Wie ich helfen kann

Die „Wir-müssen-doch-was-machen-Falle“

Langsam wie eine Schnecke – so fühlt sich das manchmal an. Aber es tut auch mir gut, dass Mama jetzt ein anderes Tempo hat

Ich mag es nicht, wenn nichts passiert. Ich möchte, dass Dinge passieren, dass meine Pläne in Erfüllung gehen oder wenn das nicht gelingt, dass wenigstens irgend etwas vorangeht. Abwarten fällt mir echt schwer. Langeweile erst recht. Beides habe ich in meinem Leben mit drei Kindern und Beruf allerdings auch kaum. Irgendein Kind braucht immer etwas und meistens auch eher zwei oder drei gleichzeitig, so dass ich mich eigentlich zerteilen müsste, um bei jedem gleichzeitig zu sein, statt dass ich die Füße hochlegen könnte und nichts tue.

Ich arbeite auch relativ viel – und das gerne. Eigentlich mache ich immer etwas. Ruhe habe ich echt wenig – obwohl ich weiß, dass es mir sehr gut tun würde, wenn ich mehr davon hätte. Auch mit meiner Mama bin ich immer versucht, etwas zu tun. Ich bin ja leider nicht so oft bei ihr und wenn ich da bin, möchte ich, dass es ihr richtig gut geht und ich ihr etwas Gutes tue. Ich möchte dann auch unbedingt aktiv sein und mich mit ihr beschäftigen oder ihr etwas bieten, damit es ihr gutgeht.

Wie ich von meiner Mama und der Alzheimer-Welt lernte

Als ich neulich bei meinen Eltern war, habe ich verstanden, dass es gar nicht darum geht. Dass meine Mama nun andere Bedürfnisse hat, denn in ihrer Welt braucht sie andere Dinge. Dass ich viel zu häufig in die „Wir-müssen-doch-was-machen-Falle“ tappe, mit ihr – und vor allem auch mit mir. Die schönste Nebensache dieser Erkenntnis war, dass ich von ihr und ihrer Welt lerne. Dass sie nicht nur die Alzheimer-Patientin ist, sondern mir auch Dinge mitgibt (und die Krankheit so vielleicht auch eine gute Seite hat). Und diese Erkenntnis kam so:

Ich war bei meinen Eltern. Mein Bruder und ich hatten meinem Papa einen Auszeit-Tag geschenkt (zum allerersten Mal – und es war gut, sogar sehr), sodass er mit meinem Papa unterwegs war. Meine Schwägerin und ich waren bei meiner Mama. Vormittags war ich mit Mama alleine. Nachdem erst ein großer Schwung aufgeräumt etc. war, war ein bisschen Leerlauf. Mama ging durch das Haus, von der Küche durch den Flur ins Esszimmer, eine Runde um den Tisch, zweite Runde um den Tisch, dritte Runde um den Tisch, vielleicht sogar eine vierte, einmal durchs Wohnzimmer, wieder auf den Flur zur Küche, wieder eine Runde um den Esstisch.

Alleine mit Mama – was machen wir?

Dann kam sie ins Wohnzimmer und setzte sich in den Sessel. Naja, eigentlich flätzte sie sich eher hinein. Total gemütlich und zufrieden saß sie im Sessel. Ich hatte im Flur Dinge hin- und hergeräumt, in der Küche aufgeräumt und schnell noch meine Mails mit dem Handy gecheckt. Dann sah ich, wie sie so saß und dachte sofort: ‚Was mache ich denn jetzt mit dir, Mama? Was soll ich nur machen? Spazierengehen? Mal wieder versuchen, alte Fotos anzuschauen oder mit dir reden? Oder schon das Gemüse fürs Mittagessen vorbereiten und versuchen, mit dir zu kochen?`

Ich machte nichts. Sie sah so zufrieden aus. Sie schaute ein bisschen verträumt und war einfach entspannt.

Ich setzte mich in die Küche, las ein bisschen in meinem Buch und merkte, wie mir auch die Ruhe guttat. Dass ich einfach mal sitzen, für mich lesen und in Ruhe ein- und ausatmen konnte, war wunderbar.

Hätte ich nicht etwas machen sollen?

