das Miteinander verlieren…

Die Demenz als Erklärung

Und doch: Mamas Krankheit schritt immer weiter voran. Vergesslichkeit, Orientierungsprobleme, Unsicherheit, Ängstlichkeit, aggressive Phasen – der Alzheimer war und ist die Erklärung. Und es ist häufig gut, diese Erklärung zu haben. Denn in bestimmten Momenten hilft es einfach, nachsichtig zu sein und Verständnis zu haben – und das brauchen Menschen mit Demenz von ihren Angehörigen und Freunden im Alltag.

Wer weiß, warum der liebe Partner/die liebe Partnerin dieselbe Frage immer wieder stellt, von Erlebnissen aus der Kindheit und Jugend so erzählt als seien sie gestern gewesen und den Geldbeutel in den Kühlschrank statt in den Schrank legt, der kann im Alltag besser akzeptieren. Der kann ruhig und verständnisvoll bleiben.

Aber die Frage ist natürlich, wie weit darf und sollte die Krankheit Thema sein? Ich meine, sie wird nie weggehen, das ist klar. Die Alzheimer-Erkrankung wird meine Mama immer begleiten und ja, sie zeigt sich längst sehr deutlich, mit vielen Herausforderungen und Einschränkungen. Ich habe ein bisschen Angst, dass irgendwann die Demenz so mächtig ist, dass sie übermächtig wird. Dass nur noch die Krankheit im Vordergrund steht – und nicht mehr der Mensch.

Ich versuche deshalb meine Mama nicht mehr als Patientin zu beschreiben oder als Kranke. Bezeichnungen wie „die Dementen“ habe ich schon immer gemieden, aber ich begegnen ihnen häufig in Artikeln und zucke innerlich jedes Mal ein wenig zusammen. Meine große Tochter hat mich ja schon vor einer Weile zum Nachdenken gebracht, als sie der Oma eine Karte schrieb, mit dem Wunsch, sie möge noch lange gesund bleiben. Krank – und doch gesund, so sah es meine Tochter. Krank – und noch so viel mehr – und vor allem immer noch: meine Mama, so sehe ich es. Deswegen habe ich auch Probleme damit, wenn Menschen mit Demenz mit Kindern gleich gesetzt werden.

Der Mensch mit Demenz oder der Demente?

„Oft sehe ich in der Praxis, dass Menschen mit Demenz, auf ihre Erkrankung reduziert werden. Sie werden als ‚die Dementen‘ oder die ‚Wegläufer‘ betitelt“, berichtet Bianca Thönes. Sie ist gelernte Krankenschwester und arbeitet schon lange mit Menschen mit Demenz und gibt Workshops zum Demenz-Balance-Modell (hier zu einem Blog-Beitrag über meine Erfahrung damit). „Damit werden sie reduziert und abgestempelt. Das ist für mich ein absolutes No-Go.“

Und Dean Kalkan, Gesundheits- und Krankenpfleger (mit Weiterbildung als Demenzexperte) sagt: „Ich persönlich finde den Begriff ‚der/die Demente‘ furchtbar. Ich finde, es hört sich irgendwie respektslos und wertlos an. Auch wenn ich es immer wieder lese, so versuche ich es für mich zu vermeiden. Ich glaube, dass sich viele Menschen keine Gedanken machen, wie sie diese Patientengruppe benennen.“

Mehr Wertschätzung für Menschen mit Demenz

Und was raten die Experten für mehr Wertschätzung? Welche Begriffe verwenden? „Letztlich möchte ich die Demenz nicht so in den Vordergrund stellen, aber wenn es relevant ist, dann verwende ich den Begriff ‚der Herr mit Demenz‘ oder ‚die Dame mit Demenz‘. Das hat für mich mehr Wertschätzung“, sagt Dean Kalkan.

„Menschen mit Demenz sind Menschen wie du und ich, nur in der Kognition, aber nicht in der Emotion eingeschränkt. Sie fühlen sich oft hilflos und verzweifelt. Sie werden ständig mit ihren Defiziten konfrontiert. Ein Mensch mit Demenz hat seine eigene lange Biografie und hat unseren würdevollen Umgang verdient“, so erklärt mit der Demenzexperte.

Und auch Demenzcoach Bianca Thönes sagt: „Unsere Aufgabe ist es Menschen mit Demenz zu stärken und sie wertzuschätzen. Jeder von uns ist in der Lage sich einzufühlen und eine liebevolle Beziehung zu Menschen mit Demenz aufzubauen. Wir müssen es nur wollen und uns selbst mal zurück nehmen.“

Sie gibt verschiedene Tipps, wie dies gelingen kann, etwa Wärme ausstrahlen, Sicherheit bieten, eine entspannte Athmosphäre schaffen… Den besten und wichtigsten Tipp finde ich aber: „Respektiere dein Gegenüber“. Und dazu gehört natürlich, wie wir mit- und über einander sprechen.

Wie seht ihr das? Schreibt mir doch mal. Ich bin gespannt auf eure Meinung.

2 Gedanken zu „Wie sprechen wir über Menschen mit Demenz?“

  1. Hat mich einerseits nachdenklich gemacht, anderseits aber auch in vielem bestätigt. Ich sage immer, ich will die Ehre und nicht nur die Würde meines an Alzheimer erkrankten Mannes aufrecht erhalten = bewahren. Die Kinder sagen , denke auch mal an Dich. Beides unter einen Hut zu bekommen, ist sehr kompliziert / schwierig. Und manches mal lässt meine Geduld zu wünschen übrig. Es ist und bleibt eine persönliche Aufgabe.
    Ich freue mich, dass ich, jetzt endlich etwas gefunden habe, wo ich meine Ängste und Sorgen mal schreiben kann. Hilft ungemein !! VG Brigitte

    1. Liebe Brigitte, oh ja, das ist schwierig – und gerade, wenn man sich irgendwie ein wenig gewöhnt hat, klappt wieder etwas nicht mehr oder bringt Herausforderungen. Ich wünsche dir viel Kraft und Liebe – und dass du auch auf dich aufpasst. Du bist so wichtig für deinen Mann, wie wunderbar, dass er dich hat. Ganz liebe Grüße! 💜

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