Und doch dachte ich später: ‚Hätte ich nicht was machen sollen mit Mama?‘ Das habe ich auch Doris Reckewell gefragt. Sie kennt sich mit Alzheimer sehr gut aus, denn ihre Mutter hatte ebenfalls Alzheimer. Doris Reckewell hat über ihre vielen Erfahrungen ein Buch geschrieben („Bis ich unterm Himmel hänge“, Ernst Reinhardt Verlag). „Das war toll, was Sie gemacht haben!“, nimmt sie mir jegliche Zweifel und erklärt: „Es war toll, dass Sie mitbekommen haben, dass Ihre Mutter einfach zufrieden war und ihre Ruhe hatte. Diese Krankheit verlangt nach Ruhe. Alzheimer-Patienten kennen keine Vergangenheit und keine Zukunft, sie leben in dem Moment. Ihre Mutter war entspannt, und das ist das wichtigste.“

Doris Reckewell erzählte mir, dass sie aus dem Pflegeheim viele andere Geschichten kenne und dass sie dieses Innehalten auch erst lernen musste. „Wir Angehörigen und Freunde und Pflegende denken immer, wir müssten etwas machen. Aber in dem Stadium Ihrer Mutter braucht sie das überhaupt nicht. Sie braucht Ruhe. Es ist toll, dass Sie gesehen haben, dass Ihre Mutter entspannen kann und Sie sie auch gelassen haben“, hat mir Doris Reckewell erklärt und Mut gemacht.

Sie zeigt mir, was sie braucht – und nicht mein Gewissen

Die Ruhe ist tatsächlich schwer – und für meinen Papa erst recht und auch für mich. Aber wir lernen alle immer mehr. Und so einen Auszeit-Tag wollen wir unbedingt wieder machen. Er hat allen gut getan – er hat meiner Mama viel Ruhe gegeben und mir auch. Ruhe für mich und Ruhe für mein schlechtes Gewissen, das immer denkt, ich würde nicht genug machen. Denn in Wahrheit ist dieses „Wir-müssen-doch-was-machen“ eine Falle.

Wenn ich denke, ich müsste etwas machen, dann ist das vor allem für mich von Bedeutung. Dann möchte ich etwas machen, damit ich beschäftigt bin. Oder damit ich mein schlechtes Gewissen beruhige. Aber es ist nicht unbedingt das, was meine Mama in dem Moment braucht. Klar, in manchen Situationen ist es sicher toll, etwas zu machen. Aber, wenn meine Mama mir zeigt, dass sie sich hinsetzt und damit sehr glücklich ist, dann ist es das, was sie gerade braucht. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

5 Gedanken zu „Die „Wir-müssen-doch-was-machen-Falle““

  1. Hallo liebe Frau Ellymann,
    vielen Dank für die Einladung zu Ihrem Blog.
    Ihre Berichte habe ich mit Interesse gelesen und mich in meinen Denkweisen zum Teil wiedererkannt. Bei mir sind beide Eltern von Demenz betroffen, wobei die Erkrankung bei meinem Vater inzwischen schon sehr
    weit fortgeschritten ist. Auch ich würde sehr gerne so vieles mit meiner Mutter noch machen und plage mich mit einem schlechten Gewissen herum, weil ich dies im normalen Alltag nicht schaffe. Dabei ist ihr alles, selbst zu telefonieren, inzwischen zu viel. Das akzeptieren zu lernen, ist nicht leicht für mich, aber wohl richtig.
    Sie haben Recht, dass es gerade für Angehörige aber auch Nicht-Betroffene wichtig ist, sich hierüber auszutauschen und zu informieren.
    Ihr Blog ist dafür eine wunderbare Idee!
    Viele herzliche Grüße!

    1. Liebe Frau Jüngel-Sandner, ja, es ist nicht leicht und mal klappt das Akzeptieren der Krankheit leichter und mal weniger leicht. Ich merke, wie viel das auch mit mir als Angehörige macht und wie sehr es mich beeinflusst. Es tut gut, darüber zu sprechen. Viele Grüße und danke für Ihre lieben Zeilen!

  2. Hallo, vielen Dank für diesen berührenen Blog. Ich denke bei dieser Thematik – dem Gefühl, etwas machen zu müssen – ist es ganz entscheidend zu schauen WER denn gerade ein Bedürfnis hat. Die Mama möchte ruhen und zeigt dieses Bedürfnis ganz klar. Die Tochter in ihrer Welt des Ich-bin-nur-nützlich-wenn-ich-etwas-tue möchte dass es der Mama gut geht.
    Also immer gucken, welches Bedürfnis bei unseren Wünschen Zeit mit desorientierten Menschen zu verbringen im Vordergrund steht. Meines oder das des hochbetagten Menschen!
    lg und eine gute Zeit miteinander

    1. Liebe Beate, ja, so ist das. Man denkt ja oft, man macht dies und jenes für seinen lieben Menschen mit Demenz, aber um ehrlich zu sein, machen Angehörige auch ganz schön viel davon für sich selbst. Das muss auch gar nicht schlimm sein, aber gut, wenn einem das bewusst ist.
      Lieben Gruß Peggy

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